Türkei: Klimawandel verschärft Gefahr von Senklöchern

    Plötzlich war da ein Loch:Senklöcher sorgen in der Türkei für Angst

    von Jörg Brase
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    Erdabsenkungen sind in den trockenen Gebieten Zentralanatoliens keine Seltenheit. Doch die viele Meter tiefen Löcher rücken immer dichter an Wohngebiete heran.

    Ein Senkloch vor Karapinar in der Provinz Konya in der Türkei.
    Senklöcher existieren seit Jahrhunderten in Konya, einer weitläufigen Agrarprovinz in der Türkei. Doch ihre Zahl ist in den letzten Jahren aufgrund der Dürre gestiegen.
    Quelle: AFP

    Sie seien gerade beim Abendgebet gewesen, erzählt der Bauer Fatih Şik. Plötzlich habe es einen Knall gegeben, "wie bei einem Vulkan." Dann sei aus einem Loch auf ihrem Rübenfeld eine Wasserfontäne geschossen, "bestimmt zehn Meter hoch." Fatih und sein Bruder Mustafa trauen sich nicht nahe an den Rand des Loches heran. Ihnen steht die Angst im Gesicht. "Seit Wochen mache ich nachts kein Auge mehr zu," sagt Mustafa. Sie fürchten, dass auch unter ihrem neu gebauten Haus der Boden absacken könnte.

    Senklöcher: Tödliche Falle für Mensch und Tier

    Vier Wochen ist das jetzt her, dass sich auf ihrem Feld der Boden auftat. Zum zweiten Mal bereits. Vor einem Jahr war es schon einmal passiert. Eine kreisrunde, im Durchmesser bestimmt 40 Meter breite Öffnung, rund 20 Meter tief war über Nacht entstanden. Eine tödliche Falle für Menschen und Tiere. Sie meldeten den Vorfall den Behörden. Die schickten Mitarbeiter, die den Krater notdürftig einzäunten und Warnschilder aufhängten. Mehr passierte nicht.
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    Auch auf den Feldern der Nachbarhöfe tun sich solche Senklöcher auf. Das sei in der Region keine Seltenheit, meint der Geologe Dr. Arif Delikan von der Technischen Universität Konya. Allein in der Provinz Konya gäbe es mittlerweile 600 solche Löcher, sagt Delikan. Alle entlang sogenannter Verwerfungslinien, meist unterirdische Wasserläufe, die im Laufe der Jahre austrocknen oder in tiefere Erdschichten absackten.
    Delikan untersucht seit vielen Jahre die Bodenerosion in der trockenen zentral-anatolischen Ebene. An einem riesigen Senkloch, das im Jahr 2011 entstanden ist, sind deutlich Bruchkanten an den Kraterwänden zu erkennen, wie Jahresringe bei einem Baum. Je weiter das Grundwasser absank, stürzten weitere Bodenschichten in das Loch, das so über die Zeit immer größer wurde.

    Durch den Klimawandel nehmen Zahl und Tiefe der Löcher zu

    In den 1980er und 90er Jahren seien viele Löcher mit Wasser gefüllt gewesen. In den vergangenen 40 Jahren habe sich das Klima in der Region um durchschnittlich ein Grad erwärmt, was die Erosion beschleunigte. Der Grundwasserspiegel sei enorm abgesunken und liege heute bei einer Tiefe von rund 60 bis 80 Metern. Doch Klimawandel und sandige Erde, die das Wasser nicht halten kann, seien nur ein Teil des Problems, sagt der Geologe.
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    Problem: unkontrollierte Bewässerung der Felder

    Einen großen Anteil an der Katastrophe trage die Landwirtschaft. Zentralanatolien war einst die Kornkammer der Türkei. Noch heute leben viele Menschen in der Provinz Konya vom Ackerbau. Überall auf den Feldern laufen teilweise bereits ab mittags die Bewässerungsanlagen.
    Vernünftiges Wassermanagement aber gibt es nicht. "Die Fachleute aus dem Landwirtschaftsministerium sollten mal in die Gegend kommen und sich das anschauen," sagt Dr. Delikan, "dann würden sie vielleicht Maßnahmen ergreifen, um den Wasserverbrauch in der Region Konya deutlich zu senken." Noch aber, so kritisiert Delikan, habe die Politik die Absenkung des Grundwasserspiegels und die Senklöcher nicht als Problem erkannt. Dann nämlich müssten sie etwas unternehmen und Bauern wie den Şiks helfen, mit Geld und vor allem mit Land.

    Angst vor Absenkungen - und keine Hilfen vom Staat

    Hof und Felder von Fatih und Mustafa Şik liegen nämlich genau auf einer der Verwerfungslinien. Die Grundwasserpumpe zur Bewässerung ihrer Rübenfelder fördert seit einiger Zeit wieder trübes Wasser. Das bedeute, dass die Erde unten in Bewegung sei und Sedimente das Grundwasser eintrübten. "Es kann sehr bald zu weiteren Absenkungen kommen," sagt Delikan voraus. Familie Şik müsse umgesiedelt werden. Doch Hilfen vom Staat gibt es dafür bislang nicht. Es muss wohl erst jemand zu Schaden kommen, bevor endlich etwas passiert.
    Yanniek, die Leiterin der Regeneration Academy, steht mit Gemüse in den Händen in ihrem Gemüsegarten und lächelt.
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    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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