Russen verlieren Interesse am Ukraine-Krieg

    600 Tage Ukraine-Krieg:Russen verlieren Interesse am Krieg

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    600 Tage sind seit Beginn des Ukraine-Kriegs vergangen. Doch Russlands Bevölkerung scheint immer weniger Interesse am Kriegsgeschehen zu haben. Dem Kreml könnte das recht sein.

    Menschen in einem Abteil der Moskauer Metro. (Archivbild)
    Der Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt und bei dem jeden Tag auch Russen sterben, ist nicht mehr das Hauptthema bei den Menschen in Russland.
    Quelle: picture alliance / AA

    Die Talkshow von Wladimir Solowjow gehört zu den lautesten und radikalsten Stimmen in der Propaganda-Maschinerie des Kreml. Regelmäßig kommt es in seiner Sendung zu Ausfällen von ihm oder seinen Gästen, die die Grenzen des Denkbaren sprengen. Da wird ein Atomschlag auf Großbritannien simuliert, die deutsche Außenministerin verhöhnt oder der Angriffskrieg gegen die Ukraine als gerechter Kampf gegen Neonazis gerechtfertigt.
    Nur wenige Stunden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel beschwert sich Solowjow in seiner Sendung, dass die Ereignisse in Israel den Geburtstag von Wladimir Putin überschattet hätten. Anschließend bewundert er zynisch die präzise Vorbereitung und die perfekte Ausführung des Angriffs.

    Immer weniger Russen schauen Fernsehen

    Solowjow mag ein besonders radikales Beispiel im russischen Fernsehen sein, aber man merkt dieser und anderen Sendungen dieser Tage an, dass der Krieg, den Russland in der Ukraine führt, nicht mehr das Hauptthema ist. Radikale Sprachbilder, Heldengeschichten und scheinbare Erfolge der russischen Armee scheinen sich nach 600 Kriegstagen abgenutzt zu haben.
    Zu diesem Ergebnis kommt auch das staatliche Meinungsforschungsunternehmen WZIOM. Es hat festgestellt, dass das Interesse am Fernsehen immer weiter abnimmt. Im Jahr 2023 gaben demnach 31 Prozent der Befragten an, im Prinzip nicht mehr fernzusehen. Diese Zahl hat sich in fünf Jahren nahezu verdoppelt.   

    Interesse am Ukraine-Krieg sinkt drastisch

    Aus den Zahlen geht nicht klar hervor, ob das mit dem Krieg zusammenhängt oder ob es einfach eine normale demographische Entwicklung ist. Doch schaut man sich das Interesse der russischen Bürger zum Krieg in der Ukraine an, stellt man einen drastischen Abfall fest. Die kremlnahe Stiftung für öffentliche Meinung stellte drei Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine fest, dass 77 Prozent der Befragten den Krieg als bedeutendstes Ereignis ansahen.
    Archiv:  Auf diesem von Planet Labs zur Verfügung gestellten Satellitenfoto steigt Rauch aus dem Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim auf, nachdem es bei einem Raketenangriff des ukrainischen Militärs getroffen wurde. Am 22.09.2023, Russland, Sewastopol
    Kiews militärische Erfolge auf der Krim werden auch einer Gruppe krimtatarischer Partisanen zugerechnet, die im Untergrund arbeitet. 12.10.2023 | 9:30 min
    Mitte Oktober 2023 stellt dasselbe Institut fest, dass nur noch 27 Prozent der Befragten den Krieg als wichtigstes Ereignis der vergangenen Woche ansahen. Überraschende Zahlen für ein Land, dessen Soldaten seit 600 Tagen in der Ukraine sterben und dessen Staatsspitze monatelang gebetsmühlenartig wiederholte, dass der Krieg in der Ukraine die entscheidende Schlacht Russlands gegen den sogenannten kollektiven Westen ist.

    Umfragen im Sinne des Kreml

    Dass die Zahlen von kremlnahen Umfrageinstituten veröffentlich werden, lässt vermuten, dass Wladimir Putin zumindest nichts dagegen haben dürfte, dass das Interesse der Weltöffentlichkeit, aber auch der eigenen Bevölkerung vom Kriegsgeschehen in der Ukraine weggelenkt wird. Zu wenig bewegt sich dort seit Monaten, zu gering sind die Erfolge.
    Es macht den Anschein, als spiele der Kreml schon länger auf Zeit in diesem Krieg. Irgendwann, so das Kalkül, werde die Unterstützung des Westens aufhören und Russland die Ukraine schlagen. Dann werden auch die Staatsmedien und Propaganda-Shows wieder mehr berichten und das Interesse der Bevölkerung wird zunehmen. Das wird dann auch durch die staatlichen Umfrageinstitute belegt werden.
    Sebastian Ehm ist ZDF-Korrespondent für Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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