Migration: Bund-Länder-Treffen mit dürftigen Ergebnissen

    Analyse

    Bund-Länder-Treffen:Migration: Nach dem Prüfen ist vor dem Prüfen

    Andrea Maurer
    von Andrea Maurer
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    Beim Treffen von Bund und Ländern stand das Thema Migration im Fokus. Doch auf eine Drittstaatenlösung konnten sich Kanzler und Länderchefs nicht einigen. Die Ergebnisse: dürftig.

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    Es war das Ereignis, auf das Kanzleramt und Innenministerium immer wieder verwiesen haben, wenn es um die Frage nach Drittstaatenlösungen in der Migrationspolitik ging: das Spitzentreffen zwischen Bund und Ländern am 20. Juni. Da sollte das Prüfergebnis vorliegen, mit dem Bund und Länder das Innenministerium im letzten Herbst beauftragt hatten.
    Politisches Ergebnis des Prüfergebnisses ist nun: weiteres Prüfen. Denn, so sagt es Kanzler Olaf Scholz (SPD) gestern auf der Pressekonferenz:

    Wie Sie wissen, zählt zu allem auch, dass wir einen Prozess aufgesetzt haben, um zu prüfen, ob wir auch andere Länder an den Asylverfahren, die in Deutschland anfallen, beteiligen können.

    Olaf Scholz, Bundeskanzler (SPD)

    Das sei jetzt mit einem kurzen Zwischenbericht versehen worden, den man zur Kenntnis genommen habe. Scholz weiter: "Es ist fest vereinbart, dass wir den Prozess fortführen und in diesen Fragen weiterhin berichten werden, welche Vorschläge wir machen. Wenn wir das nächste Mal mit den Ministerpräsidentinnen und den Ministerpräsidenten zusammenkommen, wird das der Fall sein."
    Vorliegen soll das nächste Prüfergebnis also bei der nächsten Spitzenrunde - am 12. Dezember.
    GERMANY-GOVERNMENT-POLITICS-REGIONAL
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    Kanzler führt Debatte nicht

    Dass der Sachverhalt komplex ist, rechtlich und auch ganz praktisch, steht außer Frage. Die Sache ist nur, dass in den letzten Monaten der Eindruck entstanden ist, das Drittstaatenmodell sei eine mögliche Lösung in den drängenden Fragen der Migrationspolitik. Und dass dieser Eindruck entstanden ist, daran ist auch der Kanzler nicht unschuldig.
    Im Herbst vergangenen Jahres hatte er selbst eine Debatte darüber angekündigt. "Eine Debatte, die in der Luft liegt. Und es wäre doch ganz absurd, sich damit nicht zu befassen." Das war zur gleichen Zeit, als er eine Art Zeitenwende in der Migrationspolitik versprach, mit den markigen Worten:

    Wir werden im großen Stil abschieben müssen.

    Olaf Scholz im Herbst 2023

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    Was eine Migrationsforscherin kritisiert

    Die Debatte hat er danach aber eben nicht geführt. Es wurde vielmehr verwiesen auf das Prüfverfahren im Innenministerium, auf dessen Ergebnis man warte. Über ein halbes Jahr sind dort nun Expertinnen und Experten angehört worden – und manche waren danach auch mehr oder weniger frustriert.
    Die Migrationsforscherin Viktoria Rietig etwa fragte sich schon Anfang Juni in "Berlin direkt", wie erkenntnisoffen das Verfahren am Ende noch war. Der Prüfauftrag der Bundesregierung sei grundsätzlich sinnvoll.
    Die lange Dauer der Prüfung werfe aber auch eine Frage auf: Geht es hier primär um ein Erkenntnisinteresse oder geht es auch darum, sich durch ein intensives Prüfen gegen Kritik zu schützen? Kritik wohlgemerkt aus der Opposition als auch aus den eigenen Reihen.

