Experte analysiert: Warum droht Erdogan Israel so offen?

    Interview

    Türkei-Experte analysiert:Warum droht Erdogan Israel so offen?

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    Der türkische Präsident Erdogan hat Israel offen gedroht. Was hinter der Ankündigung eines militärischen Eingreifens stecken könnte, analysiert Türkei-Experte Dawid Bartelt.

    Türkei-Experte Dawid Bartelt
    Erdogan sei dafür bekannt, dass er "rhetorisch gerne überstrapaziert", sagt Türkei-Experte Dawid Bartelt mit Blick auf die Drohungen des türkischen Präsidenten gegen Israel.29.07.2024 | 9:08 min
    Die Worte des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan klangen bedrohlich. Mit Blick auf Israel hatte er bei einer Veranstaltung der Regierungspartei AKP gesagt: "So wie wir in Berg-Karabach reingegangen sind, so wie wir in Libyen reingegangen sind, werden wir mit ihnen dasselbe tun."
    Was will Erdogan mit dieser Drohung bezwecken? Ist ein militärischer Eingriff des Nato-Landes Türkei in Israel ein denkbares Szenario? Bei ZDFheute live hat Türkei-Experte Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, die Drohung des türkischen Präsidenten analysiert.
    Sehen Sie das gesamte Gespräch oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen.
    Das sagte Bartelt darüber, ...

    ... was Erdogan mit seinen Aussagen bezwecken will

    Man müsse bei Erdogan unterscheiden "zwischen seiner oft absurden (...) Rhetorik und dem, was er dann politisch macht", so der Experte. Der türkische Präsident sei bekannt dafür, "dass er rhetorisch gerne überstrapaziert".
    Mit seiner Drohung gegen Israel dürfte Erdogan aus Bartelts Sicht vor allem auf einen innenpolitischen Nutzen abzielen.

    Er kann da wirklich punkten zu Hause, wenn er eine harte Linie gegen Israel markiert. Das braucht er und das tut er.

    Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul

    Angesicht der ernsten wirtschaftlichen Lage in der Türkei sei der Gaza-Konflikt eines der wenigen Themen, bei denen Erdogan im Moment innenpolitisch noch überzeugen könne.
    Phoebe Gaa
    Auf einer Veranstaltung seiner Partei AKP hat der türkische Präsident Erdogan mit einem militärischen Eingriff in den Nahost-Konflikt gedroht. Phoebe Gaa mit einer Einschätzung. 29.07.2024 | 1:05 min

    ... ob Erdogan als Partner für den Westen noch zuverlässig ist

    "Nein, zuverlässig kann man nicht sagen", sagte Bartelt klar und erinnerte an die Nato-Beitritte von Schweden und Finnland, die Erdogan lange blockiert hatte. "Der Erdogan ist Pragmatiker. Der versucht, das Maximale für sich rauszuschlagen. Der ist eigentlich kein Ideologe. Und insofern ist er zuverlässig unzuverlässig."

    Aber wenn es darauf ankommt, wird die Türkei nicht riskieren, aus der Nato etwa rauszufliegen.

    Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul

    Die Nato-Mitgliedschaft sei für die Türkei "total wichtig". Zudem sei das Land auch weiterhin EU-Beitrittskandidat - "so komisch das auch klingen mag, aber auch da bestehen Beziehungen". Ökonomisch seien der Westen und die Europäische Union "sowieso unverzichtbar" für die Türkei.
    Aus dem libanesischen Dorf Kfarkela an der südlichen Grenze steigt starker Rauch auf
    Nach einem Raketenangriff plant Israel einen Vergeltungsschlag gegen die Hisbollah. Der Nahost-Konflikt spitzt sich damit weiter zu und auch Erdogan droht Israel nun militärisch.29.07.2024 | 1:42 min

    ... welche Rolle die Türkei im Gaza-Konflikt spielt und spielen will

    Vor dem Gaza-Krieg hätten sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel "fortlaufend verbessert" - bis hin zur einer offiziellen Einladung an Netanjahu in die Türkei. Erdogans Strategie bis zum Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei "die eines Ausgleichs" und einer "Annäherung an Israel" gewesen.
    Nach dem Terrorangriff habe Erdogan dann zunächst noch gehofft, als Vermittler in dem Konflikt agieren zu können.

    Aber da ist er ja bei beiden Seiten abgeblitzt und dann ist er umgeschwenkt und hat die Hamas zur Befreiungsorganisation erklärt.

    Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul

    Die Solidarität in der türkischen Bevölkerung "gar nicht so sehr unbedingt mit der Hamas, aber mit der palästinensischen Zivilbevölkerung ist sehr groß", so der Experte. Daher finde Erdogans harte Linie gegen Israel großen Widerhall. Er versuche nun, die Hamas "als eine normale Konfliktpartei darzustellen" und äußere Sympathien.
    ZDF-Reporterin Alica Jung mit aktuellen Infos aus Israel
    Nach dem der Hisbollah zugeschriebenen Raketenangriff, bei dem zwölf junge Menschen starben, kündigt Israel Vergeltung an. ZDF-Reporterin Alica Jung mit aktuellen Infos aus Israel.29.07.2024 | 4:16 min
    Derzeit versuche Erdogan aber eigentlich, trotz der jüngsten Drohung, sich eher aus dem Konflikt herauszuhalten:

    Er ist im Moment gar nicht gefragt und ich glaube, das ärgert ihn am meisten. Er versucht sich schon für das Danach, den Wiederaufbau, ins Spiel zu bringen.

    Dawid Bartelt, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul

    So wolle die Türkei mehr Einfluss auf den Nahen Osten haben, aber Erdogan erkenne, "dass es im Moment eine äußerst komplexe Lage ist".
    Das Interview führte ZDF-Moderator Philip Wortmann, zusammengefasst hat es ZDF-Redakteur Torben Heine.
    Quelle: ZDF

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