Jüdische Restaurants: "Wir sind hier nicht mehr sicher"

    Boykottaufrufe und Drohungen:Jüdische Restaurants: "Wir sind nicht sicher"

    Ninve Ermagan
    von Ninve Ermagan
    |

    Einnahmeverluste, Drohungen, Polizeischutz: Das ist Realität für manches jüdische Restaurant in Deutschland. Ein Lokal musste schließen, ein anderer Inhaber möchte auswandern.

    Archiv: Über 2000 Menschen folgen nehmen an einer pro-israelischen Solidaritaetskundgebung auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor teil.
    Israel-Boykott und Anschlagsaufrufe der Hamas gegen jüdische Lokale haben ein Klima der Angst geschaffen. (Archivbild)
    Quelle: Imago

    Dramatische Einnahmeverluste, ständige Drohungen und ein permanenter Bedarf an Polizeischutz - das ist die bedrückende Realität für einige jüdische und israelische Restaurants in Deutschland. Der Boykott israelischer Lokale hat seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober ein solches Ausmaß angenommen, dass in der Folge ein Restaurant schließen musste und andere Besitzer darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. ZDFheute hat mit Betroffenen gesprochen.
    Am 6. Juni verkündete das Restaurant "Bleibergs" in Berlin-Wilmersdorf auf Facebook: "Aufgrund der Ereignisse vom 7. Oktober" bleibt das Lokal dauerhaft geschlossen. Nach 20 Jahren habe man diesen schweren Entschluss gefasst.
    Seit dem Wiederaufflammen des Nahost-Konflikts zwischen Israel und der Hamas bleiben hier die Gäste aus. "Die Einnahmen sind sehr schlecht und wir haben in diesen acht Monaten Verluste von über 80.000 Euro", berichtet der Besitzer Chaimi Fröhlich im ZDFheute-Gespräch.
    Demonstration linker Gruppen in Berlin-Neukölln: Einige Teilnehmer tragen Palästinenser-Tücher und Palästina-Fahnen
    Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel erleben Juden in Deutschland offenen Hass. Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat sich deutlich erhöht.23.01.2024 | 8:38 min

    Restaurant zieht nach Anfeindungen um

    Normalerweise sei das ein gut besuchtes Lokal, ein beliebter Anlaufpunkt für Touristen, doch mittlerweile hätten "die Menschen Angst, in ein Restaurant mit einer jüdisch-orthodoxen Ausrichtung zu gehen." Zahlreiche jüdische und israelische Touristen fühlen sich nicht mehr sicher in der Hauptstadt und verbringen ihren Urlaub in anderen Ländern, konstatiert Fröhlich.
    Aufgrund zahlreicher antisemitischer Anfeindungen hat auch das israelische Restaurant "DoDa’s Deli" in Friedrichshain den Beschluss gefasst, seinen Standort nach Wilmersdorf zu verlegen. In der Nähe einer jüdischen Synagoge erhofft sich das jüdische Paar Raz Rivlin und ihre Frau Jenny Rivlin mehr Schutz.
    Was zu Beginn des Gaza-Kriegs mit noch harmloseren Aktionen wie "Free Palestine"-Stickern an den Wänden ihres Restaurants anfing, eskalierte zu einer zunehmend bedrohlichen Situation, als eines Tages mehrere Männer die an den Fenstern hängenden Plakate der Hamas-Geiseln mit Bierflaschen beworfen haben.
    Vandalismus in einem israelischen Restaurant
    In einen Tisch im "DoDa"-Deli wurde "Fuck Israel" und "Free Gaza" eingeritzt.
    Quelle: ZDF

    Boykott-Aufrufe, negative Bewertungen: "Wir müssen weg"

    Als später "Free Gaza, Fuck Israel" in die Tische des Lokals geritzt wurde, fasste das Paar nach drei Jahren den endgültigen Entschluss:

    Wir müssen hier weg. Wir warten nicht bis es noch schlimmer wird.

