Steuerraub: So versagt der Staat bei Cum-Ex-Aufklärung

"Cum Ex" - diese Worte stehen für den wohl größten Finanzkrimi und Steuerraub in der Geschichte Europas. Anne Brorhilker, die erfolgreichste Cum-Ex-Ermittlerin in Deutschland, hatte zuletzt scharfe Kritik an Banken und deren Anwälten geübt, die in den Skandal verwickelt sind. Dem "Handelsblatt" sagte sie, es sei alles getan worden, "um unsere Arbeit zu erschweren und in die Länge zu ziehen".

Ende Mai verließ sie den Justizdienst, arbeitet nun als Geschäftsführerin bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Was veranlasste die erfolgreiche Top-Ermittlerin dazu, ihr Amt hinzuwerfen? Wie funktionieren die Cum-Ex-Geschäfte, warum ist die Aufklärung des Skandals so schwer? Und was genau hat Bundeskanzler Olaf Scholz damit zu tun? ZDFheute mit einem Überblick.

Bei der Cum-Ex-Masche lassen sich die Akteure mehrfach Kapitalertragssteuern zu Unrecht erstatten. Dafür werden Aktienpakete mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag hin und hergeschoben - also dann, wenn die Unternehmen den Aktienbesitzern ihre Gewinnbeteiligungen ausschüttten. Am Ende soll es für den Staat so aussehen, als würden mehrere Investoren dieselben Aktien besitzen.

Auf Dividendenzahlungen fällt in Deutschland die sogenannte Kapitalertragssteuer an, die auch erstmal bezahlt werden muss. Allerdings sind zum Beispiel Fonds und Banken von der Steuer ausgenommen. Sie erhalten einen Steuerbescheid und können sich das Geld zurückholen. Bei der Cum-Ex-Masche beantragen einfach mehrere Akteure die Erstattung der nur einmal gezahlten Kapitalertragssteuer. Mindestens zehn Milliarden verlor allein der deutsche Staat, bezieht man ähnliche Deals wie CumCum mit ein, erreicht der Schaden mindestens 35 Milliarden Euro. Europaweit sollen es über 150 Milliarden Euro Schaden sein.

Schon 1999 gibt es erste Hinweise auf solche Geschäfte, 2002 macht sogar der Bankenverband das Bundesfinanzministerium auf das Problem aufmerksam. Aber statt Maßnahmen zu ergreifen, übernimmt das Ministerium zum Teil wörtlich einen Gesetzesvorschlag des Bankenverbands - der es erlaubt, die Cum-Ex-Geschäfte weiterhin durchzuführen. Heißt: Statt die Cum-Ex-Geschäfte einzudämmen, gibt man ihnen eine gesetzliche Grundlage.

Eine maßgebliche Rolle dabei spielt Arnold Ramackers, Steuer-Experte im Bundesfinanzministerium. Er nutzt seine Position, um Hinweise auf Cum-Ex-Geschäfte zu verschleiern und sicherzustellen, dass Gesetze gegen die Cum-Ex-Praktiken nicht verschärft werden. Ramackers arbeitet sozusagen als Spitzel für die Banken im Finanzministerium - finanziert von Steuergeld. Mitte 2008, kurz vor seiner Pensionierung, wechselt er offiziell zu verschiedenen Bankenverbänden, arbeitet aber informell weiter für das Ministerium und hielt seine Kontakte aufrecht.

Erst 2012 kommt es zu einer Reform, die Cum-Ex-Geschäfte verhindert. Doch die Aufarbeitung erweist sich als extrem schwierig. Eine Schlüsselrolle dabei spielt Anne Brorhilker, eine Staatsanwältin aus Köln. 2014 koordiniert sie eine weltweite Razzia, mit der vermutlich niemand gerechnet hatte. Unmengen an Beweisen können gesichert werden.

Brorhilkers Bilanz ist beeindruckend: Sie ließ gegen über 1.700 Beschuldigte ermitteln, ihre Beharrlichkeit führt zu etlichen Verurteilungen. Ein Frankfurter Steueranwalt muss für acht Jahre in Haft.

Trotz ihres unermüdlichen Einsatzes stößt Brorhilker auf massive Widerstände und mangelnde Unterstützung innerhalb der Justiz und Politik. In einem Interview mit dem "Handelsblatt" beklagt sie aktuell, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. In diesem Bereich seien die Beschuldigten häufig "finanziell exzellent ausgestattet" und Ermittlungen würden gegen Geldauflagen eingestellt, sodass es nicht zu Verfahren komme. 2023 tritt Brorhilker zurück und wechselt zur NGO "Finanzwende", um dort weiter gegen Finanzkriminalität zu kämpfen.

Die Hamburger Warburg Bank ist tief in die Cum-Ex-Deals verwickelt. Als sie 2016 erwischt wird, fordert das Finanzamt zunächst 47 Millionen Euro zurück. Die Bankvorstände wollen die Zahlung abwenden, treffen sich mit dem regierenden Bürgermeister Hamburgs - und das war damals Scholz.

Wenig später wird die Rückzahlungsforderung widerrufen. Obwohl Scholz heute beteuert, sich an die Inhalte der Gespräche damals nicht zu erinnern, werfen diese Treffen bis heute Fragen über mögliche politische Einflussnahme auf.

Die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals ist noch lange nicht abgeschlossen. Mit Anne Brorhilker verliert die Justiz eine wichtige Figur im Kampf gegen Finanzkriminalität. Trotzdem: Im internationalen Vergleich ist Deutschland bei der Aufarbeitung von Cum Ex schon sehr weit - auch wegen Brorhilker. Ob ihr Nachfolger, der Oberstaatsanwalt Tim Engel, genauso viel Druck aushalten kann und genauso viel Rückgrat zeigt wie seine Vorgängerin, bleibt abzuwarten.