Interview
Finanzexperte De Masi zu Cum-Ex:"Für Scholz könnte es noch brenzlig werden"
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Half Scholz einer Hamburger Bank, als diese illegale Cum-Ex-Millionen zurückzahlen sollte? Laut Finanzexperte und Ex-Linken-Parlamentarier De Masi gibt es dafür zumindest Hinweise.
Olaf Scholz steht wegen der Cum-Ex-Affäre unter Druck.
Quelle: epa
ZDFheute: Man hat ihn schon oft gehört, trotzdem bleibt der Begriff abstrakt: Können Sie "Cum-Ex-Geschäfte" mal ganz einfach erklären?
Fabio De Masi: Cum-Ex-Geschäfte sind Aktiengeschäfte, bei denen Banken oder Fonds Aktien anderer Unternehmen rund um den Dividendenstichtag hin und herschieben - also dann, wenn Aktionäre ihre Gewinnbeteiligung bekommen. Der Staat kann in diesem Karussell nicht mehr einwandfrei erkennen, wer der Eigentümer der Aktie ist. Es wird dann mehrfach die Erstattung von Kapitalertragssteuern vom Staat beantragt, die jedoch nur einmal bezahlt wurden. Am Ende wird die Beute dieser Cum-Ex-Deals unter den Banken geteilt.
Man kann sich das so vorstellen: Wenn ich in den Supermarkt gehe, eine Bierflasche abgebe, den Pfandbon nehme, ihn auf dem Kopierer lege und mir dann mit meinen Freunden ganz häufig Flaschenpfand auszahlen lasse. Mit dem Unterschied, dass die Supermarktkasse das Finanzamt ist und es bei Cum-Ex nicht um Flaschenpfand, sondern Milliarden geht.
ZDFheute: Wie ist diese Betrugsmasche aufgeflogen?
De Masi: Diese Art des Betrugs lief viele Jahre. Ein Cum-Ex-Geschäft mit mehreren Beteiligten macht nämlich für die einzelne Bank oder den Fonds nur Sinn, wenn es am Ende den Griff in die Staatskasse gibt. Sonst macht man bei diesen Deals Verluste. Daher müssen sich immer mehrere Banken dazu verabreden.
Irgendwann sind dann die Finanzgerichte eingeschritten und haben erste Urteile gefällt. Dann haben die Finanzämter angefangen, diese Kapitalertragssteuer nicht mehr zu erstatten und auch Rückforderungen zu stellen an die Banken. Die Politik hat zwischenzeitlich das Cum-Ex-Schlupfloch sogar unter Einfluss der Bankenlobby vergrößert.
Quelle: Olaf Kostritz
Fabio De Masi ist ein Finanzexperte, Autor, Kolumnist und Fellow des Vereins "Finanzwende". Bis 2021 war er Abgeordneter und finanzpolitischer Sprecher für die Linke im Bundestag, davor Abgeordneter im Europaparlament.
Im Bundestag initiierte er Befragungen des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz zum Cum-Ex-Skandal in Hamburg und war Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss.
Im Bundestag initiierte er Befragungen des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz zum Cum-Ex-Skandal in Hamburg und war Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss.
ZDFheute: Im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften fällt ja immer wieder der Name der Hamburger Warburg Bank. Wieso spielt diese Bank so eine große Rolle?
De Masi: Das Hamburger Finanzamt forderte von der Warburg Bank auch Geld zurück. Eine sehr traditionsreiche Hamburger Privatbank, damals mit dem sehr einflussreichen Eigentümer Christian Olearius. Er hätte als Gesellschafter mit seinem Privatvermögen haften müssen, wenn die Bank durch die Rückzahlung der geraubten Steuer-Millionen in Schieflage gekommen wäre. Deshalb wandte er sich an den damaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz.
ZDFheute: Inwiefern ist Olaf Scholz in die Cum-Ex-Affäre verwickelt?
De Masi: Scholz hat sich mehrfach mit Olearius getroffen, obwohl Olearius bereits Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren war und eine Razzia bei der Warburg Bank stattgefunden hatte. Insgesamt dreimal trafen sich die beiden, zweimal davon ohne weitere Zeugen. Der Hamburger Senat hat auf eine Anfrage der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft zunächst jegliche Treffen abgestritten. Durch Recherchen von Investigativ-Journalisten, in deren Hände die Tagebücher von Olearius gefallen waren, kam dann eines der drei Treffen heraus.
Daraufhin habe ich eine Befragung von Olaf Scholz im Bundestag beantragt, bei der ich ihn nach weiteren Treffen mit Olearius gefragt habe. Die hat er nicht offenbart. Später kam dann heraus, dass es noch zwei weitere Treffen gab. Scholz sagte dazu, er habe sich an diese Treffen nicht mehr erinnern können. Scholz räumte die weiteren Treffen dann erst bei einer dritten Befragung zur Warburg-Affäre nach erneuten Veröffentlichungen der Journalisten ein. Er behauptete, erst jetzt seinen Kalender richtig überprüft zu haben, obwohl die ganze Angelegenheit bereits seit Monaten ein Riesen-Thema war.
