Tsahkna: "Ukraine muss vollwertiges Nato-Mitglied werden"

    Interview

    Estnischer Außenminister:"Ukraine muss vollwertiges Nato-Mitglied werden"

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    Der Ukraine-Krieg tritt in eine neue Phase ein, so der estnische Außenminister: Tsahkna über Sicherheitsgarantien, die Rolle der Nato und die globale Dimension des Konflikts.

    Ein Blick auf die Flaggen der Nato-Mitgliedsländer vor dem Nato-Hauptquartier in Brüssel.
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    Die Nato-Außenminister treffen sich in dieser Woche in Brüssel während die Ukraine vor neuen Herausforderungen steht: An der Front muss das Land Rückschläge hinnehmen und durch die Einmischung von China und Nordkorea wird der Krieg weiter eskaliert.
    Und dann ist da die große Frage, wie die Ukraine-Politik der neuen US-Administration aussehen wird. ZDFheute konnte die neue Gemengelage mit dem estnischen Außenminister Margus Tsahkna besprechen.
    ZDFheute: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vorgeschlagen, dass ein Waffenstillstand möglich wäre, wenn die Nato die Teile der Ukraine schützen würde, die noch in der Hand der Ukraine sind. Sollte die Nato der Ukraine diese Sicherheit bieten?
    Margus Tsahkna: Estland hat über die Jahre hinweg eine sehr klare Position vertreten: Die Ukraine muss ein vollwertiges Mitglied der Nato werden. Das ist die einzige funktionierende Sicherheitsgarantie. Das ist es, was wir der Ukraine bieten können.

    Bei der Frage nach einem Waffenstillstand geht es in erster Linie darum, was Wladimir Putin zu tun bereit ist.

    Und ich sehe nicht, dass Wladimir Putin sein Ziel geändert hat und sich mit dem Gebiet zufrieden geben würde, was er bereits gewonnen hat. Er hat sehr deutlich gesagt hat, dass er die Ukraine als Staat zerstören will. Wir müssen verstehen, dass wir Russland aufhalten und nach Russland zurückdrängen müssen.
    Der Frieden und der Waffenstillstand, die daraus resultieren, können nur durch solide Sicherheitsgarantien dauerhaft sein. Und wir sind sicher, dass die Nato die einzige solide Sicherheitsgarantie ist.
    SGS Schaefers
    In Brüssel beraten die Außenminister der Nato-Staaten über die Lage in der Ukraine und weitere Maßnahmen zur Unterstützung. Isabelle Schaefers ist vor Ort und schätzt ein.03.12.2024 | 1:10 min
    ZDFheute: Sollte die Ukraine auf der anderen Seite auch bereit sein, einen Teil des ukrainischen Territoriums aufzugeben?
    Tsahkna: Das ist eine Frage für Präsident Selenskyj und die Ukrainer. Einen vollständigen und langanhaltenden Frieden kann es nur zu den Bedingungen der Ukraine geben.
    ZDFheute: Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hat gesagt, dass Friedentruppen aus europäischen Staaten kommen könnten. Könnten Sie sich das vorstellen?
    Tsahkna: Ich kann mir jede Art von wirklich funktionierenden Sicherheitsgarantien zusammen mit der Ukraine und Nato vorstellen.
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    Ukraines Präsident Selenskyj hat sich zu einem möglichen Waffenstillstand mit Russland geäußert. Dafür müsse die Nato den Schutz der ukrainisch kontrollierten Gebiete gewährleisten.30.11.2024 | 0:25 min
    ZDFheute: Donald Trump hat gesagt, er würde innerhalb kürzester Zeit Frieden bringen. Ist die Trump-Regierung eine Chance, weil sie neuen Input in den Konflikt bringt?
    Tsahkna: Ich habe schon oft gesagt, dass wir uns in einer Situation wie im Jahr 1938 vor dem Münchner Treffen befinden. Das ist ein großes Risiko, dass jede Art von Abkommen genau so sein wird, wie es in München passiert ist. Dann würde es tatsächlich keinen Frieden geben. Wir haben eine nordkoreanische Truppe in Europa, die kämpft.
    Das ist also nicht mehr nur ein Problem zwischen Russland und der Ukraine. Es ist viel globaler. Und das müssen wir verstehen. Ich bin sicher, dass die USA das auch verstehen. Wie sieht also der Plan von Präsident Trump aus? Das werden wir sehen, wenn Trump sein Amt antritt.