    Raz Rivlin, Besitzerin von "DoDa’s Deli"

    Anfeindungen, Boykott-Aufrufe, negative Bewertungen - all das habe sich bis zu diesem Punkt vor dem Lokal abgespielt. "Dass es jemandem gelang, in unser Restaurant zu kommen und zu vandalieren, machte uns Angst."
    Protestcamp an der FU Berlin wird von der polizei geräumt
    Rund 150 propalästinensische Aktivisten haben zeitweise einen Hof der Freien Universität in Berlin besetzt. Die Hochschule stellte ihren Lehrbetrieb vorübergehend ein. Auch an anderen Universitäten gab teils gewaltsame Proteste.08.05.2024 | 1:41 min
    Die Besitzerinnen sind schockiert über den Hass, der ihnen entgegenschlägt: "Wir repräsentieren nicht die in Teilen rechtsextreme israelische Regierung."

    Wir wollen doch nur gutes Essen zubereiten und Menschen damit glücklich machen.

    Raz Rivlin, Besitzerin von "DoDa’s Deli"

    Doch die Realität sieht anders aus: "Viele Menschen haben sich von uns abgewandt, machen uns für das Leid in Gaza verantwortlich und unterstützen eine antisemitische Boykott-Kampagne gegen uns." Besonders im Netz hagelt es seit Monaten negative Bewertungen, berichten die Besitzerinnen.
    Antisemitismus-Kurse für Studierende
    Ein Imam und ein Rabbiner geben an der Freien Universität Berlin gemeinsam Kurse gegen Antisemitismus. Die Studierenden sollen lernen, was Antisemitismus ist und wie man ihm begegnet.28.05.2024 | 2:33 min

    Jüdischer Gastronom möchte Deutschland verlassen

    Der immer wiederkehrende Vorwurf laute: "Ihr habt palästinensische Gerichte gestohlen." Darüber kann Raz Rivlin nur lachen: "Manche glauben, dass Falafel und Hummus eine Erfindung der Araber sei." Diese Gerichte sind jedoch in allen Küchen Vorderasiens, der Levante und Nordafrikas weit verbreitet.
    Doch dieser Antisemitismus zeigt sich nicht nur in der deutschen Hauptstadt. In Frankfurt am Main sieht der jüdische Gastronom Nir Rosenfeld keine andere Wahl, als Deutschland in Zukunft zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Anrufer, die "Scheiß Juden" ins Telefon schreien und fragen: "Kocht ihr mit Gas?" haben seiner Familie als Nachkommen von Shoa-Überlebenden gezeigt: "Wir sind hier nicht mehr sicher."
    Antisemitismus gegen jüdisches Gastronomenpaar in Frankfurt
    Das jüdische Gastronomenpaar Nir und Sigal Rosenfeld überlegt aufgrund des grassierenden Antisemitismus, Deutschland zu verlassen.
    Quelle: ZDF

    Die negativen Google-Bewertungen für sein vegan-israelisches Restaurant Kuli Alma häufen sich - und seit mehr als einem halben Jahr meiden viele Gäste sein Lokal, da sie nicht bei "Genozid-Unterstützern essen" wollen.

    Eine Frau fragte uns sogar: "Unterstützt ihr Genozid?" und selbst als ich ihr klarmachte, dass wir nur für Frieden sind in Nahost, sagte sie das Catering ab.

    Nir Rosenfeld, jüdischer Gastronom aus Frankfurt

    Diese Haltung suggeriere: "Die Juden sind an allen Problemen Schuld."

    Umsatz geht um die Hälfte zurück

    Der Israel-Boykott und die Anschlagsaufrufe der Hamas gegen jüdische Lokale haben ein Klima der Angst geschaffen, was sich in den Zahlen widerspiegelt: Der Umsatz ist laut Rosenfeld teilweise um 50 Prozent zurückgegangen.

    Ich bin sehr traurig, dass jüdische Veranstaltungen nur noch mit viel Polizeipräsenz stattfinden. Und warum? Weil unser Leben angegriffen wird.

    Nir Rosenfeld, jüdischer Gastronom aus Frankfurt

    Kürzlich habe er ein Catering in einer Synagoge gemacht, und erschreckend festgestellt: "Dort waren mehr Sicherheitsleute als Gäste anwesend". Das Problem sei nicht primär die gefährliche antisemitische Minderheit, sondern die Mehrheit, "die diese Gefahr ignoriert."

    Israel und Gaza
    :Rückblick: Eskalation in Nahost

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Ein Rückblick.
    Demonstranten mit Plakaten, darunter eines mit der Geisel Noa Argamani

    Mehr zu Antisemitismus