Hass und Gewalt in der Pandemie:Bedrohte Ärzte: Impfung mit Polizeischutz
von Julia Klaus
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Impfgegner vor und in der Praxis, Drohnachrichten, Leichenzeichnungen - impfende Ärzte können in der Pandemie nicht einfach ihren Job machen. Wie groß das Problem ist - unklar.
Die Dynamik der Impfgegner-Szene12.04.2022 | 10:59 min
Eine Impfgegnerin in Camouflage-Kleidung steht plötzlich in der Praxis von Wolfgang von Meißner. Die Frau ruft "Todesspritze", eine Maske trägt sie nicht. Der Allgemeinmediziner bittet sie höflich: "Es wäre uns recht, wenn Sie die Praxis verlassen würden." Doch sie entgegnet: "Ich muss verhindern, dass Sie die Kinder zu Tode spritzen." Wolfgang von Meißner hat die Szene gefilmt und sie ZDFheute zur Verfügung gestellt. Er sichert das Material - für die spätere Anzeige bei der Polizei.
Nur wenige Tage zuvor waren Menschen mit Fackeln vor seiner Praxis in Baiersbronn aufgelaufen. Meißner impft Kinder off label, also ohne Zulassung, und er spricht auch darüber. Andere Ärztinnen und Ärzte tun das lieber nicht - auch aus Sorge vor Übergriffen.
Impfärzte wie von Meißner stehen in der Pandemie gewissermaßen an vorderster Front: Sie sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass weniger Menschen erkranken und sterben, bekommen aber auch all die Skepsis, die Kritik und den Hass derjenigen ab, die gegen die Impfung oder die Corona-Politik sind.
Angst vor Tat wie dem "Maskenmord" von Idar-Oberstein
ZDFheute hat mit Ärztinnen und Ärzten gesprochen, die über Übergriffe berichten - meist bleibt es bei verbalen Angriffen, doch die Sorge vor einer Tat wie in Idar-Oberstein, wo ein Tankstellenmitarbeiter erschossen wurde, weil er auf die Maskenpflicht hingewiesen hat, sitzt tief.
Da ist der Hausarzt Christian Kröner, der vor seiner Praxis im bayerischen Neu-Ulm Polizeischutz zum Impfen benötigte. Kröner hatte sich öffentlich für Kinderimpfungen ausgesprochen - und wurde danach massiv bedroht.
Polizeischutz bekam auch der niedersächsische Hausarzt Florian Balkau, nachdem eine ungeimpfte Patientin behauptet hatte, dass er nur Geimpfte behandle. "Ich weiß gar nicht, ob die Leute ungeimpft sind", sagt er.
Vor der Praxis der Allgemeinmedizinerin Doktor Barbara Häcker in Oerel waren mit Sprühkreide die Umrisse einer Leiche auf den Boden gemalt. "Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt", sagt sie.
Morddrohungen und Hass im Netz
Als eine Art Dauerfeuer erhalten Ärztinnen und Ärzte auch Online-Drohungen und Diffamierungen. Die Ärztin und Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams-Nobmann sagt: "Ich werde als 'Pharma-Schlampe' beschimpft und es wird behauptet, ich sei 'gekauft'." Der Hausarzt Marc Hanefeld sagt, den meisten Hass bekomme er über die sozialen Medien.
Über den Messenger-Dienst Telegram wurde bereits mehrfach die Adresse des HNO-Arztes Christian Lübbers gepostet. "Ich bekomme dann hunderte Mails oder Briefe mit Corona-Bezug. 'Eure Leichen wird man auf den Feldern verteilen' und Ähnliches. Dass man sich da bedroht fühlt, liegt auf der Hand. Daher bringe ich solche Zuschriften auch konsequent zur Anzeige."
Radmutter lose gedreht - Ermittlungen laufen noch
Ein besonders erschütterndes Beispiel ist das einer Hamburger Ärztin. Sie fuhr mit ihrem Sohn auf der Autobahn, als ihr Auto rumpelte. In der Werkstatt stellte sich heraus: Zwei Radmuttern waren abgeschraubt und die Radkappe wieder angebracht worden. Das Rad hätte abfallen und einen lebensbedrohlichen Unfall verursachen können. In einem Video zeigt sie, wie sehr das Rad schlackerte. "Die Polizei wies mich bei der Anzeige darauf hin, dass das mit meinem Beruf zu tun haben könnte." Die Ermittlungen laufen noch.
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Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt sagt zu ZDFheute: "Für viele Mitarbeitende im Gesundheitswesen gehört es zunehmend zum beruflichen Alltag, dass ihnen Aggressivität entgegenschlägt."
Bedrohung von Ärztinnen und Ärzten nicht erfasst
Wie groß das Problem wirklich ist, wird nicht bundesweit erfasst. Das Bundeskriminalamt, die Bundesärztekammer und der Hausärzteverband haben keine Zahlen dazu, wie oft Ärztinnen und Ärzte in der Pandemie angegriffen werden. Oft sind es Einzelfälle, die bekannt werden, berichten auch die Landesärztekammern.
Zwar listet das BKA für das Jahr 2020 3.559 politisch motivierte Straftaten, die mit der Pandemie zusammenhängen. Aber dazu zählen auch Vorfälle auf Demonstrationen. Würde man hier einen neuen Bereich mit differenzierten Angriffszielen schaffen, ließe sich das Phänomen sichtbar machen.
Mit Solidarität und einem Heißwasser-Kärcher
Hausarzt Wolfgang von Meißner, in dessen Praxis die Impfgegnerin wütete, redete so lange mit der Frau, bis sie sich setzte und auf die Polizei wartete. Er kam mit Höflichkeit zum Ziel - und berichtet auch von der Solidarität seiner Patientinnen und Patienten: "Ich habe noch nie so viele Weihnachtsgeschenke bekommen wie letztes Jahr."
Die Hausärztin Barbara Häcker erzählt von den Helfern, die ohne viel Aufhebens die Leichenzeichnungen entfernten.