    Aber wir können auch beobachten, dass Trump Gespräche mit verschiedenen Staatsoberhäuptern und auch mit dem Generalsekretär der Nato führt - und er hört aufmerksam zu.

    Unsere Aufgabe ist es also, zu erklären, dass es sich um ein globales Problem handelt. Und wenn Präsident Trump einen Friedensplan hat, dann muss dieser stark, umfassend und dauerhaft sein.

    Canada-Baltic Foreign Ministers meeting in R?ga
    Quelle: epa

    ... ist seit Frühjahr 2023 als estnischer Außenminister im Amt. Zuvor war der heute 47-Jährige Verteidigungsminister seines Landes.

    ZDFheute: Ist Europa auf die zweite Amtszeit von Trump vorbereitet?
    Tsahkna: Ich war Verteidigungsminister zu der Zeit, als Trump zum ersten Mal das Amt antrat. Wir sind jetzt in einer sehr klaren Position, dass wir die Ukraine unterstützen müssen, also arbeiten wir mit den gewählten US-Präsidenten zusammen.
    ZDFheute: Sie haben bereits die Beteiligung von Nordkorea erwähnt und auch China mischt sich in den Konflikt ein. Muss die Nato darauf nun mit neuen Maßnahmen reagieren?
    Tsahkna: Wir müssen genau das tun, was die Ukrainer verlangen. Sie bitten im Moment nicht um unsere Truppen. Sie bitten um unsere militärische Unterstützung. Sie bitten um Sicherheitsgarantien wie eine Nato-Mitgliedschaft, zumindest um eine Einladung als Zeichen dafür. Aber es braucht natürlich Zeit, um die politische Entscheidung zu treffen.
    sgs schmiese jung
    ZDF-Korrespondent Schmiese: Präsident Selenskyj zeigt sich flexibler bezüglich einer Verhandlungslösung. ZDF-Reporterin Jung: Rufe der Ukrainer nach Nato-Beitritt werden lauter.11.10.2024 | 4:19 min
    ZDFheute: Was bedeutet die deutsche politische Instabilität und das deutsche Zögern etwa mit Blick auf die Lieferung von Taurus für die Ukraine und auch für Europa?
    Tsahkna: Deutschland ist ein sehr demokratisches Land. Natürlich, wenn man mitten im Wahlkampf ist, dann kann man keine strategische oder politische Entscheidung treffen. Das ist ganz normal. Das ist überall so. Aber ich hoffe, dass es während dieses Wahlkampfes und auch während der Wahlen ein neues starkes Mandat für die neue Regierung geben wird. Aber Deutschland hat eine Menge getan.

    Wer auch immer Deutschland kritisiert, sollte daran denken, dass Deutschland nominell die zweitgrößte militärische Unterstützung für die Ukraine geleistet hat.

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    Die US-Entscheidung befeuert nun in Deutschland wieder die Diskussion über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Scholz bekräftigte seine Ablehnung zur Lieferung.18.11.2024 | 2:04 min
    ZDFheute: Mit Blick auf die gerade besprochenen neuen Aspekte: Geht der Krieg in der Ukraine jetzt in eine neue Phase über?
    Tsahkna: Ja, man kann sagen, dass dies eine neue Phase ist. Auch, weil wir sehen, dass Putin ein aggressiveres Verhalten an den Tag legt als jemals zuvor in den letzten zwei Jahren. Und Trump tritt an und hat versprochen, die US-Politik gegenüber Russland und der Ukraine zu ändern. Aber nicht nur das, auch China wird eines der vorrangigsten Themen für die Trump-Administration sein.

    Wir sprechen nicht nur über die russische Invasion in der Ukraine, sondern auch über den Nahen Osten. Wir sprechen auch über die globalen Beziehungen, wir sprechen über die Verteidigungsinvestitionen.

    Es wird also definitiv eine neue Phase geben - alles wird viel globaler.
    Das Interview führte Isabelle Schaefers, Nato-Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.

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