Hamas-Tunnel: Was Israel unter dem Krankenhaus gefunden hat

Es ist einer der zentralen Vorwürfe gegen die Hamas: Ihre Tunnelnetzwerke im Gazastreifen sollen auch unter Krankenhäusern verlaufen und die Terrororganisation soll so den besonderen Schutz dieser humanitären Einrichtungen ausnutzen, um dort Kommandozentren zu verstecken. Nun da Israel Teile von Gaza-Stadt eingenommen hat, machten sich ihre Soldaten mit schwerem Gerät auf die Suche nach diesen versteckten Tunneln - und präsentierten Journalisten erste Funde aus dem Untergrund.

Im Fokus steht das Schifa-Krankenhaus von Gaza-Stadt. Es ist die größte medizinische Einrichtung im Gazastreifen und war für Tausende Zivilisten in den vergangenen Wochen ein Zufluchtsort. Für eine Pressetour holten die israelischen Streitkräfte (IDF) internationale Journalisten nach Gaza und veröffentlichten in den sozialen Medien Videos, die zeigen, dass es unter dem Klinikgelände auch mehrere Hunderte Meter lange versteckte Zugangstunnel gibt.

Die Gänge sind etwa mannshoch, durchgängig sind Stromkabel verlegt. Links und rechts gehen Räume ab, darunter auch Bäder und eine Küchenzeile. Der schwierige Zugang und die große Enge machen eine Nutzung zu medizinischen Zwecken unwahrscheinlich. Jedoch belegen allein die bislang vorliegenden Videos auch nicht, dass in diesen Räumen zweifelsfrei wichtige Kommandozentren der Hamas gelegen haben. Die teils sogar mit einer Klimaanlage ausgestatteten Zimmer waren vollständig ausgeräumt - unklar von wem.

Anhand der von Israel veröffentlichten Videos konnte der Rechercheexperte Nathan Ruser eine Karte entwerfen, die den Verlauf dieser Tunnel unter Gaza verdeutlicht. Daraus geht hervor, dass mehrere der Räume direkt unterhalb eines Klinikgebäudes liegen.

Die Tunnel sind im typischen Hamas-Stil mit massiven Beton-Bögen gebaut. In einem Video präsentiert die IDF Waffen und Ausrüstung, die mutmaßlich am Krankenhaus gefunden wurden - einem der unterirdischen Räume können sie aber nicht klar zugeordnet werden.

Bereits am Sonntag veröffentlichte Israel Bilder mehrerer Überwachungskameras, die zeigen sollen, wie mutmaßliche Hamas-Kämpfer verschleppte Geiseln am 7. Oktober ins Schifa-Krankenhaus gebracht haben. Mehrere Leichen von Entführten seien in den vergangenen Tagen in der Nähe der Klinik gefunden worden.

Die "Zeit" berichtete über Badelatschen und die Umhängetasche einer israelischen Familie, die israelische Soldaten im oder am Krankenhaus gefunden haben sollen. Laut lokalen Medienberichten hat Israel inzwischen Schifa-Direktor Mohammed Abu Selmia verhaftet.

Für Verwirrung sorgte eine Aussage des früheren israelischen Premiers Ehud Barak. Er sagte dem US-Sender CNN, dass Bunkeranlagen unter dem Schifa-Krankenhaus bereits "vor Jahrzehnten" im Auftrag Israels angelegt worden seien - zu einer Zeit, als Israel den Gazastreifen besetzt hielt. Das wird nun von manchen Seiten als vermeintlicher Beleg herangezogen, die Hamas-Tunnel, beziehungsweise die aufwändige Suche nach ihnen seien eine israelische Inszenierung.

Jedoch widerspricht Baraks Schilderung nicht zwingend den nun neu gefundenen Tunnel-Systemen. Das Klinikgelände ist groß und umfasst eine ganze Reihe von Gebäuden. Die nun fraglichen Gänge liegen unterhalb eines 2014 mit katarischer Finanzierung fertiggestellten, vierstöckigen Baus. Diese Tunnel sind also vermutlich jüngeren Alters und nicht von Israel angelegt. Ein IDF-Sprecher betonte, dass gegenwärtig nach weiteren Verstecken gesucht werde.

Laut Grafiken der israelischen Streitkräfte sollen auch unter weiteren Gebäuden unterirdische Anlagen bestehen. Und auch ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International von 2015 nennt das Schifa-Gelände als Ort von Hamas-Befragungen und Folter von Gefangenen.

Grundsätzlich genießen zivile Einrichtungen einen besonderen völkerrechtlichen Schutz. Für Krankenhäuser, in die sich Zivilisten geflüchtet haben, gilt das besonders. Dennoch können auch sie zu legitimen Zielen für Angriffe werden, sollte eine Partei den Ort militärisch nutzen.

Eine eindeutige rote Linie bietet das Völkerrecht aber nicht - jedes Vorgehen muss einzeln abgewogen werden. Je wichtiger das Ziel ist, je größer der militärische Vorteil, desto mehr zivile Opfer dürfen etwa in Kauf genommen werden. Israel hat also ein großes Interesse daran, nicht nur einzelne Waffen im Schifa-Komplex zu finden, sondern seine mögliche Rolle als Kommandozentrale zu betonen.

Für die Hamas hingegen ist es von Vorteil, Zivilisten bewusst in Gefahr zu bringen, da das israelische Schläge gegen ihre Stellungen erschwert und Bomben auf Krankenhäuser weltweit für Schlagzeilen sorgen.