Sorge vor Rechtsruck und AfD:Gauck: Zuwanderung "steuern und begrenzen"
von Marie Scholl
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Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sorgt sich um den Zustand der Demokratie. Für den Erfolg der AfD macht er auch die Flüchtlingspolitik verantwortlich.
Als 2015 viele im "Refugees Welcome"-Fieber waren, äußerte sich der damalige Bundespräsident Joachim Gauck schon kritisch zur Aufnahme von Geflüchteten. Wie er heute dazu steht.11.03.2024 | 3:01 min
In die Amtszeit des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck fiel eines der prägendsten Ereignisse der jüngeren Geschichte: Die Flucht- und Migrationskrise 2015 und 2016.
Er macht sich damals stark für eine offene Debatte - auch über Probleme, die Migration mit sich bringt. Heute sieht er im Gespräch mit dem ZDF beim Thema Migration immer noch Handlungsbedarf.
Gauck plädiert dafür, "an einem Punkt, der uns als humane Menschen unangenehm" sei, "Handlungsfähigkeit an den Tag zu legen". Das heißt für ihn im Klartext: Zuwanderung zu begrenzen. Eine strenge Einwanderungspolitik als Antwort auf die AfD.
Beispiel Dänemark: Strengeres Asylrecht
Wie es beispielhaft gehen könne, zeige sich in Dänemark. "Die dänischen Sozialdemokraten haben über Abgrenzung und ein Zuwanderungsstopp gesprochen. Plötzlich war eine Wählerschaft wieder zurückgekommen zur Sozialdemokratie und die Nationalpopulisten waren unter fünf Prozent", so Gauck.
Dänemark hat ein strenges Asylrecht, das viele Dänen unterstützen. Dort regelt ein Gesetz unter anderem, dass Geflüchteten Schmuck abgenommen werden darf, um ihren Aufenthalt zu finanzieren. Der Ansatz ist umstritten.
Gauck: "Begrenzung klingt zunächst unmenschlich"
Der Altbundespräsident möchte, dass diese Debatten auch in Deutschland stärker geführt werden - auch wenn solche Maßnahmen bedeuten würden, dass weniger Menschen geholfen wird.
Gauck fühlt ein Dilemma. Der 84-Jährige war lange Pastor und wägt im Rückblick zwischen seiner Rolle als Christ, Mensch und Präsident ab. "Jetzt über Begrenzung zu sprechen, klingt zunächst unmenschlich", sagt er. Doch er könne eben in der Politik nicht immer seinem Herzen folgen.
Als Anas Modamani 2015 ein Selfie mit Angela Merkel macht, wird er zum Symbol der Willkommenskultur. Was hat das Bild für ihn geändert?18.04.2024 | 3:33 min
Berühmter Satz in Opposition zur Kanzlerin
Während der Fluchtkrise 2015 hat er Angela Merkels berühmtem "Wir schaffen das" einen weiteren geschichtsträchtigen Satz hinzugefügt. Im September 2015 mahnt er:
Endliche Möglichkeiten spricht zu der Zeit kaum eine prominente, ausgeruhte politische Stimme an in einem Deutschland, in dem Flüchtlinge euphorisch an Bahnhöfen begrüßt werden.
"Wenn wir nur die Stammtische über Probleme mit Migration reden lassen, das bringt nichts. Ich wollte, dass die Mitte der Gesellschaft über Gewinn und Problematik spricht", erklärt Gauck sein damaliges Statement heute. Er wünscht sich eine offene Debatte, in der Probleme angesprochen werden können, ohne dass man gleich als reaktionär beschimpft werde.
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Kritik an Merkel: "Nicht genug gekommen von: Wie schaffen wir es"
Der Altbundespräsident habe Angela Merkel unterstützt, als sie gesagt hat: "Wir schaffen das". Aber: "Dann ist eben nicht genug gekommen von: Wie schaffen wir es? Und da kam dann diese Unsicherheit", sagt Gauck. Wenn Politiker den Menschen keine Sicherheit geben, indem sie klare Antworten liefern, würden viele das Vertrauen in die Politik verlieren.
Vertrauensverlust in der Bevölkerung, durch den Umgang mit der Fluchtkrise 2015, durch fehlende Antworten auf die Frage nach dem "Wie schaffen wir es?" Gauck sieht einen direkten Zusammenhang zum Zuwachs populistischer Parteien.
Im ZDF-Politbarometer ist die AfD zweitstärkste Kraft. 55 Prozent der Befragten bezweifeln, dass Deutschland die vielen Flüchtlinge, die aus Krisengebieten nach Deutschland kommen, verkraften kann (8. März 2024). Dabei ist die Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland vielerorts besser organisiert als 2015.
Geflüchtete in Arbeit bringen: "Mehr Fantasie nötig"
Ihm sei wichtig, bei allen Herausforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren, was Deutschland schon alles geschafft hat, betont der Altbundespräsident. Und: Integration klappe auch, indem man Geflüchteten schnell helfe, einen Job zu finden. "Da ist mehr Fantasie nötig", so Gauck.
Arbeiten dürfen Geflüchtete aktuell nur mit einer Arbeitserlaubnis. Bis die ausgestellt ist, dauert es oft Monate, in denen die Menschen zur Untätigkeit gezwungen sind.
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