Parlamentswahl am 15. Oktober:Wie die Polen in Deutschland zur Wahl stehen
von Markus Aust
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Am Sonntag stehen in Polen Parlamentswahlen an. Auch die Stimmen der Deutsch-Polen können am Ende eine Rolle spielen.
Auch in Deutschland sind mehr als 100.000 Polinnen und Polen als Wahlberechtigte registriert.
Quelle: Imago
Pierogi, Bigos, eine reichhaltige Auswahl an Wurstspezialitäten: der polski sklep an der Kalker Hauptstraße in Köln, ein traditioneller polnischer Supermarkt. Die polnische Community, auch Polonia genannt, geht hier gerne einkaufen. "Einige Produkte gibt es in den deutschen Superläden einfach nicht. Hier schmeckt es nach Heimat", erzählt eine Kundin.
Der Wahlkampf in Polen ist knallhart. 11.10.2023 | 6:37 min
Die Bürgerkoalition wird angeführt von Donald Tusk, polnischer Ministerpräsident zwischen 2007 und 2014. Die PiS rund um Premier Mateusz Morawiecki und Parteichef Jarosław Kaczyński bangt um ihre Wiederwahl. Aktuellen Umfragen zufolge könnte die oppositionelle Bürgerkoalition eine Mehrheit bilden, wenn allen Parteien der Einzug in den Sejm, das parlamentarische Unterhaus, gelingt.
Die nationalkonservative Partei von Jarosław Kaczyński führt seit 2015 die Regierung in Polen an. Als Juniorpartner verstärken die PiS-Fraktion im Parlament unter anderem Abgeordnete der rechtspopulistischen Suwerenna Polska (Souveränes Polen) von Justizminister Zbigniew Ziobro, der das Gesicht der umstrittenen Justizreformen ist.
Recht und Gerechtigkeit verknüpft eine etatistische Wirtschaftspolitik mit einem traditionellen Weltbild. Die Partei setzt auf einen starken Sozialstaat, will das Kindergeld weiter erhöhen. In der Migrationspolitik lehnt sie eine Umverteilung innerhalb der EU ab, die katholische Kirche soll in Polen ihre starke Rolle behalten.
Die Koalition wird vom liberalkonservativen Spitzenkandidaten Donald Tusk und seiner Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) angeführt. Tusk war von 2007 bis 2014 Polens Regierungschef, bevor er fünf Jahre lang EU-Ratspräsident und anschließend Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament wurde.
Anfang 2022 kehrte er auf die politische Bühne in Polen zurück. Die KO will den Streit mit der Europäischen Union beenden und die Justizreformen der PiS zurückdrehen. Trotzdem bleibt sie zuwanderungsskeptisch. In ihrem Wahlprogramm verspricht das Wahlbündnis die Möglichkeit einer legalen Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Ein Angebot für christdemokratisch orientierte Wähler, die eine Alternative zur PiS und KO suchen. Das Wahlbündnis besteht aus der Partei "Polska 2050" (Polen 2050) des ehemaligen Journalisten Szymon Hołownia und der Bauernpartei PSL von Władysław Kosiniak-Kamysz.
Hołownia verbuchte 2020 als Drittplatzierter der Präsidentschaftswahl einen Achtungserfolg. Beide geben sich pro-europäisch, legen einen großen Wert auf rechtsstaatliche Prinzipien und fordern ein Vorantreiben der ökologischen Transformation.
Die Partei setzt in ihrem Programm auf klassische linke Themen wie Frauenrechte, Arbeitnehmerrechte, die Trennung von Staat und Kirche, den Schutz der Schwächeren. Sie will die "Rolle Polens in Europa stärken", indem der Streit mit der EU beendet und eine unabhängige Justiz wiederhergestellt wird.
Die Linke will insbesondere auch Frauen mobilisieren: Sie sollen "den Regenschirm gegen den Kugelschreiber tauschen" - der Regenschirm war eines der Symbole der Proteste gegen das verschärfte Abtreibungsrecht.
