Meldestelle: 2023 deutlich mehr Fälle von Antiziganismus

    Fälle fast verdoppelt:Meldestelle: Antiziganismus nimmt deutlich zu

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    Sinti und Roma sind in Deutschland laut Meldestelle Antiziganismus 2023 fast doppelt so oft diskriminiert worden wie im Jahr zuvor. Das hänge auch mit einem "Rechtsruck" zusammen.

    Vorstellung des Jahresberichts zu antiziganistischen Vorfällen 2023 in der Bundespressekonferenz
    Die Meldestelle Antiziganismus (MIA) hat ihren Jahresbericht 2023 vorgestellt - mit bedrückenden Zahlen.
    Quelle: imago/photothek

    Im vergangenen Jahr sind in Deutschland deutlich mehr gegen Sinti und Roma gerichteten Vorfälle gemeldet worden als im Vorjahr.
    Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) dokumentiert in ihrem in Berlin vorgelegten zweiten Jahresbericht bundesweit 1.233 antiziganistische Vorfälle, nach 621 im Vorjahr. 2023 waren darunter 10 Fälle von extremer Gewalt, 40 Angriffe, 27 Sachbeschädigungen, 46 Bedrohungen, 502 Fälle von Diskriminierung sowie 600 Fälle von verbaler Stereotypisierung - also von Äußerungen, die Betroffene direkt diffamieren und herabwürdigen.
    Die Ursache für den deutlichen Anstieg der antiziganistischen Vorfälle sieht die Meldestelle allerdings nicht in einer Zunahme von Abneigung und Hass gegen Sinti und Roma. Vielmehr geht sie davon aus, dass die höheren Zahlen vor allem durch den wachsenden Bekanntheitsgrad der nationalen und regionalen Meldestellen zu erklären sind.
    Es sei nach wie vor von einer Vielzahl nicht erfasster Vorfälle auszugehen, hieß es. Das Dunkelfeld könne erst in den kommenden Jahren schrittweise erhellt werden.

    Antiziganismus durch Polizei beklagt

    Gegen Sinti und Roma gerichtete Äußerungen bei Versammlungen und auf Großveranstaltungen wie in Fußballstadien sowie vor allem von rechten Parteien verbreitete antiziganistische Propaganda vergifteten das gesellschaftliche Klima und stachelten zur Gewalt gegen Sinti und Roma an, heißt es weiter im Jahresbericht.
    MIA-Geschäftsführer Torres sagt:

    Mit Sorge stellt MIA fest, dass antiziganistische Äußerungen bei Versammlungen, etwa in Fußballstadien, und antiziganistische Propaganda, vor allem durch rechte Parteien, das gesellschaftliche Klima vergiften und Menschen zur Gewalt anstacheln.

    Guillermo Ruiz Torres, MIA-Geschäftsführer

    Und er führt weiter aus: "Diese Äußerungen tragen dazu bei, dass Antiziganismus von breiten Teilen der Gesellschaft als Normalität verstanden wird." Ruiz Torres betont: Antiziganistische Äußerungen, die unter "verbale Stereotypisierung" erfasst würden, bildeten mit 600 Fällen die meistverbreitete Vorfallart im Jahr 2023.
    Ein eklatantes Problem sei auch der von staatlichen Institutionen verübte Antiziganismus. Staatliche Stellen seien für etwa ein Viertel der dokumentierten Diskriminierungsfälle verantwortlich. In vielen Fällen seien Polizeikräfte beteiligt gewesen. In drei Fällen sei es zu extremer Gewalt durch Einsatzkräfte gekommen.

    Anfeindungen "ganz alltäglich"

    Die für 2023 erfassten Vorfälle zeigten, dass Abneigung und Hass gegen Sinti und Roma für Betroffene "alltäglich" sei und in "nahezu allen Lebensbereichen" auftrete, so die Meldestelle.
    • 212 Fälle ereigneten sich in Bildungseinrichtungen,
    • 177 im Wohnkontext,
    • 176 im Umgang mit Behörden.
    • 168 Fälle passierten im Internet,
    • 106 im öffentlichen Raum,
    • 47 in der Arbeitswelt.
    • 347 Vorfälle wurden unter "sonstiges" erfasst.

    Forderung nach dauerhafter Finanzierung

    Die Meldestelle MIA leitet aus den dokumentierten Fällen mehrere Forderungen ab: Innenministerien und Polizeibehörden sollten mit tiefgreifenden Maßnahmen auf allen Ebenen Antiziganismus bei der Polizei entgegentreten.
    ZDFHeute Fallback Bild
    Auch Dislo Benjamin Harter hat Diskriminierung erfahren. Er setzt sich als Kommunalpolitiker gegen Antiziganismus ein. 19.07.2021 | 1:54 min
    Die Trennung ukrainischer Roma beim Zugang zu Wohnraum, sozialen Leistungen, Beschulung und lokalen Hilfsstrukturen müsse umgehend beendet werden.

    Meldestelle will finanzielle Absicherung über auslaufende Förderperiode

    Außerdem sollten bundesweit Beratungsstrukturen zum Thema Antiziganismus aufgebaut werden. In eigener Sache verlangt die von der Bundesregierung unterstützte Meldestelle MIA eine finanzielle Absicherung über die Ende des Jahres auslaufende erste Förderperiode hinaus. Die Bundesländer müssten sich zudem am Auf- und Ausbau regionaler Meldestellen finanziell beteiligen.
    Quelle: KNA, dpa

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