Statt Barzahlung: Straßenzeitung setzt auf Online-Zahlung

Chance für wohnungslose Verkäufer:Straßenzeitung setzt jetzt auf Online-Zahlung

Alina Reissenberger
von Alina Reissenberger, Hamburg
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Die Deutschen zahlen immer öfter bargeldlos. Für die Verkäufer von Straßenzeitungen fehlt dann häufig das nötige Kleingeld. In Hamburg will man das ändern.

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QR-Code scannen, klicken - und gekauft ist die neue Ausgabe der "Hinz&Kunzt", die Zeitung, die von Obdachlosen auf der Straße verkauft wird. Seit ein paar Wochen können Käuferinnen und Käufer die Hamburger Straßenzeitung auch online bezahlen.
"Ich zahle ja sonst auch alles mit Karte oder dem Handy - warum sollte ich es also nicht hier auch machen?", sagt Kundin Christiane, die an diesem Nachmittag eine Zeitung von Verkäufer Jan Sjoerds kauft.

Straßenzeitung hilft Obdachlosen zurück ins Leben

Fast jeden Tag ist Jan Sjoerds mit den Zeitungen unter dem Arm unterwegs. Eigentlich wollte er mal Schauspieler am Theater werden, sagt der 79-Jährige. Als er ein junger Mann war, spielte er den König am Kindertheater in München.
Ein Obdachloser in roter Winterjacke.
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Dann verlor er nach einer Saison seinen Job, seine Wohnung war weg, der Traum geplatzt. Mehr als zehn Jahre lang schlief er auf Pappen und Zeitungen auf Hamburger Straßen.
Durch die Arbeit bei Hinz&Kunzt, einer von Deutschlands größten Straßenzeitungen, fand Sjoerds nicht nur den Weg aus seinen Depressionen, er fand auch eine Wohnung.

Obdachlose verdienen weniger Geld mit Straßenzeitung

Eine Zeitung kostet 2,80 Euro - Verkäufer Sjoerds und die Geschäftsstelle verdienen daran jeweils 1,40 Euro, manche Käufer geben darüber hinaus noch Trinkgeld. Mit den Einnahmen aus dem Zeitungsverkauf bezahlt Sjoerds seine Miete, dafür reicht das Geld. Seit die Menschen online bezahlen können, geht es mit dem Verkauf bergauf, beobachtet Jan Sjoerds.
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Denn vor der Einführung verkaufte Sjoerds immer "viel weniger Zeitungen", erzählt er - und hörte immer wieder die gleiche Aussage der Menschen:

Dieses 'Sorry, kein Bargeld'.

Jan Sjoerds, Straßenzeitungsverkäufer

Jörn Sturm, der Geschäftsführer von Hinz&Kunzt, sagt, er bekomme in den letzten Jahren von vielen Verkäufern ähnliche Rückmeldungen.

In Deutschland gilt: Ohne Wohnsitz kein Konto

Kartenzahlung wird bei den Deutschen immer beliebter. Das zeigen Zahlen des Deutschen Handelsverbands. Während 2013 noch über die Hälfte der Zahlungen im Einzelhandel mit Bargeld durchgeführt wurden, waren es zehn Jahre später nur noch rund ein Drittel.
Immer weniger Bargeldzahlung

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Doch obdachlose Menschen haben in der Regel kein Bankkonto: Denn wer ein Konto in Deutschland eröffnen möchte, muss einen festen Wohnsitz nachweisen.

Wenn ich kein Bankkonto habe, werde ich immer öfter ausgeschlossen, kann bestimmte Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen. Deswegen ist das Verschwinden des Bargelds ein Problem.

Jörn Sturm, Geschäftsführer Hinz&Kunzt

Online-Zahlung läuft in Geschäftsstelle ein

Seit ein paar Wochen setzt Sturm bei Hinz&Kunzt deshalb auf das neue System: Die Verkäufer tragen einen QR-Code auf ihrem Ausweis bei sich, jeder hat einen anderen. Scannen die Käufer den Code mit ihrem Smartphone, landen sie auf der Website eines Zahlungsdienstleisters.
Das virtuelle Geld landet dann auf einem Konto der Straßenzeitung. In der Geschäftsstelle können es sich die Verkäufer auszahlen lassen.
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Hamburger Straßenzeitung sieht Online-Zahlung als Erfolg

Hinz&Kunzt folgt damit Straßenzeitungen in Schweden und Österreich. Nach den ersten Wochen zieht Geschäftsführer Jörn Sturm eine positive Zwischenbilanz. Über 1.200 Zeitungen seien auf diese Art verkauft worden.

Es muss uns gelingen, Lösungen zu finden, dass alle Menschen am bargeldlosen Zahlungsverkehr partizipieren können.

Jörn Sturm, Geschäftsführer Hinz&Kunzt

Verkäufer Sjoerds war erst skeptisch. "Ich dachte, 'Wo geht das Geld denn hin?' Und es gibt ja auch das Risiko, dass plötzlich alles ausfällt", so Sjoerds. Mittlerweile ist der 79-Jährige aber einer der erfolgreichsten Digital-Verkäufer der Zeitung.

Es freut mich, dass die Leute sowas ausprobieren und auch endlich mal die Zeitung kaufen, die sie sonst wahrscheinlich gar nicht kaufen.

Jan Sjoerds, Straßenzeitungsverkäufer

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Auf Sjoerds' Verkaufstouren zahlen viele seiner Stammkundinnen und Stammkunden weiterhin mit Scheinen und Münzen. Online oder Bargeld - ihm ist beides recht. Für Sjoerds zählt neben den Erlösen in seiner Arbeit der Kontakt zu seinen Mitmenschen.

Das ist mehr als Geld, das ist innere Freude.

Jan Sjoerds, Straßenzeitungsverkäufer

Aber am Ende muss er seine Rechnungen mit Geld bezahlen. Dank des QR-Codes ist das für ihn etwas leichter geworden.

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Quelle: dpa

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