    Bovenschulte sieht "Ruanda-Modell" kritisch

    Längst ist die Debatte über die Drittstaatenlösung auch eine Frage von Wahlkampf und Parteipolitik. Die Union ist für Drittstaatendeals und wirft der Regierung Untätigkeit vor. SPD und Grüne bleiben dagegen weiter skeptisch. Am kritischsten äußerte sich Bremens SPD-Ministerpräsident Bovenschulte.
    Jeder wisse, dass die Drittstaatenlösung bislang noch in keinem Land konkret umgesetzt werde, sagt Bovenschulte ZDFheute - und verweist auf Großbritannien, das Asylverfahren an Ruanda delegieren will:
    "Wenn man sich das britische Beispiel anguckt, dann sieht man, warum das so schwierig ist. Sie kennen alle die Zahlen, 284 Millionen schon gezahlt, aber bisher noch kein einziger Flüchtling nach Ruanda verbracht. Und 288 Ankünfte vorgestern auf der britischen Insel, der höchste Wert dieses Jahr, sodass auch der Abschreckungseffekt zweifelhaft ist."
    Rishi Sunak, Premierminister von Großbritannien, spricht bei einer Pressekonferenz in der Downing Street und reagiert auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das den Asyl-Pakt mit Ruanda stoppt.
    Migranten, die ohne Papiere über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, werden dort keinen Asylantrag mehr stellen können. Das Parlament verabschiedete heute das Gesetz. 23.04.2024 | 1:44 min

    Schaufenster-Lösungen

    Einig sind sich also fast alle, dass es eine Wende in der Asylpolitik braucht – endlosen Streit gibt es nur weiter über das Wie. Immer wieder werden vermeintliche Lösungen ins Schaufenster gestellt, auf die sich manchmal dann auch alle einigen können. Nachdem der Mannheimer Polizist Rouven Laur von einem Afghanen hinterrücks erstochen wurde, sind es Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien.
    Die Ankündigung des Kanzlers, Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder auch in Länder wie Afghanistan und Syrien abzuschieben, wurde von den Ländern begrüßt. "Wir erwarten, dass dafür zügig die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden", so Boris Rhein (CDU), der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz. Allein die Frage, wie die Abschiebungen umgesetzt werden sollen, bleibt offen. Wird die Bundesregierung wirklich Verhandlungen mit den Taliban aufnehmen?
    Auch die neue Härte bei der Forderung nach Abschiebungen ist so erstmal nicht mehr als ein Signal: Wir haben verstanden. Laut niedersächsischem Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gehe es auch darum zu zeigen, "dass uns allen die Ergebnisse der Europawahlen natürlich unter die Haut gegangen sind. Und dass wir wissen, dass die Migration in diesem Zusammenhang ihre Rolle spielt".
    Nancy Faeser (SPD, l-r), Bundesministerin für Inneres und Heimat, Andy Grote (SPD), Innensenator von Hamburg, Joachim Herrmann (CSU), Innenminister von Bayern, Michael Stübgen (CDU), Innenminister von Brandenburg.
    Schwerkriminelle und islamistische Gefährder aus Afghanistan und Syrien sollen künftig dorthin abgeschoben werden. Das wurde auf der Landes-Innenministerkonferenz beschlossen. 21.06.2024 | 1:24 min

    CDU kritisiert Kanzler Scholz

    Beschlossen haben Bund und Länder nun eine Bezahlkarte für Geflüchtete ab Sommer. Bargeldobergrenze: 50 Euro. Ansonsten wurde vieles vertagt auf den 12. Dezember, wenn sich die Runde das nächste Mal trifft.
    Das ist nach den drei Landtagswahlen im Osten, aber neun Monate vor der Bundestagswahl. Ein konkretes Ergebnis dürfte in dieser Legislatur nur noch schwer umzusetzen sein.
    Für die Opposition lässt das eine offene Flanke. "Wir bräuchten dieses neue Treffen nicht in sechs Monaten, sondern in sechs Wochen", sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann der Bild-Zeitung. Und weiter:

    Scholz verschleppt Problemlösungen. Er ist nur noch zuverlässig, wenn es darum geht, neue Termine anzukündigen.

    Carsten Linnemann, CDU

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