Migrationskrise: Blockiert die Bundesregierung in Europa?

    Migrationskrise:Blockiert die Bundesregierung in Europa?

    Florian Neuhann
    von Florian Neuhann, Brüssel
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    Die EU-Innenminister können sich in der Migrationskrise nicht einigen. Warum Europa weiter blockiert ist - und welche Schuld Berlin daran trägt.

    Migranten drängen sich an Deck des Patrouillenboots CP327 der italienischen Küstenwache, als es im Hafen von Lampedusa (Italien) einläuft, aufgenommen am 18.09.2023
    Viele Migranten in kurzer Zeit: Insel Lampedusa
    Quelle: epa

    Wenn sich die Innenministerinnen und -minister der Europäischen Union an diesem Donnerstag in Brüssel treffen, dann dürfte das manchem wie eine Wiederholung vorkommen. Man wird Klagen hören über zu viele ankommende Migranten. Aufforderungen zu handeln. Und vermutlich, versteckt oder offen, gegenseitige Schuldzuweisungen.

    Migration: Hatte Europa sich nicht erst geeinigt?

    "Einigung: EU verschärft Asylrecht" - so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen an einem Donnerstag im Juni. "Historisch", jubelte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und wenig später auch Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) im Bundestag.
    Zweieinhalb Monate später zeigt sich allerdings, dass die Einigung nicht mehr war als ein erster Schritt - und dass noch viele folgen müssen. Denn Europa ringt immer noch, auch beim Treffen der Innenminister rechnet niemand mit einem Durchbruch. Die Einigung hängt aktuell vor allem an einer Regelung: der so genannten Krisenverordnung.
    Migranten warten in einer Schlange im Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos
    Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen: Eine Reform soll es möglich machen.19.09.2023 | 7:58 min

    Worum geht es beim Streit um die Krisenverordnung?

    Die Verordnung soll Krisensituationen regeln, wie zum Beispiel gerade jene auf der italienischen Insel Lampedusa. Dort gibt es einen schnellen Anstieg der ankommenden Flüchtlinge und Überforderung bei der Registrierung und Aufnahme. In solchen Situationen sollen, einem Verordnungsentwurf vom Juli zufolge, der ZDFheute vorliegt, deutlich härtere Regeln greifen.
    Beispielsweise direkt an der europäischen Außengrenze. Dort müssten Migranten dem neuen Gesetzverfahren zufolge dann bis zu 24 Wochen ausharren - und das nur bei Versorgung der "grundlegendsten Bedürfnisse". Nach Ansicht von Kritikern ein Freibrief für eine schlechte Behandlung.
    Flüchtlinge auf der Insel Lampedusan (Italien), aufgenommen am 18.09.2023
    Über die aktuelle Situation auf Lampedusa.18.09.2023 | 2:08 min
    Eine andere Sorge wird vor allem von Staaten in der Mitte Europas geteilt. Nach der Krisenverordnung könnten sich die Staaten in Grenznähe sehr viel mehr Zeit lassen mit der Registrierung der Flüchtlinge. Die Pflicht, registrierte Flüchtlinge zurückzunehmen, könnte ausgesetzt werden.
    Die Gefahr: Staaten wie Italien oder Griechenland könnten Migranten weiter durchwinken, ob nach Deutschland oder Österreich. Davor hatte zuletzt auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gewarnt. Die Krisenverordnung würde, so Baerbock, "de facto wieder Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland setzen", schrieb Baerbock auf der Plattform X (ehemals Twitter).

    Blockiert die Bundesregierung hier eine Einigung?

    Einerseits ja, denn Berlin enthielt sich zuletzt bei der Abstimmung über die Krisenverordnung - die Enthaltung wirkte, wie Diplomaten sagen, wie ein "freundliches Nein". Denn damit bekam der Gesetzvorschlag nicht die erforderliche Mehrheit.
    Andererseits hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mittlerweile im Kabinett auf eine Einigung der Ampel bei der geplanten Reform gepocht. Nach Informationen aus Regierungskreisen mahnte er insbesondere den Abschluss der Verhandlungen über die sogenannte Krisenverordnung an. Zunächst hatten die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Bild" darüber berichtet.
    Die Bundesregierung war zudem nicht das einzige Land, das sich enthielt oder gegen die Verordnung stimmte. Auch Österreich, Tschechien, Ungarn und Polen stimmten nach Angaben von Diplomaten gegen die Verordnung - teils aus ähnlichen Sorgen vor einem Durchwinken der Flüchtlinge (Österreich), teils weil ihnen die Verschärfung nicht weit genug ging (vor allem Polen, Ungarn, aber auch Tschechien). Weitere Enthaltungen kamen von der Slowakei und den Niederlanden.

    Und was ist mit dem Europaparlament?

    Die europäische Asylreform tritt erst dann in Kraft, wenn sich der Rat und das EU-Parlament geeinigt haben. Vor einer Woche aber setzte das Parlament die Verhandlungen auch zu allen anderen Teilen der Reform aus. Man verlangt vom Rat, dass sich die Staaten zuerst auf eine Position auch zur Krisenverordnung einigen. Diese Verknüpfung ist neu - und legt damit vorerst alles auf Eis.
    Lässt sich Migration begrenzen?
    Lässt sich Migration begrenzen?21.09.2023 | 2:27 min
    Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel, die für das Parlament mitverhandelt, stört sich vor allem an den "massiven Verschärfungen", die die Krisenverordnung vorsieht.

    Statt schutzsuchende Menschen als Bedrohung zu definieren, sollten wir Wege finden, wie wir überlasteten Kommunen europaweit helfen können.

    Birgit Sippel, SPD-Europaabgeordnete

    Europa blockiert - und jetzt?

    Europa hat ein Problem: Die Zeit drängt. Nicht nur, weil beinahe alle Staaten von der Zunahme der Flüchtlingszahlen betroffen sind. Sondern auch, weil im nächsten Jahr Europawahlen anstehen. Die Reform des Asylrechts muss daher bis spätestens Februar fertig verhandelt sein, damit sie vor Ende der Legislaturperiode abgeschlossen werden kann.
    Gelingt das nicht, müsste nach der Europawahl wieder von vorn begonnen werden. Und das, sagen Diplomaten übereinstimmend, wolle man auf jeden Fall verhindern. Die Frage ist nur wie.
    Quelle: Mit Material von dpa

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