Vor G20-Gipfel in Indien: Die neue Welt-Un-Ordnung

    Vor G20-Gipfel in Indien:Die neue Welt-Un-Ordnung

    Ulf Röller
    von Ulf Röller
    |

    Wieder ein Gipfel in Krisenzeiten: Am Wochenende kommen die G20 in Neu-Delhi zusammen. Und einmal mehr gehen die unterschiedlichen Macht-Interessen weit auseinander.

    Einheimische laufen am G20-Logo in der Nähe des Veranstaltungsortes des G20-Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs in Indien vorbei. (31.08.2023)
    Der G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs wird am Wochenende des 9./10. September in Neu-Dehli stattfinden.
    Quelle: epa

    Als sich die Vereinten Nationen vor mehr als 75 Jahren gründeten, war die Erinnerung an den Horror des Zweiten Weltkriegs noch frisch. Die neue Supermacht USA hatte zwei Atombomben abgeworfen. Der Mensch hatte die Fähigkeit entwickelt, sich selbst auszulöschen.
    Vielleicht formulierte deshalb US-Präsident Harry Truman einen Traum:

    Wir müssen einen Weg finden, Krieg zu beenden.

    Harry Truman, ehemaliger US-Präsident (1945-1953)

    Friedensbotschaften zum G20-Gipfel

    Es blieb eine Illusion, denn seither hat es wohl mehr als 250 Kriege geben. Der Mensch ist nicht für Frieden gemacht, zu groß die Sehnsucht nach Macht.
    Der Werbefilm des G20-Gipfels, der am kommenden Wochenende in Indien stattfindet, ist trotzdem voller blumiger Friedensbotschaften. Der indische Regierungschef Narendra Modi verkündet die passende Botschaft dazu:

    Die Welt ist eine Familie.

    Narendra Modi, Regierungschef Indien

    Aber die Realität sieht leider anders aus. Der G20-Gipfel wird wieder einmal ein Treffen in Krisenzeiten sein. Der Ukraine-Krieg überschattet die internationalen Beziehungen.

    Treffen der Super-Egos

    Russlands Präsident Wladimir Putin wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Sein Daheimbleiben erspart den Gipfelteilnehmern die peinliche Frage, wie sie mit ihm umgehen. Das lang ersehnte Treffen von US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping wird es wohl nicht geben. Xi wird seinen Ministerpräsidenten schicken, wie sein Außenamt mitteilen ließ.
    Trotzdem bleibt es ein Treffen der Super-Egos. Der Erdogans, der Modis, der Lulas, der Bidens, die alle einen besseren Platz auf dem Sonnendeck der internationalen Beziehung wollen. Da muss Europa aufpassen, dass es nicht an Bedeutung verliert.

    Appell: Europa soll mit einer Stimme sprechen

    Einer der seit Jahrzehnten Außenpolitik beobachtet, ist der ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Er hat eine klare Meinung dazu:

    Europa muss mit einer Stimme sprechen.

    Wolfgang Ischinger, langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz

    Im ZDF-Interview sagte Ischinger weiter: "Es muss mehr für die eigene Sicherheit tun." Es ist eine bittere Wahrheit: Ohne Amerika ist Europa nicht fähig, Russlands Aggression abzuwehren.

    Ukraine-Krieg empört nicht überall auf der Welt

    Schmerzlich mussten die europäischen Regierungschefs erfahren, dass ihre Empörung über den Ukraine-Krieg nicht überall geteilt wird. Für viele Länder in Afrika und in Lateinamerika ist dies ein europäischer Konflikt.
    Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat dafür sogar Verständnis. Diese Länder haben Europa als Kolonialmächte erlebt, sagt er im ZDF-Interview, diese Erinnerung sei noch frisch. "Wir Europäer sehen diesen Krieg von einem moralischen Standpunkt und lehnen ihn ab. Denn es ist ein Angriff auf einen Nachbarn ohne jeden Grund. Wir sind empört." Borell weiter:

    Aber diese Länder haben nicht dieses Gefühl der Empörung. Und deshalb sitzen sie auch mit dem russischem Außenminister Lawrow zusammen, um Geschäfte zu machen.

    Josep Borrell, EU-Außenbeauftragter

    Der EU-Außenbeauftragte meint konkret damit die Brics-Staaten, Südafrika, Brasilien, Indien, Russland und China, die sich vor knapp zwei Wochen getroffen haben. Ihre Macht-Interessen sind unterschiedlich, aber sie eint doch eins, die "Nicht-Akzeptanz des westlichen Führungsanspruchs", so China-Experte Sebastian Heilmann von der Universität Trier.

    China will Amerikas Macht eindämmen

    Dieses Brics-Bündnis ist kein Wertebündnis, sondern ein Wirtschaftsblock, der immer stärker wird. Präsident Xi hofft, mit diesem Bündnis Amerikas Vorherrschaft zu bremsen. Er glaubt an ein chinesisches Jahrhundert, er glaubt, der Westen sei im Niedergang. Schaut lieber nach Peking, ruft Xi der Welt zu.
    Früher schaute die Welt wie selbstverständlich nach Washington, um Antworten zu finden. Dort regiert ein 80-jähriger Präsident, der die große Hoffnung für viele in Europa verkörpert, weil ein 77-jähriger Herausforderer namens Donald Trump zum Angriff auf das Weiße Haus und die westlichen Werte bläst. Eine Welt, in der sich Amerika selbst innenpolitisch zerlegt hat, wäre eine Welt, in der China den Ton angibt.
    Olaf Scholz besucht die IAA-Mobility
    In Sachen Elektromobilität hinkt Europa China hinterher. Beim Heimspiel auf der IAA treffen die deutschen Autobauer nun auf die chinesische Konkurrenz - und deren günstige Preise.05.09.2023 | 2:43 min
    Wolfgang Ischinger warnt davor - denn in einer solchen Welt kämen unsere Werte unter die Räder:

    Ich sage nur Menschenrechte, Menschenrechte, Menschenrechte.

    Wolfgang Ischinger, langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz

    Der Ausgang des Duells Amerika-China entscheidet über unsere Art zu leben. Die Welt formiert sich neu. Wie sagte US-Präsident Truman seinerzeit: Wir müssen einen Weg finden, Krieg zu beenden. Die Welt sucht weiter.
    Ulf Röller leitet das ZDF-Studio in Brüssel.
    Xi Jinping, Präsident von China. Archivbild

    Nachrichten | Thema:China