Die Ultrarechten setzten auf eine starke Rolle der katholischen Kirche und ein konservatives Familienbild mit einem radikalen Abtreibungsrecht - auch wenn an Frauen gerichtete Themen im Wahlprogramm ausgeklammert sind. Die Konfederacja ist EU-skeptisch und wirtschaftsliberal, kritisiert die PiS für ihre Sozialpolitik und fordert radikale Steuersenkungen bis hin zur Abschaffung der staatlichen Sozialversicherungsanstalt.
Sie ist besonders bei jungen Männern beliebt. In ihren Reihen sitzen auch einige Nationalisten, die in der Vergangenheit mit rassistischen und antisemitischen Stimmen auffielen. Die Konfederacja fällt außerdem mit anti-ukrainischer Rhetorik auf.
Quelle: ZDF
Viel Zuspruch für Tusk, erschwerte Stimmabgabe
"Selbstverständlich bin ich für Tusk", erzählt Mariola. "Er ist ein kompetenter Politiker. Er weiß, wovon er redet." Ihre Stimme abgeben wird Mariola jedoch nicht. "Ich würde zur Wahl hingehen. Ganz sicher. Zweihundertprozentig. Als der Wahlkampf losging, raunten unsere Verwandten in Polen uns zu: Wenn ihr in Deutschland nicht zur Wahl geht, braucht ihr gar nicht mehr wiederkommen", erinnert sie sich. "Aber ich kann nicht zur Wahl. Ich muss am Sonntag arbeiten."
Die Stimmabgabe ist für die Polonia nur am 15. Oktober möglich, eine Briefwahl gibt es nicht. 42 Wahllokale werden in Deutschland für die Stimmabgabe der Polonia eingerichtet. Das sind deutlich mehr als bei den letzten Parlamentswahlen in 2019, da waren es 23. Für viele Deutsch-Polen bedeutet es dennoch eine weite Anreise am Wahltag. Zudem mussten sich bis Donnerstag alle Auslands-Polen für die Wahl registrieren.
Erst gestern habe sie erfahren, dass man sich für die Wahl anmelden musste. "Jetzt ist es zu spät." Insgesamt 608.000 Polen haben sich im Ausland für die Wahl registriert, allein 108.000 in Deutschland. Ein Rekord - 2019 gaben in Deutschland 46.000 Polen ihre Stimme ab. Wen Alicja wählen würde, wenn sie registriert wäre? "Ganz klar Tusk. Er steht für die Zukunft. PiS heißt Vergangenheit."
Die polnische Regierungspartei PiS liegt zwei Wochen vor der Wahl in den Umfragen vorne. Oppositionsführer Donald Tusk möchte das ändern und ruft zu einer Großdemonstration auf. 29.09.2023 | 2:03 min
Gemischte Stimmen zur PiS
Traditionell wählt die Polonia eher liberal. 2019 stimmten nur rund ein Viertel der Deutsch-Polen für die nationalkonservative PiS. Auch jetzt dominieren innerhalb der Polonia liberale Themen:
Die PiS-Regierung hatte in dieser Legislatur das Abtreibungsrecht verschärft. "Die PiS muss verlieren", hofft Isabella. "Für die sind an allem die Ausländer schuld. Es geht immer nur um Migration. In meinen Augen kauft sich die PiS durch vereinzelte Sozialreformen die Stimmen der Wähler, um dann nur zu spalten." Unter der PiS wurde das Kindergeld eingeführt und soll nach den Wahlen von 500 auf 800 Zloty (rund 175 Euro) steigen, Rentner erhalten neuerdings eine 14. Monatsrente. Die PiS wirbt im Wahlkampf offensiv mit ihren Sozialerfolgen.
"Auf jeden Fall PiS" wählen wird am Sonntag Artur. Für ihn sind jedoch nicht migrations- oder sozialpolitische Themen entscheidend. "Tusk ist kein aufrechter Politiker. Er wird gelenkt, auch aus Deutschland." Es sind Narrative wie diese, mit denen die PiS versucht, die Polonia von der Stimmabgabe für die Bürgerkoalition abzuhalten.
In Polen findet am Sonntag die Parlamentswahl statt. Eine Briefwahl ist grundsätzlich nicht zugelassen. Das sorgt bei vielen Polinnen und Polen für Probleme.