Wahl in UK: Was würde eine Labour-Regierung für Deutschland bedeuten?

Wenn man den Umfragen glauben soll, dann könnte König Charles III. am Freitag Labour-Chef Sir Keir Starmer damit beauftragen, eine Regierung zu bilden. Starmer kommt aus einer Arbeiterfamilie, ist der erste in der Familie, der studiert. Starmer wird hoch geachteter Menschenrechtsanwalt, später dann Chef der Staatsanwaltschaft von England und Wales. Dieser Aufstieg prägt seine Politik, sagt sein Biograf Tom Baldwin: "Er ist der erste Labour-Chef, der über Klassenunterschiede und Snobismus spricht."

Unterstützer wie politische Gegner halten ihn für fleißig, klug, detailversessen. Er profitiert vom Frust über 14 Jahre Brexit- und Corona-Politik der konservativen Tory Partei – viel Vertrauensvorschuss genießt er bei den Briten nicht.

Keir Starmer war klar gegen den Brexit, er wollte auch danach ein engeres Verhältnis zur EU. Dennoch respektiert er die Entscheidung der Briten von 2016. Starmer war in seiner Partei brexitpolitischer Sprecher, ist also im Thema. Deutschland erwartet Annäherung.

Dennoch wird Starmer mit angezogener Handbremse agieren. Die EU wird in neuen Verhandlungen möglicherweise mehr Freizügigkeit fordern. Und da die britische Debatte zwischen illegaler Migration, ausländischen Facharbeitern, Pflegekräften oder Studenten keinen Unterschied macht, sondern vor allem Konservative vereinfacht "nicht mehr Ausländer als jetzt im Land" fordern, wird der Labour Chef vorsichtig sein, Verhandlungen zu führen, in denen es auch um Freizügigkeit, also um Immigration aus der EU geht.

Davon ist nicht auszugehen. Der amtierende Premierminister Rishi Sunak würde die Wehrhaftigkeit der Ukraine weiter unterstützen wie bisher. Keir Starmer würde in den ersten 24 Stunden seiner Regierung wohl mit den Präsidenten der USA und der Ukraine, Joe Biden und Wolodymyr Selenskyj telefonieren und seine Unterstützung versichern. Sunak oder Starmer nehmen kommende Woche beim Nato-Gipfel in Washington teil. Sunak und Bundeskanzler Olaf Scholz hatten noch im April eine engere Rüstungszusammenarbeit bekannt gegeben.

Manche sagen, politischer Populismus habe große Mitschuld am Brexit. Doch nicht nur rechte Brexiteers, auch Sunaks konservative Tory-Partei hat danach ihre politische Integrität immer wieder dem Populismus geopfert.

Ausgerechnet der smarte, jugendlich wirkende Premierminister Rishi Sunak, der aus einer Einwanderer-Familie stammt und selber sensibel auf ausländerfeindliche Sprüche reagiert - machte Sprüche über trans-Menschen: Weil er offenbar meint, damit politisch punkten zu können. Dass mit Keir Starmer nun ausgerechnet ein Sachpolitiker in den Umfragen führt, dem Populismus zuwider ist, verdient deshalb besondere Aufmerksamkeit. Vor allem, weil populistische Politiker in Europa derzeit Oberwasser haben.

Umfragen zufolge könnte die konservative Tory-Partei heute einen desaströsen Absturz erleben - das wird sich zeigen. Labour will: Wachstum fördern, die Gesundheitsversorgung NHS verbessern, mehr Sicherheit und effektivere Justiz, bezahlbare grüne Energie und bessere Ausbildungs-Chancen. Das Geld dafür soll allein das Wirtschaftswachstum bringen - Ökonomen bezweifeln diese Rechnung. Und viele Briten sind nicht davon überzeugt, dass Starmer es besser macht als die Tories. Doch der Frust mit den Tories ist so groß, dass die risikoscheuen Briten möglicherweise Starmer beauftragen, vielleicht sogar mit großer Mehrheit. Doch auch das wissen wir erst Donnerstagabend, ab 23 Uhr deutscher Zeit.