Gauck bei "Lanz": Kritik an "Wir schaffen das"

    Ex-Bundespräsident bei "Lanz":Gauck: Kritik an "Wir schaffen das"

    von Felix Rappsilber
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    Wenn politische Zielvorstellungen nicht klar genug seien, könne gute Politik leicht verspielt werden, warnt Bundespräsident a.D. Joachim Gauck bei "Markus Lanz".

    Markus Lanz vom 23. Juli 2024: Markus Lanz, Joachim Gauck
    Sehen Sie hier die Sendung Markus Lanz vom 23. Juli 2024.23.07.2024 | 75:49 min
    Bundespräsident a.D. Joachim Gauck betonte am Dienstagabend bei "Markus Lanz" die Wichtigkeit politischer Kommunikation:

    Wir haben natürlich Unterschiede im kommunikativen Vermögen unseres Führungspersonals. Da befinden wir uns in einem work-in-progress, würde ich mal gutwillig sagen.

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Gauck kenne die "Kritikpunkte, die Olaf Scholz zu Ohren bekommt". Scholz wird immer wieder vorgeworfen, zu sparsam zu kommunizieren. Der ehemalige Bundespräsident sagte:
    "Einen norddeutschen Typ wie ihn wird man nicht grundsätzlich verändern."
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    Der Vertrauensbonus der Deutschen

    Dennoch vermutete Gauck, dass die Berater des Bundeskanzlers mit ihm darüber reden würden, dass die Botschaft "Ihr dürft mir vertrauen" nicht ausreiche. Mit Blick auf Angela Merkel sagte er:

    Er hat eine sehr erfolgreiche Vorgängerin, die mit der Botschaft 'Ihr kennt mich und ihr könnt mir vertrauen' im Grunde was sehr Wichtiges mitgenommen hat: Das ist der Vertrauensbonus einer rechtstreuen Bevölkerung gegenüber rechtstreuen Politikern.

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Solange diese Politiker nicht im Geruch stehen würden, korrupt oder egoman zu sein, hätte Deutschland eine "Neigung zum Vertrauen zu unseren Führungskräften".
    Das funktioniere "jedenfalls eine Zeit lang", bis ein Defizit entstehe.
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    "Wir schaffen das": Raum der Vermutungen

    Angela Merkel hatte mit dem Satz "Wir schaffen das" ihre Haltung zur Flüchtlingskrise 2015 zum Ausdruck gebracht. Gauck sagte: "Der Satz ist an und für sich richtig. Dann kommt aber ein Raum der Vermutungen, weil nicht mehr erkennbar wird, wann und mit welchen Methoden wir was schaffen wollen."
    Daraus entstehe eine "Erwartungshaltung", die Misstrauen wachsen lasse, wenn nicht reagiert werde. Gauck weiter:

    Misstrauen ist diese Vorstufe zu diesem Frust und zu dieser Wut, die wir in einem Teil der Bevölkerung und im Netz sehen.

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Würden "Probleme und Ängste" von den demokratischen Parteien nicht bearbeitet, "dann finden sich welche, die das bearbeiten". Daher hätten sich die "Nationalpopulisten" über die Flüchtlingskrise 2015 "total gefreut".
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    Abschiebungen: "Zielvorstellungen noch nicht klar genug"

    Wenn "ich eine Politik nicht zu erklären vermag", die "Zielvorstellung noch nicht klar genug ist", könne gute Politik leicht verspielt werden: "Wenn ich nicht genau weiß, ob ich abschieben will, wie viele ich abschieben will, wie viele Menschen ich zulassen will, ob ich Grenzkontrollen tatsächlich machen will oder nicht (...), dann kann ich es auch nicht kommunizieren."
    Joachim Gauck spielte damit auf eine Aussage des Bundeskanzlers an: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben." Scholz habe wahrgenommen, dass zur Migrations-Thematik etwas gesagt werden müsse.
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    Zuwanderungsproblem als "Trigger-Element"

    In allen europäischen Staaten sei zu sehen, dass das "nicht geregelte Zuwanderungsproblem" ein Trigger-Element für das "Unbehagen" der Wählergruppen sei, die nach "rechtsaußen" gingen. Gauck sagte:
    "Das erkennt die Politik. Dann sagt sie: 'Wir haben es erkannt'. Dann wird es ein Aufatmen geben und das würde politisch Erfolg haben, wenn danach Ereignisse erscheinen, die dieser Ankündigung entsprechen."
    Diese Ereignisse sehe man "zu wenig". Die EU-Asylreform, welche der Kanzler vertrete, enthalte "wichtige Entscheidungen". Doch wenn die Partner nicht da seien, "die uns dabei helfen, abzuschieben und Leute zurückzunehmen", dann geschehe nichts. Gauck sagte:

    Jetzt wäre es immer noch hilfreich zu erklären: Was haben wir alles versucht, um das, was wir angekündigt haben, umzusetzen?

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Vielfach werde politische Kommunikation als "Mittel zum Zweck" empfunden, aber sie sei viel stärker "ein essenzielles Element des Politischen".

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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