Syrien nach Assad: Europa sucht seine Strategie

    Nach Sturz des Assad-Regimes:Kalt erwischt: Europa und das Fragezeichen Syrien

    von Julia Rech und Ulf Röller, Brüssel
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    Der Sturz des syrischen Diktators Assad hat Europa kalt erwischt. Unter Hochdruck versucht Brüssel, sich ein Bild von der Lage zu machen.

    Rebel fighters pose for a picture outside the mausoleum of Syria's late president Hafez al-Assad in the family's ancestral village of Qardaha in the western Latakia province on December 11, 2024, after it was stormed by opposition factions and his gravesite set ablaze
    Nach dem Sturz des Assad-Regimes beteuern islamistische Kämpfer, dass sie für Sicherheit und Stabilität sorgen wollen. Doch die Lage im Land bleibt undurchsichtig.11.12.2024 | 1:52 min
    Die EU hofft auf stabilere Verhältnisse in Syrien, macht sich aber keine Illusion, dass dies schnell gehen wird. Die Hauptbotschaft aus Brüssel an die neuen Machthaber in der syrischen Hauptstadt Damaskus: Wir helfen euch, das Land wieder aufzubauen, dafür vermeidet ihr Verhältnisse wie in Afghanistan.

    Krisentreffen mit der neuen EU-Außenbeauftragten

    SPAAK 1A002 ist kein Geheimcode, sondern die Raumnummer im EU-Parlament, in dem Europas Außenpolitiker versuchen, die Lage in Syrien zu entschlüsseln. Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas tritt vor dem außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments auf. Kallas ist gerade mal 11 Tage im Amt. Als sie angetreten ist, ging es vor allem um den Krieg in der Ukraine. Kallas war zuvor Regierungschefin in Estland, gilt als knallharte Kämpferin gegen Putin und ist deshalb von den Europäern für diesen wichtigen Job ausgesucht worden.
    Nun ein weiterer Krisenherd. Den Machtwechsel in Syrien hatte keiner auf dem Zettel. Kallas hat Analysen, Appelle und ein paar erste Antworten mitgebracht.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskiy, der Präsident des Europäischen Rates Antonio Costa, die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Kaja Kallas und die EU-Erweiterungschefin Marta Kos posieren für ein Foto am Tag ihres Treffens inmitten des russischen Angriffs auf die Ukraine in Kiew, Ukraine, 1. Dezember 2024.
    An ihrem ersten Arbeitstag sind EU-Ratspräsident Antonio Costa und EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas nach Kiew gereist. Und zeigten: Die EU steht an der Seite der Ukraine.01.12.2024 | 1:53 min

    Die großen Player sind andere

    "Haben Sie Kontakt mit den HTS-Milizen, den neuen Machthabern in Syrien?", fragt ein Abgeordneter. Ja, es gebe Kontakte, sagt Kallas. Mit wem und wie intensiv, bleibt offen. Die EU versucht, sich ein Bild zu machen, aber die großen Player in Syrien sind andere: Türkei, Katar, USA und Israel. Europa schaut von der Seitenlinie zu und wird wohl später erst für den Wiederaufbau gebraucht. Darüber will man in Brüssel Einfluss gewinnen.
    Golineh Atai
    In Syrien ist noch kein Frieden in Sicht, verschiedene Länder versuchen die Lage zu nutzen, um ihren Einfluss in dem Land auszubauen. Wie explosiv die Lage ist, berichtet Golineh Atai. 10.12.2024 | 1:26 min

    Erinnerungen an den arabischen Frühling

    Kallas' Botschaft ist eine zwischen Hoffen und Bangen. Viele erinnern an den arabischen Frühling, als die Menschen in Tunesien, Ägypten, Libyen auf die Straßen gingen, als in der Region ein Hauch von Demokratie in der Luft lag. Aber die Erwartungen erfüllten sich nicht. Die alten wurden durch neue Tyrannen ersetzt. Kallas' wichtigste Botschaft: Wir müssen vermeiden, dass dies wieder passiert. Und dann beschreibt sie Europas Wertekanon für Syrien: Menschen- und Frauenrechte achten, ethnische Vielfalt respektieren, Verbrecher zur Verantwortung ziehen.
    SGS Gaa
    ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa berichtet über ihre ersten Eindrücke in Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes. Sie ist von der Türkei aus in Syrien eingereist. 11.12.2024 | 0:51 min
    Die EU-Abgeordnete Hilde Vautmans von den Liberalen fasst zusammen, was viele im Saal denken: "Wer beschützt die christlichen Minderheiten? Wie stellen wir sicher, dass wir nicht Terroristen Geld geben?" Keiner hat jetzt eine Antwort darauf. Kallas sagt dann einen Satz, der Mut machen soll: "Die neuen Machthaber kennen unsere Erwartungen." Ob sie die erfüllen werden, weiß keiner.

    Neue Flüchtlingsströme: "Wir müssen das verhindern"

    Es bleibt viel Unsicherheit. Nach dem Gaza-Konflikt und dem Ukraine-Krieg gibt es nun mit Syrien ein weiteres weltpolitisches Fragezeichen. Von der Antwort hängt für Europa viel ab. Der Rechtsruck in vielen Mitgliedsländer sorgt dafür, dass bereits jetzt über die Rückführung von syrischen Flüchtlingen gesprochen wird. Einige Länder haben die Asylverfahren für Syrer ausgesetzt.
    Aber was ist, wenn Syrien im Bürgerkrieg versinkt? Was ist, wenn sich neue Flüchtlingsströme nach Europa aufmachen würden? Die einzige Antwort in Brüssel: Wir müssen das verhindern.
    duezen-tekkal
    Kurz nach dem Sturz des Assad-Regimes drängen mehrere Politiker auf die Rückführung syrischer Geflüchteter und fordern ein Aufnahmestopp. "Kaltherzig und unmenschlich" seien solche Forderungen, so die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal. 10.12.2024 | 5:28 min

    Die Angst vor IS-Kämpfern in Europa

    Und noch eine Frage quält Europa. Eine, die nicht laut diskutiert wird. Sicherheitsleute weisen diskret darauf hin, dass manch befreiter Gefangene ein IS-Kämpfer ist, der einen europäischen Pass hat. Was ist, wenn sie zurückkehren? Was heißt das für die Sicherheit Europas?
    Die europäischen Außenminister werden sich am Montag in Brüssel treffen. Sie arbeiten an einem Positionspapier zu Syrien. Es soll beides sein: hoffnungsvoll, aber nicht naiv. In einem Punkt sind sich die EU-Außenminister allerdings einig: Der russische Präsident hat jahrelang den syrischen Diktator unterstützt. Der Sturz Assads ist eine Niederlage für Putin. Und das ist für Brüssel eine sehr gute Nachricht.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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