Räumung von Protestdorf :Was bleibt ein Jahr nach Lützerath?
von Peter Böhmer
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Vor einem Jahr begann die Räumung des Ortes Lützerath in Nordrhein-Westfalen. Es folgten Gewalt und heftige Zusammenstöße zwischen Polizei und Umweltaktivisten.
Bei den Vorbereitungen zur geplanten Räumung des Dorfes Lützerath drängen Polizeibeamte Aktivisten von einem Erdwall zurück. (Archivbild)
Quelle: dpa
Lützerath ist das letzte Symbol in Nordrhein-Westfalen des Kampfes von Umweltaktivisten gegen das Abbaggern und Verfeuern fossiler Braunkohle. Nach einem Kompromiss zwischen dem Bund, dem Land NRW und dem Energiekonzern RWE vom Herbst 2022 sollte Lützerath noch verschwinden, um die darunter liegende Braunkohle zu fördern. Dafür sollten fünf andere Dörfer im Tagebaugebiet Garzweiler II erhalten bleiben.
Das Örtchen war von seinen Bewohnern schon lange verlassen worden, aber einige Dutzend Umweltaktivisten hatten sich in den verbliebenen Häusern und Gehöften breit gemacht und wollten so die Förderung der Kohle verhindern. Denn nach ihrer Auffassung ist die Verstromung der Kohle unnötig. Sie stützen sich dabei auf mehrere Gutachten unter anderem des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Demgegenüber stand ein Gutachten der Landesregierung.
Auch für die Grünen im Bundestag war das Thema Lützerath kein leichtes. 17.01.2023 | 8:03 min
Der Einsatz in Lützerath
Am 11. Januar letzten Jahres begann die Räumung mit bis zu 3.700 Beamten. Die Umweltaktivisten hatten sich nicht nur in den Gebäuden verschanzt, sondern harrten auch auf selbstgebauten Plattformen in Bäumen aus. Mit schwerem Gerät und Fahrzeugen ging die Polizei vor, und vier Tage später war alles vorbei, die Polizei kam viel schneller voran, als ursprünglich gedacht. Doch dazwischen lagen zum Teil sehr heftige Auseinandersetzungen, die Zahl der Aktivisten war dann bei der Großdemo auf mehrere Tausend gewachsen.
Sie kamen aus dem ganzen Bundesgebiet und auch aus dem Ausland, auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg schaute vorbei. Am 14. Januar dann die heftigsten Auseinandersetzungen: 5.000 Demonstranten durchbrachen zwei Polizeiketten und postierten sich am Rand des Tagebaus - für die Behörden wegen der tagelangen Regenfälle und des aufgeweichten Bodens und der Absturzgefahr eine lebensgefährliche Aktion. Es flogen Molotow-Cocktails, es wurde geschlagen, es flogen Steine.
Die Aufarbeitung: Polizei registriert 594 Straftaten
Ein Jahr danach zieht eine Ermittlungskommission der Aachener Polizei Bilanz: Anhand der akribischen Auswertung von einigen Tausend Videos und Fotos konnten 594 Straftaten angezeigt und verfolgt werden. 467 Straftäter und Straftäterinnen seien identifiziert worden, 156 Straftaten aufgeklärt worden. Das entspricht einer Quote von 26 Prozent. Weil laut des Berichts 90 Prozent der angreifenden Täter vermummt waren, ist die Polizei damit sehr zufrieden.
Unklar bleibt allerdings, wie viele der aufgeklärten Straftaten mittlerweile tatsächlich vor Gericht landeten. Ein Täter wurde wegen eines Faustschlags zu 5.400 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Polizei gab auch bekannt, dass es 32 Ermittlungsverfahren gegen Beamte wegen Körperverletzung gegeben habe. 21 seien eingestellt worden, in zwei Fällen habe es einen Strafbefehl gegeben.
Das Resümee: Unterschiedliche Sichtweisen
NRW-Innenminister Herbert Reul zeigt sich zufrieden:
Die Aktivisten seien zum Teil reisende Kader, über 75 Prozent der festgestellten Straftäter kämen nicht aus NRW. Sie wären etwa beim Durchbrechen der Polizeiketten strategisch vorgegangen: Einer habe eine Rauchbombe mit roter Farbe geworfen, ein anderer eine rote Fahne geschwenkt, und dann hätte die Masse die Beamten überrannt.
Vertreter von Naturschutzverbänden und Aktivisten beurteilen das Geschehen heute auf einer Pressekonferenz anders: Der BUND etwa sagt, die Abbaggerung von Lützerath sei unnötig gewesen. Der vom Landesgutachten prognostizierte Zuwachs der Stromerzeugung in den Kraftwerken vor Ort sei ausgeblieben, stattdessen habe es laut öffentlich zugänglicher Daten einen starken Rückgang gegeben. Dirk Jansen vom BUND-NRW:
Und Jule Fink von der Aktivisten-Organisation "Ende Gelände" sagt zu den Gewaltvorwürfen gegen Demonstranten: "Von wem geht die Gewalt aus? Es gab massive Polizeigewalt. Wir hatten ein 24-Stunden-Telefon, da haben 150 Leute angerufen. Es gab 15 Notarzt-Einsätze, es gab Knochenbrüche, Kopfverletzungen. Die Polizei hat auch auf passive Demonstranten eingeschlagen." Die Gegensätze scheinen unversöhnlich.