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Debatte zur Einheit bei "Lanz":Lemke: Höcke hat Thüringen gezielt ausgesucht
von Pierre Winkler
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Nach dem Tag der Deutschen Einheit kritisiert Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Schwerpunkte der Feierlichkeiten. Und sie liefert ihre Sicht auf die Stärke der AfD im Osten.
Sehen Sie hier die Sendung Markus Lanz vom 4. Oktober 2023. 05.10.2023 | 44:00 min
Neben Bundesbauministerin Klara Geywitz ist Steffi Lemke das einzige Mitglied des aktuellen Ampel-Kabinetts, das in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen ist.
Über die friedliche Revolution in der DDR 1989 sagt Lemke bei Markus Lanz:
"Und das findet von Jahr zu Jahr in den Feierlichkeiten des 3. Oktober immer weniger statt."
Das sei auch in diesem Jahr bei der zentralen Feier in Hamburg zu sehen gewesen, wo es in erster Linie um die Deutsche Einheit und nur am Rande um die Revolution und das Freiheitsstreben der DDR-Bürger gegangen sei. Letzteres habe die Wiedervereinigung aber überhaupt erst möglich gemacht.
Lemke: Umgang mit Leistung der DDR-Bürger "Unverschämtheit"
Lemke stammt aus Dessau im heutigen Sachsen-Anhalt und gehörte 1989 zu den Gründern der Grünen in der DDR. Sie kritisierte, dass heute die Leistungen der DDR-Bürger für das geeinte Deutschland zunehmend in Vergessenheit gerieten.
Und mehr noch: "Denjenigen, die die Mauer eingerissen haben", werde jetzt vorgeworfen, "sie hätten keine Ahnung von Demokratie und wären in diesem Land irgendwie eigenartig". Das sei eine "Unverschämtheit".
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"Blühende Landschaften" als Klischee?
Die Menschen im Osten hätten nach der Wiedervereinigung einiges über sich ergehen lassen müssen. "Dieser Spruch von den 'blühenden Landschaften': Ich weiß gar nicht, ob Jüngere das heute noch wissen, aber dieses Versprechen, diese Suggestion, der Westen ist da und jetzt bekommt ihr blühende Landschaften, transportiert letzten Endes ja auch das Klischee: 'Vorher habt ihr in Schutt und Asche gelegen'", sagte sie in Anspielung an Helmut Kohls Versprechen an die neuen Bürger der Bundesrepublik.
Vor allem ältere Ostdeutsche hätten das Gefühl gehabt, die "Erfolgsgeschichte von Erneuerung, von Modernisierung, von teilweise besserer Infrastruktur" werde im Westen vor allem als "Kostenfaktor" wahrgenommen.
"Bis hin dazu, dass lange Zeit verbreitet wurde, dass die Westdeutschen den Solidaritätszuschlag bezahlen und damit den Aufbau Ost finanzieren", sagte Lemke. Dabei zahlten alle Bundesbürger in Ost und West den Solidaritätszuschlag.
Lemkes Erklärung für Erfolg von Höcke und der AfD
Unter anderem dieser Hintergrund habe etwa auch der AfD im Osten den Boden bereitet. "Dass Herr Höcke in Thüringen Erfolg hat, das hat in erster Linie damit zu tun, dass er in Thüringen agiert und nicht in Niedersachsen oder in Schleswig-Holstein", sagte Lemke über den Chef der Thüringer AfD.
"Sondern dass ganz gezielt diese Länder ausgesucht worden sind mit der schwierigen Umbrucherfahrung, mit Verwerfungen auf der sozialen Ebene, auf der ökonomischen Ebene."
Der aus Westfalen stammende Höcke sei dabei ein Paradebeispiel.
"Dass eine Gesellschaft, die eine solche Transformationserfahrung, eine solche Umbrucherfahrung hatte, von Demagogen möglicherweise leichter beeinflusst werden kann als eine, die über viele Jahrzehnte stabil gewachsen ist, sich entwickeln konnte aus sich heraus, das liegt glaube ich auf der Hand."
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