Armut in Afghanistan: Taliban wollen Hilfe aus Deutschland

    Armut in Afghanistan:Taliban wollen Hilfe aus Deutschland

    von Jenifer Girke und Nesar Fayzi
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    Vor drei Jahren haben die Taliban die Macht in Afghanistan ergriffen. Für sie ein Grund zum Feiern. Doch das Volk leidet. Die Islamisten fordern mehr Hilfe - auch aus Deutschland.

    14.08.2024: Taliban-Militärangehörige fahren auf Motorrädern während einer Militärparade, mit der sie den dritten Jahrestag der Übernahme Afghanistans durch die Taliban in Ghazni feiern.
    Kampflos nahmen die Taliban vor drei Jahren Afghanistan ein. Tausende versuchten zu fliehen. Seitdem leidet das Land, insbesondere Frauen unter der islamistischen Herrschaft.15.08.2024 | 1:49 min
    Die Taliban waren selbst überrascht, wie einfach sie die afghanische Hauptstadt Kabul am 15. August 2021 einnehmen konnten. Mit dem Fall Kabuls übernahmen die Islamisten die Macht im ganzen Land. International sind sie nach wie vor ziemlich isoliert, keine Regierung hat sie bislang offiziell anerkannt.
    Viele Geberländer haben ihre Entwicklungszusammenarbeit eingestellt oder stark zurückgefahren, andere haben das Land mit Sanktionen belegt. Für die Bevölkerung heißt das: Wirtschaftskrise, Hunger und Armut.
    Doch für das Leid der Menschen im Land fühlen sich die Taliban nach eigenen Angaben nicht verantwortlich - sie sehen es als Erbe aus der Vergangenheit. Deswegen wollen sie internationale Hilfe, auch aus Deutschland.
    14.08.2024, Afghanistan, Bagram: Mullah Abdul Ghani Baradar, der von den Taliban ernannte stellvertretende Ministerpräsident für wirtschaftliche Angelegenheiten (M), inspiziert die Ehrengarde während einer Militärparade zum dritten Jahrestag des Abzugs der US-geführten Truppen aus Afghanistan auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram.
    In Afghanistan haben die Taliban auf einem ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkt ihre Rückkehr an die Macht vor drei Jahren gefeiert. Frauen durften an der Feier nicht teilnehmen.15.08.2024 | 0:26 min

    Sechs Millionen Afghanen droht Hungersnot

    Armut ist Alltag in Afghanistan: Bettelnde Kinder und Frauen in Kabul, Tausende Männer am Straßenrand, die vergeblich auf Arbeit warten. Engela Ahmadi ist Witwe - sie lebt mit ihren sieben Kindern zusammengepfercht in einem einzigen Raum.

    Wir sind arm und unterdrückt, unsere Kinder müssen entweder um Geld betteln oder finden Arbeit, um es zu verdienen, damit wir irgendwie unseren Hunger stillen können.

    Engela, Witwe


    Das Land versinkt in Armut. Knapp 24 Millionen Afghanen sind laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf humanitäre Hilfe angewiesen, sechs Millionen stehen am Rande einer Hungersnot.
    Taliban-Soldat und verschleierte Frauen
    Frauen in Afghanistan haben unter der Herrschaft der Taliban kaum noch Rechte. Protestieren sie dagegen, drohen Verhaftung und Folter. Viele sehen als einzigen Ausweg die Flucht.17.07.2024 | 6:00 min

    Millionen Afghanen erhalten keine Hilfe mehr

    Das Hauptproblem: Es gibt keine Jobs, Frauen dürfen kaum arbeiten, ihre Produktivität fehlt auf dem Markt, die Wirtschaft lahmt. Auch Engela würde gerne wieder arbeiten: "Ich habe keine Arbeit. Wenn ich eine Lehrerin sein könnte oder mich weiterbilden könnte, könnte ich meine Kinder und Familie ernähren."
    Ohne die Hilfen von Organisationen wie das World Food Programme (WFP) würden viele Familien wohl kaum überleben. Doch auch diese Hilfe stockt seit Monaten.

