Internationaler Roma-Tag: Minderheit weiterhin diskriminiert
Welt-Roma-Tag in London:Antiziganismus nach wie vor ein Problem
von Felix Leitmeyer, London
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Der Internationale Tag der Roma feiert die Kultur der größten Minderheit Europas. Doch viele Roma erleben im Alltag noch immer Diskriminierung.
Am 8. April jährt sich der Internationale Tag der Sinti und Roma. In vielen Städten, darunter London, gehen Betroffene von Antiziganismus auf die Straßen. (Symbolbild)
Quelle: dpa
Am 8. April 1971 treffen sich zwei Dutzend Menschen in einer Schule, am Rande von London, im unscheinbaren Vorort Orpington. Wahrscheinlich bekommen nicht einmal die Nachbarn viel davon mit. Fotos gibt es kaum. Dabei ist das, was sich hier ereignet, der Beginn einer weltweiten Bürgerrechtsbewegung.
Antiziganismus: Geschichte der Ausgrenzung verbindet
Roma aus neun Ländern kommen damals nach London: unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Jugoslawien, der Schweiz, Spanien und der Tschechoslowakei. Sie stammen aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen, sprechen verschiedene Dialekte. Doch sie teilen eine Geschichte der Ausgrenzung - und den Wunsch nach Anerkennung. So erklären sie das Treffen zum ersten offiziellen Welt-Roma-Kongress. Sie einigen sich auf eine Flagge und eine Hymne, die sie als Roma gemeinsam verwenden wollen. Schließlich erklären sie den 8. April zum Internationalen Roma-Tag.
Dieser Tag erinnert mich jedes Jahr daran, wie weit wir gekommen sind.
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Mihai Călin Bica, Roma Support Group
"Und daran, dass wir noch lange nicht am Ziel sind", sagt Mihai Călin Bica. Der 38-Jährige ist Roma, und 2012 aus Rumänien nach London gezogen.
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Es ist kein Zufall, dass er sich für diese Stadt entschieden hat. Und dass der Kongress damals dort stattfand:
London ist eine multikulturelle Stadt, in der sich viele Roma zu Hause fühlen.
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Mihai Călin Bica, Roma Support Group
Hier haben sich für viele durch die Gemeinschaft ihre Lebensumstände grundlegend verbessert. Es war damals, und ist heute, ein guter Ort, um Wandel zu beginnen.
Die Roma sind mit geschätzt 10 bis 12 Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit Europas. Sie leben in fast allen Ländern des Kontinents. In Großbritannien gibt es laut Regierungsdaten etwa 100.000 Roma, in Deutschland etwa 80.000 bis 140.000.
Zu den Roma werden viele verschiedene Gruppen gezählt. Sie haben unterschiedliche Namen und eigene Geschichten, aber teilen sich gemeinsame Wurzeln in Nordindien. Eine dieser Gruppen sind die Sinti, die seit Jahrhunderten in Deutschland und Nachbarländern leben. Deshalb ist im deutschen Sprachraum die Bezeichnung "Sinti und Roma" üblich. Dort sind mit den Roma dann meist nur diejenigen gemeint, die seit vielen Jahrhunderten in Ost- und Südosteuropa leben. Anderswo wird oft die gesamte Minderheit nur Roma genannt.
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Alltag als Roma oft hart
Doch auch hier hat Bica erlebt, was vielen Roma wie ihm alltäglich passiert:
Ich habe lange auf Baustellen gearbeitet. Da war es Alltag, dass Leute lautstark über Roma geschimpft haben - ganz offen, ohne Widerspruch zu fürchten.
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Mihai Călin Bica, Roma Support Group
Noch viel schlimmer sei indirekte Ausgrenzung: "Solche, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist - und oft kaum nachweisbar ist." Roma kämen zum Beispiel oft nur über persönliche Kontakte an Wohnungen, weil viele Vermieter nicht an sie vermieten wollten. Wenn sie bei Firmen anfangen, sei oft klar: Sie sind diejenigen, die unter den härtesten Bedingungen arbeiten, etwa im Kühlhaus oder in der Müllentsorgung statt im Service.
Ein großes Problem in Großbritannien sei zudem der Brexit: Viele Roma hätten Schwierigkeiten, ihren Aufenthaltstitel nachzuweisen. Viele scheiterten oft an der Digitalisierung, weil sie weder Computer noch Smartphone haben. Außerdem würden viele Roma an Schulen Opfer von Mobbing - worauf Staat und Lehrer oft nicht angemessen reagierten.
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Mittlerweile arbeitet Bica deshalb für die "Roma Support Group", eine gemeinnützige Organisation, die Ende der Neunzigerjahre von geflüchteten Roma-Familien gegründet wurde. Sie berät Roma bei schwierigen Lebensfragen, macht politische Lobbyarbeit für sie.
Erinnerung an Völkermord an Sinti und Roma
Nicht nur der 8. April, auch der 2. August ist ein zentraler Tag für viele Roma. Er erinnert an den nationalsozialistischen Völkermord an Sinti und Roma. Historiker schätzen, dass damals bis zu einer halben Million Menschen ermordet wurden. In der Roma-Sprache heißt dieser Genozid "Porajmos" - das "Verschlingen".
Es war der traurige Höhepunkt einer langen Geschichte voller Hass gegen Roma. Etwa in den heutigen Gebieten Rumäniens wurden Roma über Jahrhunderte versklavt. Auch in Deutschland begann die systematische Ausgrenzung lange vor der NS-Zeit - etwa mit diskriminierenden Gesetzen, Zwangsansiedlungen und polizeilicher Erfassung.
Doch bis heute sei die Geschichte der Roma nicht präsent genug, sagt Mihai Călin Bica:
An Schulen in Großbritannien und anderswo ist der Holocaust zum Glück ein großer Teil des Lehrplans - aber unser Schicksal wird oft einfach ausgelassen.
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Mihai Călin Bica, Roma Support Group
Dabei sei genau das wichtig, um Vorurteile abzubauen und Antiziganismus, den spezifischen Rassismus gegen Roma, zu stoppen.
Zentralratschef Romani Rose sieht die Werte der Bundesrepublik in Gefahr. Große Sorge mache ihm die AfD mit ihrer "Renaissance" alter Positionen für Roma und Sinti.
Interview
Quelle: dpa
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