Polens Armeechefs treten zurück: Was dahinter steckt

    Paukenschlag in Polen:Armeechefs treten zurück: Was dahinter steckt

    von Lukasz Galkowski, Warschau
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    Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Polen treten zwei der wichtigsten Generäle der polnischen Armee zurück. Was sind die Gründe? Die Geschichte eines politischen Konflikts.

    Polnischer General in Uniform mit Politikern bei Verabschiedung nach Rücktritt
    Polen steckt mitten im Wahlkampf. Das hat auch Konsequenzen für das polnische Militär. Am Dienstag traten zwei Generäle zurück. Ein Grund könnte die Einbindung des Militärs in den Wahlkampf sein. 11.10.2023 | 2:02 min
    Die Nachricht schlug am Vormittag wie eine Bombe ein. Zwei hochrangige Chefs der polnischen Armee sind zurückgetreten - mitten während des Ukraine-Kriegs, der Evakuierungsaktion in Israel und wenige Tage vor den Parlamentswahlen.
    "Es ist ein dramatischer Tag für das polnische Militär", kommentierte der ehemalige Verteidigungsminister (2011-2015) Tomasz Siemoniak (Oppositionspartei PO) gegenüber dem Nachrichtensender TVN24. Es sei "eine Zusammenfassung der acht Jahre des Regierens der polnischen Armee durch die PiS". Janusz Zemke, Staatsekretär im Verteidigungsministerium (2001-2005) sprach von einem "beispiellosen Ereignis". Was ist passiert?

    Mysteriöser Raketeneinschlag in Zentralpolen

    Um die Hintergründe der Rücktritte zu verstehen, muss man einige Monate zurück in die Vergangenheit springen. Ende April dieses Jahres wurde durch einen Bericht der linksliberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" eine kuriose Nachricht publik, die Umstände sind bis heute nicht vollends geklärt. In einem Wald bei Bydgoszcz - die Stadt befindet sich nicht etwa im Grenzgebiet zu den östlichen Nachbarn, sondern im mittleren Teil des Landes - entdeckte ein Spaziergänger Trümmerreste, die sich später als Teile einer russischen Rakete herausstellen sollten.
    Das Verteidigungsministerium bestätigte wenig später, dass die Rakete Mitte Dezember 2022 in den polnischen Luftraum eingedrungen ist und eine Intervention der Militärjets nach sich gezogen haben soll. Die Öffentlichkeit erfuhr damals davon nichts.
    Interview
    In Polen stehen die Parlamentswahlen an. Antje Pieper besucht mehrere Städte und trifft Menschen, die berichten, wie sehr Polen im Wandel steht.20.09.2023 | 12:32 min

    Vorfall wirft viele Fragen auf

    Es handelte sich wohlgemerkt nicht um den Vorfall vom November 2022, als eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehrrakete in der polnischen Grenzstadt Przewodów einschlug und dabei zwei polnische Staatsbürger tötete. Besonders kurios: Nach dem Vorfall in Bydgoszcz wurde die Suche nach den Raketentrümmern offenbar nicht zum erfolgreichen Ende fortgesetzt.
    Die Öffentlichkeit staunte: Eine russische Rakete fliegt durch das halbe Staatsterritorium, und niemanden interessiert es? Von wo wurde die Rakete abgefeuert? Handelte es sich womöglich um eine belarussische Provokation? Oder war es eine fehlgeleitete Rakete aus sowjetischem Bestand, die bei Übungen der polnischen Armee abgefeuert wurde? Fragen über Fragen. Brisant dabei: Mit dem Raketentyp können atomare Sprengköpfe transportiert werden. Die untersuchte Rakete war offiziellen Angaben zufolge jedoch mit einer Attrappe bestückt.

    PiS benutzt Armee zu Wahlkampfzwecken

    Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak (PiS) machte prompt die Armeeführung für das Desaster verantwortlich. Und jetzt kommt die eigentliche Ebene der heutigen Rücktritte zum Vorschein: Der politische Konflikt zwischen Teilen der Armeeführung und der PiS-Regierung. "Es ist das Ergebnis eines scharfen Konflikts zwischen den beiden Generälen und dem Verteidigungsminister" sagt der Journalist Marek Kozubal, der konservativen Tageszeitung "Rzeczpospolita", der heute als erster von den Demissionen berichtete.

    Meiner Meinung nach schwelt der Konflikt seit April-Mai dieses Jahres, also seit dem Zeitpunkt, als die Rakete bei Bydgoszcz gefunden wurde.

    Journalist Marek Kozubal

    Die Armeeführung warf der PiS-Regierung zudem vor, das Militär für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen: Błaszczak veröffentlichte kürzlich einen Verteidigungsplan gegen Russland von 2011. Die Publikation des geheimen Dokuments sollte zeigen, dass die heutige Opposition, damals Regierung, bereit war, bei einem russischen Angriff den östlichen Teil des Landes nicht zu verteidigen und sich zunächst auf die Weichsellinie zurückzuziehen.

    Ministerium schiebt Armeeführung Schuld zu

    Warum also heute die Rücktritte? Eine Begründung lieferten beiden Offiziere bisher nicht, eine offizielle Stellungnahme des Verteidigungsministeriums gab es bis dato auch nicht. Es bleibt daher viel Raum für Spekulationen. Medienberichten zufolge soll die Rolle der beiden zurückgetretenen Generäle durch Błaszczak marginalisiert worden sein.
    Demnach soll die Evakuierungsaktion aus Israel nicht von dem eigentlich dafür zuständigen, sondern dem Błaszczak-nahen General Kukuła organisiert werden. Mit Blick auf die üppige Berichterstattung im regierungsnahmen Staatssender TVP wird klar: Der Erfolg der Aktion soll der PiS im Wahlkampf helfen - und ließe sich mit Kukuła politisch besser verkaufen.
    Epilog: Am Nachmittag verkündete Präsident Duda die Nachfolger. Kukuła wurde zum ranghöchsten Armeechef befördert.

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