ZDFheute: Worum ging es bei den Treffen?
De Masi: Olearius wollte das erbeutete Geld nicht zurückzahlen. Und tatsächlich hat die Stadt Hamburg dann entschieden, die Forderungen des Finanzamtes steuerlich verjähren zu lassen, obwohl die Finanzbeamten das Geld zunächst einziehen wollten. Es ging dabei um viele Millionen Euro. 2016 um 47 Millionen Euro, auf die die Stadt Hamburg verzichtete. 2017 wollte Hamburg dann 43 Millionen Euro erneut verjähren lassen. Allerdings schritt dann das Bundesfinanzministerium ein und zwang Hamburg per Weisung, etwas zu unternehmen.
Es ist zwar so, dass die Gelder später dann doch noch gerettet werden konnten. Das war aber damals noch nicht absehbar. Erst vier Jahre später hat ein Richter sowie später auch der Bundestag eine neue Möglichkeit geschaffen, dass man Tatbeute, die steuerlich schon verjährt ist, in einem Strafprozess nochmal einziehen kann. Andernfalls hätte es Millionenverluste für die Stadt Hamburg gegeben.
ZDFheute: Olaf Scholz ist bald wieder im Hamburger Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal geladen. Was wird ihm genau vorgeworfen?
De Masi: Es geht um die Frage, ob er als Erster Bürgermeister von Hamburg in dieses Steuerverfahren eingegriffen hat. Das bestreitet Scholz, laut Olearius' Tagebüchern soll er aber ein Schreiben von Olearius angenommen haben. Er telefonierte dann zwei Wochen später dazu mit Olearius und hat ihm geraten, dieses Schreiben bitte ohne Kommentar - also ohne schriftliche Spuren - an den damaligen Finanzsenator, Peter Tschentscher, weiterzuleiten.
Von Tschentscher ist es dann mit dessen Anmerkungen runter an die Finanzverwaltung gewandert. Kurz darauf wurde die Finanzbeamtin, die das Geld einziehen wollte, von der Finanzbehörde - dem Hamburger Finanzministerium - einbestellt. Anschließend kippte ihre Entscheidung.
Der wohl größte Steuerskandal der deutschen Geschichte. Cum-Ex und andere undurchsichtige Aktiengeschäfte haben den Staat - und damit uns allen - Milliarden gekostet.19.03.2020 | 44:33 min
ZDFheute: Welche Folgen könnte die Affäre für Scholz und Tschentscher denn noch haben?
De Masi: Wenn es Belege oder Aussagen gäbe, dass Scholz oder Tschentscher Einfluss genommen haben auf das Steuerverfahren gegen die Warburg Bank, dann wäre das Begünstigung der Steuerhinterziehung und strafbar. Bisher gibt es vor allem die Aussage von Scholz, er hätte das Schreiben von Olearius bewusst nicht an die Hamburger Finanzverwaltung gegeben, weil sonst der Eindruck entstanden wäre, er hätte politischen Einfluss nehmen wollen als Bürgermeister.
Das Interessante ist, dass er gleichzeitig Olearius angerufen und ihn aufgefordert hat, das Schreiben an den Finanzsenator Tschentscher zu geben. Der hat es dann - wie gesagt - hinunter in die Verwaltung geschickt mit seinen Anmerkungen. Und insofern könnte man zumindest sagen, dass diese Einflussnahme im Prinzip für Herrn Tschentscher belegt ist, wenn man das so wertet, wie Herr Scholz es gewertet hat. Nämlich, dass so ein Schreiben in einem laufenden Steuerverfahren durch einen Politiker mit dessen Anmerkungen in die Finanzverwaltung zu schicken, problematisch ist.
ZDFheute: Ermittlungen gibt es bereits gegen den früheren Hamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs von der SPD - wegen Begünstigung der Steuerhinterziehung. Bei ihm wurden mehr als 200.000 Euro gefunden. Inwiefern stehen er und dieses Geld mit der Cum-Ex-Affäre in Verbindung?
De Masi: Kahrs hat offiziell Spenden von der Warburg Bank angenommen, die dann an seinen Bezirksverband, aber auch an den Landesverband der SPD gingen. Diese Spenden sind bis heute nicht zurückgezahlt. Laut Tagebuch hatte Kahrs Olearius versprochen, Olaf Scholz auf das Treffen mit Olearius vorzubereiten.
Jetzt wurden bei ihm im Zuge der Ermittlungen diese 200.000 Euro Bargeld in einem Schließfach gefunden. Bargeld hinterlässt keine elektronischen Spuren und bei Einzahlung auf sein Konto hätte Kahrs die Herkunft der Gelder belegen müssen. Die Warburg Bank bestreitet, dass das Geld von ihr kommt und Kahrs schweigt dazu. Das Bargeld ist daher meines Erachtens gar nicht so wichtig. Wichtiger ist, ob es einen Kontakt von Kahrs mit Scholz zur Warburg Bank gab. Auch daran will sich der Kanzler nicht erinnern.
Das Interview führte Michael Claus.
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