Wirtschaftsweiser: Rentenpaket "eine kurzsichtige Reform"

    Interview

    Ungerecht für Junge?:Ampel-Rentenpaket: "Eine kurzsichtige Reform"

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    Das neue Rentenpaket der Ampel-Koalition hat Schieflage, sagt der Wirtschaftsweise Martin Werding dem ZDF. Die Jüngeren würden zu stark belastet. Es sei eine "kurzsichtige Reform".

    Drei Kinder und drei ältere Menschen sitzen an einer Bushaltestelle
    Mit einiger Verspätung kommt das Rentenpaket II heute auf den Kabinettstisch. Fertig ist das Papier aus dem Arbeits- und Finanzministerium schon länger - aber auch in der Regierung umstritten.29.05.2024 | 2:30 min
    Lange hatte die Ampel-Koalition diskutiert, und die FDP ist sich immer noch nicht ganz einig, ob sie es gut findet oder nicht: das Rentenpaket II, das vom Bundeskabinett heute verabschiedet wurde. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Rentenniveau über 2025 hinaus bis zum Jahr 2039 bei 48 Prozent festgeschrieben werden soll. Ohne die untere Haltelinie würde es laut Rentenversicherungsbericht bis 2037 auf 45 Prozent sinken. Aktuell liegt es bei 48,1 Prozent.
    Außerdem soll das sogenannte Generationenkapital eingeführt werden. Dabei legt der Bund einen Aktienfonds an, wofür neue Kredite notwendig sind. Von 2036 sollen die Erträge in die Rentenversicherung fließen, um die Finanzen zu stabilisieren und Beitragserhöhungen zu dämpfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Für den Fonds sollen in diesem Jahr erstmals zwölf Milliarden Euro aufgenommen und bis Mitte der 2030er Jahre rund 200 Milliarden Euro eingezahlt werden.
    Martin Werding ist Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft, der als unabhängiges Gremium regelmäßig die wirtschaftliche Lage begutachtet. Werding sagt: Die Jungen werden zu stark belastet.
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD
    Man brauche "flexible Übergänge in den Ruhestand" und müsse das "Rentenniveau stabil halten", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD. Gleichzeitig wolle man "nicht das gesetzliche Renteneintrittsalter erhöhen."29.05.2024 | 4:52 min
    ZDFheute: Ist das Rentenpaket II, das heute vom Kabinett verabschiedet wurde, gerecht?
    Martin Werding: Das Rentenpaket II kündigt im Grunde die Lastenaufteilung zwischen Jung und Alt für die Folgen der demografischen Alterung auf.

    Das Rentenpaket erlegt die Lasten einseitig nur noch den jüngeren Versicherten auf.

    Martin Werding

    Ob das gerecht ist, weiß ich nicht. Aber es ist auf jeden Fall eine kurzsichtige Reform. 

    Prof. Dr. Martin Werding
    Quelle: imago/Metodi Popow

    ... ist seit 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. Seit 2008 ist er Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied in Expertenräten diverser Bundesministerien. 2021 war er am Konzept der Aktienrente der FDP beteiligt.

    ZDFheute: Was kommt da auf die Jüngeren zu? 
    Werding: Wir stehen ohnehin zwei, drei Jahre vor einem richtigen Sprung bei den Renten-Beitragssätzen. Der geht dann sehr schnell rauf auf 20 Prozent und steigt anschließend weiter an, auch unter geltendem Recht. Und da kommt jetzt noch ein verstärkter Anstieg hinzu. Anfangs nur wenig, denn es geht ja darum, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent sinken darf.
    Aber der Prozess entfaltet sich über 10, 15 Jahre immer stärker. Es geht im Zeitraum bis 2039, den dieses Rentenpaket jetzt umfassen soll, um 500 Milliarden Euro, die zusätzlich an Beitragsmitteln fließen müssen.
    ZDFheute: Wir müssen also damit rechnen, dass der Beitragssatz steigt. Aber warum ist das für jüngere Generationen ungerecht?
    Werding: Die Hauptursache für unsere demografischen Probleme ist die gesunkene Geburtenzahl Mitte der 60er und 70er Jahre plus längerfristig die steigende Lebenserwartung.

    Dafür, dass die Jungen so wenige sind, können die nichts. Und dass sie jetzt trotzdem lange, höhere Beitragssätze zahlen müssen, damit das Rentenniveau nicht sinkt, das ist nicht leicht zu verstehen.

    Martin Werding

    Wegen der steigenden Lebenserwartung müsste man im Grunde die Regelaltersgrenze der Rentenversicherung langsam weiter heraufsetzen, wenn wir die 67 Jahre einmal demnächst erreicht haben. 
    SGS Brandmann
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    ZDFheute: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) argumentiert, er schaffe mit dem Rentenpaket II Sicherheit. Man müsse sich auch morgen noch auf die Rente verlassen können. Was ist denn daran falsch?
    Werding: Er schafft eher die kurzfristige Sicherheit, dass in den nächsten Jahren das Rentenniveau nicht abgesenkt wird. Ich bin aber ziemlich sicher, wenn der Beitragssatz einmal so richtig zu steigen beginnt, wird das Fass neu aufgemacht. Und langfristige Sicherheit schaffen wir eigentlich erst, wenn wir im Rentensystem ergänzend ansparen würden.
    Natürlich in einer möglichst sicheren Form, also keine Zockerei, wie das manchmal falsch dargestellt wird. Dadurch können wir die fehlende Finanzierungsbasis für ein Umlage-Rentensystem ausgleichen. Wenn wir dem 20 Jahre Zeit geben mit ergänzender Vorsorge, dann haben wir da kein Problem mehr. Für die kurze Frist der aktuellen Rentnerjahrgänge wird hier aber eine Scheinsicherheit erzeugt. 
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    ZDFheute: Welche Schritte empfehlen Sie jetzt konkret?
    Werding: im Grunde geht es darum, die Reformstrategie, die wir seit Anfang der 2000er Jahre hatten, wieder aufzunehmen. Da hatte eine rot-grüne, dann eine schwarz-rote Bundesregierung eigentlich die richtigen Weichenstellungen vorgenommen: Die Altersgrenze langsam heraufsetzen und ein ergänzendes Sparprogramm auflegen. Die Riester-Rente läuft leider nicht gut, da gäbe es viel zu verbessern. Aber wir müssten diesen Pfad des langsam sinkenden Rentenniveaus im Grunde weiterverfolgen, damit die Beitragssätze nicht so stark steigen.
    Und das kann, wenn wir den Renteneintritt der vielen Babyboomer bewältigen wollen, eigentlich nur heißen, dass wir nach zusätzlichen Möglichkeiten gucken müssen. Wir im Sachverständigenrat für Wirtschaft fragen zum Beispiel: Können wir die Renten vielleicht nur noch nach der ersten Messung an die Inflation anpassen? Oder müssen wir ein bisschen umschichten zwischen hohen und niedrigen Renten? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.
    Das sind alle keine schönen Lösungen, aber darüber müssen wir reden und nicht über diese Haltelinie bei 48 Prozent jetzt.
    Das Interview führte Bernd Benthin, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.

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