    Aufgrund der extremen Kürzung des Budgets im Jahr 2023 mussten wir zehn Millionen Menschen von unserer Liste der dringend benötigten Hilfe streichen.

    Ziauddin Safi, WFP Afghanistan

    Sie müssten nun unterscheiden - zwischen denen, die Hunger leiden und denen, die extremen Hunger leiden. Für mehr reiche das Geld nicht aus. Und allein um diese Hilfe bis zum Jahresende zu gewährleisten, benötigt das WFP dringend 699 Millionen US-Dollar.
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    Seit 2021 regieren die islamistischen Taliban wieder in Afghanistan. ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf ist es 2023 gelungen, in das weitgehend isolierte Land zu reisen.09.08.2023 | 28:50 min

    Taliban wollen Hilfe aus Deutschland

    Der stellvertretende Pressesprecher der Taliban stimmt einem Interview mit dem ZDF zu - und macht die Erwartungen der Machthaber deutlich, auch gegenüber Deutschland: "Das Islamische Emirat Afghanistan möchte Beziehungen zu allen westlichen und europäischen Ländern, insbesondere zu Deutschland, mit dem wir eine historische Beziehung haben", sagt Hamdullah Fetrat. Und weiter:

    Die Hoffnung und Bitte ist, dass Deutschland den Afghanen humanitäre Hilfe leistet.

    Hamdullah Fetrat, Vize-Sprecher der Taliban

    Das Leid der Bevölkerung sei auch nicht ihr Verschulden, betont der Vize-Sprecher der Taliban: "Wirtschaftliche Probleme, die Armut und Hilflosigkeit sind aus der Vergangenheit übernommen worden."
    Menschen bei Nahrungsmittelausgabe
    Wie kann internationale Hilfe die Menschen in Afghanistan erreichen?09.08.2023 | 2:28 min

    Afghanistan ist sicherer - aber das reicht nicht

    Die Taliban investieren massiv in Infrastruktur und Militär: "Wir sind stolz darauf, dass wir nach diesem Kampf und diesen Opfern ein Ergebnis erzielt haben", sagt Fetrat.

    Unser hochgestecktes Ziel bestand darin, Afghanistan Sicherheit zu bringen.

    Hamdullah Fetrat, Vize-Sprecher der Taliban

    Sicherer sei das Land - das sagen auch NGOs und Afghanen. In vielen Provinzen, die früher wegen Anschlägen der Taliban und Kampfhandlungen der Nato-Truppen gefährlich waren, ist es jetzt ruhig.
    Bild aus der Doku "Die Kinder der Taliban" - zwei Kinder auf einer Kanone
    Wie hat es sich das Leben in Afghanistan seit dem Sommer 2021 verändert? Der Film zeigt zwei Jungen und zwei Mädchen, deren Alltag eine dramatische Wendung genommen hat.02.02.2023 | 46:45 min
    Aber diese Art von Sicherheit rettet die Menschen nicht vor Unterdrückung, Armut und Hunger. Der Familienvater Merza Khan in Kabul äußert vorsichtig seinen Wunsch in Richtung Machthaber: "Die Regierung sollte den Menschen helfen."

    Wir sind mit der Regierung zufrieden, aber sie sollte sich um die Menschen kümmern, damit das Volk aus der Armut herauskommt.

    Merza Khan, Afghane in Kabul

    Ohne internationale Hilfe scheint das nicht möglich. Es ist ein Dilemma: Afghanistan helfen, ohne das Regime der Taliban zu stärken.
    Jenifer Girke ist Redakteurin und Reporterin im ZDF auslandsjournal. Nesar Fayzi ist Producer aus Afghanistan.

    Kabul-Leak ausgewertet
    :Abzug aus Afghanistan: Vermeidbares Desaster

    Geheime Akten, die dem ZDF vorliegen, zeigen: Als die Taliban Afghanistan eroberten, handelte die Regierung Merkel fahrlässig - trotz besserem Wissen. Und bat dann Putin um Hilfe.
    von C. Schweppe und C. Cesaro-Tadic
    Evakuierung am internationalen Flughafen Hamid Karzai - 2021
    Exklusiv

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