Auf den ersten Blick trotzt die russische Wirtschaft den Sanktionspaketen - aber nachhaltig ist dieser Erfolg nicht. Ein Experte ordnet die Lage ein und wagt eine Prognose.
Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist das Leben in Russland repressiver geworden. Viele Gesetze verbieten Kritik am Krieg und am Kreml.
22.02.2024 | 2:23 min
Seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren verhängte die EU ein ganzes Bündel an beispiellosen Sanktionen gegen Russland: Das Auslandsvermögen der russischen Zentralbank, rund 300 Milliarden Euro, ist geblockt. Die meisten Banken des Landes sind vom internationalen Zahlungssystem Swift abgekoppelt. Es gibt einen Preisdeckel für russisches Öl und ein Verbot für Kohleausfuhren und Diamantenhandel. Russische Schiffe dürfen keine europäischen Häfen mehr ansteuern.
Ein 13. Sanktionspaket brachte die EU diese Woche auf den Weg, um Russland weiter von Technologien und Märkten abzuschneiden. Doch Russlands Wirtschaft hat schnell Wege gefunden, die Sanktionen zu umgehen und zeigt sich trotz aller Hindernisse überraschend robust. Der IWF verdoppelte sogar gerade seine Wachstumsprognose für das Land auf 2,6 Prozent. Doch das Wachstum ist kein gesundes - auf Dauer zehrt es an Russlands wirtschaftlicher Substanz.
Fragen an Michael Rochlitz, Professor für die Volkswirtschaften Russlands, Eurasiens und Osteuropas an der Universität Oxford. Von 2013 bis 2017 lehrte er an der Higher School of Economics in Moskau.
Umstellung auf Kriegswirtschaft: Der Kreml lenkt inzwischen ein Drittel des gesamten Staatshaushalts in die Kriegswirtschaft.
Moskau hat es geschafft, die Finanzsanktionen über Rubelzahlungen und Drittstaaten abzufedern und dabei den Rubel zu stabilisieren.
China ist als Technologielieferanteingesprungen und nimmt Russland - wie auch Indien - viel Öl und Gas ab.
Handelssanktionen werden geschickt unterlaufen: Über Schleichwege und Drittstaaten, wie China, Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie die ehemaligen GUS-Staaten Zentralasiens, gelangen weiterhin westlich produzierte Komponenten, wie Elektro- und Computerteile und Halbleiter nach Russland.
ZDFheute: Was bedeutet die Umstellung auf Kriegswirtschaft?
Michael Rochlitz: 2024 gibt Russland 30 Prozent seines Staatshaushaltes für die Verteidigung aus, das sind sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. Das ist noch nicht so viel wie in der Sowjetunion, die schließlich an ihrem riesigen Militärapparat zugrunde gegangen ist. Es ist aber trotzdem eine gewaltige Hypothek auf Russlands wirtschaftliche Zukunft. Schließlich werden diese Gelder nicht in Innovationen, Infrastruktur, Gesundheit oder Bildung investiert, sondern in Waffen, die dann in der Ukraine sofort wieder zerstört werden.
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ZDFheute: Welche Folgen spürt die russische Bevölkerung?
Rochlitz: Paradoxerweise spürt die Bevölkerung davon jetzt noch recht wenig. Die massiven staatlichen Investitionen in den Rüstungssektor haben zu hoher Nachfrage nach Arbeitskräften geführt, da ja gleichzeitig viele hunderttausende Menschen geflohen sind und weitere hunderttausende Soldaten in der Ukraine kämpfen. Dadurch sind die Löhne gestiegen, und den Menschen geht es gefühlt erst einmal besser.
Allerdings hat das viele zusätzliche Geld auch zu einem Anstieg der Inflation geführt, und durch die Vernachlässigung von Investitionen in die Infrastruktur sind diesen Winter in einigen russischen Städten die Heizungen ausgefallen. Dass Putin mit dem Krieg Russland die wirtschaftliche Zukunft genommen hat, wird die Bevölkerung jedoch erst in ein paar Jahren zu spüren bekommen.
ZDFheute: Die meisten westlichen Firmen haben sich aus Russland zurückgezogen, wie gut kann die russische Wirtschaft den Verlust ausgleichen?
Rochlitz: In vielen Sektoren haben chinesische Firmen den russischen Markt übernommen, zum Beispiel im Automobilsektor. Die chinesischen Konzerne sind jedoch hauptsächlich am russischen Markt interessiert, während der Transfer von Technologie zumindest bis jetzt kaum eine Rolle spielt. Das war unter westlichen Firmen tatsächlich anders.
Russland opfert momentan die Diversifizierung seiner Wirtschaft. Putin baut mit der Rüstungsindustrie gerade einen Sektor auf, der keine Zukunft hat. Sobald der Krieg vorbei ist, muss die Rüstungsindustrie wieder schrumpfen. Das wird ein großes innenpolitisches Problem, weil sehr viele Lobbygruppen daran interessiert sind, diese Pfründe zu behalten.
Mögliche Zukunftsbranchen wie der IT-Sektor, künstliche Intelligenz, aber auch Gesundheit und Wissenschaft leiden darunter. Diese Branchen sind aber essenziell, um Russland zukunftsfähig zu machen, auch gerade für die Zeit nach Öl und Gas. Zudem ist die Mobilisierung von Reservisten und die Flucht vieler Russen ins Ausland ist schon jetzt ein riesiges Problem für den Arbeitsmarkt. Gerade der IT-Sektor leidet unter dem Fachkräftemangel.
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ZDFheute: Wie lange kann Russland den Krieg noch finanzieren?
Rochlitz: Russland kann den Krieg in dieser Form wohl tatsächlich noch einige Jahre weiter finanzieren, solange Länder wie China und Indien weiter Rohstoffe in Russland einkaufen. Damit produziert Putin die Ukraine momentan an die Wand. Die Ukraine hat zwar den Willen für ihr Überleben zu kämpfen, aber es fehlen ihr die Ressourcen. Deswegen müsste der Westen die Ukraine stärker unterstützen als bisher.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.