Inflation in der Türkei: Wirtschaftskrise betrifft Tourismus

    Inflation in der Türkei:Urlaub im Schatten der Wirtschaftskrise

    von Phoebe Gaa, Antalya
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    Hotels und Restaurants in Antalya müssen die Preise erhöhen. Gleichzeitig kommen viele Mitarbeiter der Tourismusbranche mit den Löhnen kaum über die Runden.

    Leere Sonnenliegen am Strand
    Eine Rekordinflation bedroht die türkische Tourismusindustrie. Steigende Preise und ausbleibende Besucher sind vor allem in den sonst so lebendigen Küstenorten zu spüren.24.07.2024 | 6:49 min
    Wenn Kenan Toprak über das Kochen spricht, beginnen seine Augen zu leuchten. Seine Geldsorgen rücken für einen Moment in den Hintergrund, wenn er sein Lieblingsgericht aus Lammfleisch und Spinat beschreibt. Doch sie kehren mit Wucht zurück, wenn er an die Preise für die Zutaten denkt. Die Inflation hat die Türkei im Griff - und trifft auch die Tourismusbranche sowie diejenigen, die darin arbeiten.
    45 Jahre lang hat er als Koch in verschiedenen Hotels und Restaurants gearbeitet. Jetzt hat er das Rentenalter erreicht, hangelt sich weiter von Job zu Job - und kann trotzdem kaum die Miete für die Wohnung zahlen, die er sich mit Mutter und Cousin teilt. Letzterer ist ebenfalls Koch und wirft ein: "Früher hatte das Geld, das wir verdienten, ob viel oder wenig, einen Wert. Aber jetzt steckst du dir 1.000 Lira (Anm. d. Red.: umgerechnet etwa 28 Euro) in die Tasche, gehst raus, und alles ist sofort weg."
    Bilder für heute in Europa
    Die Türkei ist eines der beliebtesten Urlaubsziele für deutsche Touristen. Doch außerhalb der Hotelanlagen steigen die Preise: Wer Essen gehen oder Ausflüge machen möchte spürt die Inflation, die mittlerweile fast bei 75% liegt. 24.07.2024 | 2:05 min

    Inflation in der Türkei: Höher als angegeben?

    Offiziell beträgt die Inflation in der Türkei 72 Prozent. Doch die Mehrheit der Türken traut den Zahlen der Statistikbehörde nicht. Ihre Erfahrungen, wenn sie einkaufen gehen, sprechen für eine sehr viel höhere Teuerungsrate. Unabhängige Wirtschaftsinstitute gehen von bis zu 122 Prozent aus. Vor allem Lebensmittel und auch Mieten werden immer teurer. Da Mindestlohn und Pensionen jedoch aufgrund der offiziellen Daten des Statistikamtes bemessen werden, steigen diese Zahlungen nicht annähernd so schnell wie die Preise für Waren des täglichen Lebens.

    Inflation auf Rekordwert
    :Türkei: Wenn das Leben zu teuer wird

    Simits sind zum Symbol geworden für die türkische Wirtschaftskrise mit Super-Inflation. Die Sesamkringel sind ein Grundnahrungsmittel, das viele sich kaum noch leisten können.
    Anne Brühl, Istanbul
    Simit-Gebäck in türkischer Bäckerei
    mit Video

    Kosten für Hotels in der Türkei deutlich gestiegen

    Das bleibt auch ausländischen Urlaubsgästen nicht verborgen. Als sie die Preise für Kleidung, Essen und Eis gesehen hätten, seien sie schnell wieder in ihre Hotelanlage zurückgekehrt, berichtet eine Touristin aus Essen. Und ihre Freundin fügt hinzu:

    Für uns geht das ja noch, wir können das ausgeben. Aber die Leute, die hier leben, wie sollen die das machen?

    Touristin in Antalya

    Dincer Sarikaya ist Hotelmanager und Vorsitzender eines Hotelverbandes in Antalya. Er kennt die Sorgen der Angestellten. Er habe die Löhne erhöht, sagt er. Und zählt weitere Bereiche auf, in denen die Hotels in diesem Jahr gestiegene Ausgaben hätten: Strom, Einkauf von Lebensmitteln, und so weiter.

    Mieten-Wahnsinn in Istanbul
    :Inflation: Zentralbankchefin lebt bei Eltern

    Die Inflation hat in der Türkei solche Maßstäbe angenommen, dass die Zentralbankchefin keine Wohnung in Istanbul gefunden hat. Sie lebt jetzt wieder bei ihren Eltern.
    Die Gouverneurin der türkischen Zentralbank, Hafize Gaye Erkan, nimmt am 03.10.2023 an der Sitzung in Ankara teil.

    Verträge mit Reiseveranstaltern vor Monaten geschlossen

    Die Verträge mit den Reiseveranstaltern seien aber schon vor Monaten geschlossen worden, erklärt er. "Daher hatten wir keine Möglichkeit, diese Preise auf die Zimmerpreise umzulegen. Mit anderen Worten: Während die Kosten um 70 Prozent, 80 Prozent stiegen, konnten wir die Zimmerpreise nur um 18 Prozent bis 20 Prozent erhöhen. Die angestrebte Gewinnrate stellte uns also vor ein ernstes mathematisches Problem."
    Viele seiner Stammgäste hätten diesen Sommer zudem einen kürzeren Aufenthalt gebucht, erzählt er. Denn auch sie haben oft weniger Geld zur Verfügung als in der Vergangenheit. Trotzdem bleibt er optimistisch: "Wir haben den Krieg, die Pandemie, die Waldbrände, die Inflation erlebt, und nichts davon hat uns untergekriegt. Wir stehen immer wieder auf, und finden auch für den schlimmsten Fall eine Lösung."
    Und doch: Viele in der Branche treibt die Sorge um, dass der Touristenstrom sich bald günstigere Urlaubsländer sucht als die Türkei - wenn die Preise immer weiter steigen.

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    Touristen unter Sonnenschirmen am Strand von Rhodos
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    Gewerkschaft sieht türkische Politik in Verantwortung

    Bei der Gewerkschaft der Tourismusangestellten in Antalya sehen sie die Schuld für die Wirtschaftsmisere bei der türkischen Regierung, dem Ein-Mann-Regime, wie sie es nennen. "Die Minister, die eingesetzt werden, haben mit den jeweiligen Ministerien nicht das Geringste zu tun. Sie sind einfach nur der Sündenbock, wenn man wieder was schiefgeht," sagt Gewerkschaftsvorsitzender Mustafa Yahyaoğlu.

    Die Entscheidungen werden von den Beratern im Palast getroffen und von Erdogan verkündet.

    Mustafa Yahyaoğlu, Gewerkschaft der Tourismusangestellten in Antalya

    Kenan Toprak, der Koch, wird auswandern. Seine Mutter, seine Frau und Tochter wird er zurücklassen. Gerade hat er ein Jobangebot aus Russland bekommen. Toprak denkt darüber nach, dorthin zu ziehen. Mit der Türkei habe er abgeschlossen.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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