Korruption bei Visa: Polens Außenminister tritt nicht zurück
Korruptions-Vorwürfe:Wie die Visa-Affäre der PiS schaden könnte
|
Nach Ermittlungen zum Verkauf von Arbeitsvisa steht schwerer Korruptionsverdacht gegen Polens Regierung im Raum. Außenminister Rau sieht bei sich keine Schuld und keinen Skandal.
"Bei den Zahlen liegen Oppositionsangaben und Regierung krass auseinander", so ZDF-Korrespondentin Natalie Steger in Warschau über die illegale Visa-Vergabe in Polen. Noch besteht Unklarheit über das Ausmaß.19.09.2023 | 2:59 min
Polens Außenminister Zbigniew Rau sieht nach Ermittlungen gegen seine Behörde wegen Korruption bei der Vergabe von Arbeitsvisa in Asien und Afrika keinen Anlass für einen Rücktritt.
Skandal setzt polnische Regierung unter Druck
Die Opposition spricht von Hunderttausenden fraglichen Visa, die gegen eine Geldzahlung schneller ausgestellt worden sein sollen. Die Regierung spricht nur von rund 200. Gegenüber der Nachrichtenagentur PAP beteuerte der polnische Außenminister am Montag in New York seine Unschuld.
Keine Visa-Affäre? Bartosz Weglarczyk, Chefredakteur des Internetportals "Onet", das die Recherchen zu dem Thema mit vorangetrieben hat, sieht das im ZDF-Interview anders. "Wir wissen (...), dass mindestens ein stellvertretender Außenminister davon wusste", sagt Weglarczyk.
"Wenn die anderen stellvertretenden Minister, der Außenminister, die Leiter der Geheimdienste, nichts von dem Ausmaß des Visaskandals wussten, wie sie behaupten, dann haben wir zwei Möglichkeiten", erklärt Weglarczyk:
Visa-Affäre Steilvorlage für die Opposition
Der Skandal um die Visavergabe setzt die nationalkonservative Regierungspartei PiS einen Monat vor der Parlamentswahl 15. Oktober heftig unter Druck. Dabei geht es um die Frage, ob massenweise Arbeitsvisa für Bürger afrikanischer und asiatischer Länder ausgestellt wurden und ob dies schneller ging, wenn die Antragsteller über Vermittler große Summen zahlten.
"Die PiS gibt sich seit Jahren als der Hüter der EU-Außengrenze nach Belarus im Kampf gegen illegale Migration", erklärt die ZDF-Korrespondentin in Warschau, Natalie Steger. "Bislang hatte die Opposition bei diesem Thema wenig entgegenzusetzen. Nun die Visa-Affäre - und ausgerechnet die PiS soll Migranten ins Land geholt haben, gegen Schmiergeld." Fakt sei: Kein Schengen-Land habe 2022 so viele Arbeitsvisa ausgegeben wie Polen.
Vier Wochen vor der Wahl wird in Polen besonders heftig um jede Stimme gekämpft. Die PiS lässt keine Möglichkeit aus, um gegen Donald Tusk zu wettern - und andersherum. 13.09.2023 | 2:08 min
Unterschiedliche Angaben zu Ausmaß der Affäre
Am Donnerstag hatte die polnische Generalstaatsanwaltschaft bekannt gegeben, dass sie gegen sieben Personen wegen des Verdachts ermittelt, sie hätten gegen Bezahlung die Vergabe von Arbeitsvisa beschleunigt. Drei Personen wurden festgenommen.
Die Staatsanwaltschaft sprach von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe "mehrerer Hundert Arbeitsvisa" in mehreren arabischen Ländern sowie in Indien, den Philippinen, Singapur, Hongkong und Taiwan. Außenminister Rau sagte nun, es gehe bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft um 200 Visa. "Echte Klärung ist von Seiten der Regierung eher nicht zu erwarten", schätzt ZDF-Korrespondentin Steger. "Die Staatsanwaltschaft ist fest auf Regierungslinie - Generalstaatsanwalt in Polen ist der Justizminister."
Berichte polnischer Medien und Angaben der Opposition deuten tatsächlich auf ein sehr viel größeres Ausmaß hin. Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) nannte die Zahl von 250.000 Arbeitsvisa, die innerhalb von 30 Monaten in Afrika und Asien ausgestellt worden seien. Zwei Parlamentarier seiner Partei, die im Rahmen einer in Polen möglichen Abgeordnetenkontrolle Einblicke in Unterlagen des Außenministeriums nahmen, sprechen von 350.000 Visa.
Am 15. Oktober wählen die Polen ein neues Parlament. Die Regierungspartei PiS kämpft um die Macht und nutzt ihr altes Feindbild aus: Deutschland. 17.09.2023 | 2:08 min
Skandal beschäftigt polnische Politik schon länger
Personelle Konsequenzen hinter den Kulissen gab es schon Ende August: Der für konsularische Angelegenheiten zuständige Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk wurde entlassen und verschwand von der Wahlliste der PiS. Zur gleichen Zeit wurde seine Abteilung von der Antikorruptionsbehörde CBA durchsucht.
Am Freitag sagte Justizminister Zbigniew Ziobro, Wawrzyk sei nach einem Selbstmordversuch in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Nach Berichten polnischer Medien soll der Politiker der Drahtzieher hinter dem System der korrupten Visavergabe gewesen sein.
Die PiS-Regierung macht im Wahlkampf Stimmung gegen Migranten. Sie sperrt sich auch gegen den Asylkompromiss der EU, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht.
Der Wahlkampf in Polen nimmt langsam Fahrt auf. In einem Werbespot lehnt Parteichef Kaczynski ein fiktives Telefonat mit Kanzler Scholz ab - und teilt dabei gegen Rivale Tusk aus.