Treffen in Indien: Amerikas Gretchenfrage an den G20-Gipfel
Treffen in Indien:Amerikas Gretchenfrage an den G20-Gipfel
von Elmar Theveßen
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Für die USA geht es beim G20-Gipfel in Neu-Delhi um die heikle Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit der territorialen Integrität eines Staates?
US-Präsident Joe Biden stellt in Indien beim G20-Gipfel eine Gretchenfrage.
Quelle: AFP
Die US-Regierung befürchtet das, was eigentlich fast jeden Tag geschehen könnte: Einen Zwischenfall, der zum Konflikt, ja vielleicht sogar Krieg mit China führt.
Am 22. August gab es wieder so einen Moment. Da durchbrachen zwei kleine philippinische Versorgungsboote eine chinesische Blockade im Indopazifik. Wenn Chinas Patrouillenschiffe sie angegriffen und versenkt hätten, steckten wir vielleicht schon mittendrin in einer militärischen Eskalation im Indopazifik.
Der Vorfall ereignete sich an der Ayungin Shoal, einer Insel im südchinesischen Meer, die nach internationalem Recht zu den Philippinen gehört. Aber die kommunistische Führung in Peking beansprucht die winzige Landmasse für sich, genau wie andere Atolle, auf denen sie völkerrechtswidrig chinesische Militärbasen bauen ließ.
Die Versorgungsboote brachten Lebensmittel zu den philippinischen Soldaten, die seit Jahren auf der Ayungin Shoal die Stellung halten.
Die Staats- und Regierungschefs der G20 treffen sich zum Gipfel in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. So harmonisch, wie der Slogan "Eine Erde, eine Familie, eine Zukunft", dürfte es aber nicht ablaufen.08.09.2023 | 2:11 min
Top-Thema territoriale Integrität eines Staates
Obwohl die G20 bei ihrem Gipfel über große Zukunftsthemen beraten wollen, ist dies dennoch einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte: Wie hältst Du es mit der territorialen Integrität eines Staates?
Joe Biden will eine Antwort auf diese Gretchenfrage, denn der Gipfel muss eine Haltung finden zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wenn diese Antwort in der Abschlusserklärung in Bezug auf den Ukrainekrieg klar und eindeutig ausfällt, gilt sie auch für winzige Atolle, für Taiwan und für andere Gebietsstreitigkeiten rund um den Globus.
Wenn man sich aber nicht einmal auf den Grundsatz der territorialen Integrität verständigen kann - eine Selbstverständlichkeit, die auch in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist - wie soll man dann die anderen großen Probleme dieser Welt lösen?
Mit diesem Argument will die US-Regierung hier in Delhi Druck machen - vor allem auf China und Russland, die beim letzten Gipfel in Bali Einstimmigkeit in dieser Frage verhinderten.
Washington schaut auf Staaten des globalen Südens
US-Präsident Biden wäre deshalb gern mit Xi Jinping ins Gespräch gekommen. Aber der hat ja abgesagt. Und so richtet sich Washingtons Blick auf die Staaten des globalen Südens, gewissermaßen als Zünglein an der Waage.
Im Pressebriefing des Weißen Hauses freute sich der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats John Kirby besonders, dass die Afrikanische Union erstmals offiziell mit am Tisch sitzt. Die Biden-Administration hofft auf Unterstützung vom Verbund der afrikanischen Staaten im Ringen um die Relevanz des G20-Formats.
"Wir sehen die G20 weiterhin als entscheidendes Forum der größten Wirtschaftsnationen dieser Welt, um gemeinsam globale Probleme zu lösen", so Kirby. Aber er fuhr fort:
USA senden Signal an Gastgeber Modi
Das Signal gilt ganz besonders dem Gastgeber Narendra Modi. An allen Straßen Delhis lächelt der indische Premierminister von riesigen Plakatwänden herunter und wirbt für das Motto "eine Erde - eine Familie - eine Zukunft".
Wenn er es wirklich ernst meinte, müsste sein Land sofort aus dem BRICS-Verbund aussteigen, der sich im August zu einer Art Gegenforum zum G20 erweitert hatte. Zu Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gesellen sich Saudi Arabien, Iran, Äthiopien, Ägypten, Argentinien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Will Indien wirklich in Gesellschaft so vieler autoritärer Regime globale Politik machen? Vielleicht hat Joe Biden beim Treffen am Freitagabend Modi diese Frage gestellt. Kameras waren nicht zugelassen.
USA können nicht mit schönen Worten überzeugen
Die US-Regierung weiß genau, dass sie den Süden der Welt nicht mit schönen Worten überzeugen kann, sondern nur mit konkreten Taten, von zusätzlichen Milliarden für Weltbank und den Internationalen Währungsfond über Schuldenerlasse bis zu riesigen Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur in den Entwicklungsländern.
Amerika will, so ist zu hören, Indien und der arabischen Welt beim Bau großer Eisenbahnlinien helfen.
Entwicklungsländer wohl stärker repräsentiert
Bei der Auftaktpressekonferenz der Gastgeber wollte der indische Sherpa noch keine Details zur geplanten Gipfelerklärung preisgeben. Aber im Dokument werde sich die "Stimme des globalen Südens und der Entwicklungsländer widerspiegeln", stärker als jemals zuvor.
Man darf gespannt sein, ob am Ende auch ohne den chinesischen Präsidenten ein Konsens nicht nur bei den Themen Schuldenkrise, Nahrungsmittelengpässe und Klimawandel zustande kommt, sondern auch in der Gretchenfrage nach der territorialen Integrität.
Es wäre ein wichtiges Signal für die ganze Welt, und natürlich auch für die philippinische Regierung und ihre Soldaten auf der winzigen Ayungin Shoal im südchinesischen Meer.
Vertreter der führenden Wirtschaftsnationen der Welt treffen sich ab Samstag im indischen Neu Delhi. Was schon jetzt über die Zusammenkunft bekannt ist.