Ungesehen und ungeheilt:Wie Frauen in der Medizin übersehen werden
von Britta Behrendt, Amsterdam
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Frauenleiden und Geburten waren in der Geschichte häufig Dinge, mit denen sich Männer kaum beschäftigt haben. Deren Perspektive auf Frauenmedizin ist bis heute prägend.
Migräne tritt bei Frauen dreimal häufiger auf als bei Männern, in der Forschung sind diese Unterschiede jedoch erst wenig untersucht. Frauen mit Schmerzen im Brustbereich und Anzeichen für eine Herzschwäche bekommen zweimal häufiger die Diagnose einer mentalen Krankheit als Männer. Das Risiko für Frauen, im ersten Monat nach einem Herzanfall zu sterben, ist anderthalb Mal höher als bei Männern.
Männer als Referenz für Behandlungen
"Das Problem ist eigentlich, dass Frauen wie kleine Männer behandelt werden. Sehr viel in der Medizinforschung basiert auf dem Männerkörper, dem sogenannten 'Reference Man'", beklagt Kardiologin Janneke Wittekoek.
Wie bei vielem in der Welt ist der weiße Mann der Standard. Und Frauen passen da halt nicht ganz rein.
Janneke Wittekoek, Kardiologin
Wittekoek hat in den Niederlanden und darüber hinaus das Bewusstsein geschärft, dass Frauen medizinisch eben keine "kleinen Männer" sind. Zwar ist das Frauenherz anatomisch nicht anders als ein Männerherz, aber es sind andere Faktoren, die es krank machen, hoher Blutdruck in der Schwangerschaft oder Diabetes zum Beispiel.
Medizinische Standardwerke zeigen Männer
Das Museum Boerhave für Wissenschaftsgeschichte in Leiden untersucht in der Ausstellung "Ongezien" (Ungesehen) die Rolle der Frau in der Medizin. Medizinische Standardwerke zeigten und zeigen immer Männer - Frauen kommen höchstens vor, wenn es um Fortpflanzung geht, die offensichtliche Abweichung.
Diesbezüglich hat sich bis heute wenig geändert. Frauenmedizin findet sich ebensowenig in den Archiven, eine Zeichnung eines Frauenunterleibs aus dem 15. Jahrhundert blieb wahrscheinlich nur erhalten, weil die Rückseite in einem Bucheinband verwendet wurde.
Vorurteile können auch Männer treffen
Die Kuratorin Mieneke te Hennepe zeigt ein seltenes anatomisches Modell einer Frau in der Ausstellung. Auffällig ist, dass das Modell in der sogenannten Venushaltung steht - also die Hände vor die Brust und Scham hält. So sind Rollen- und Moralvorstellungen von der Frau bis in den Anatomieunterricht vorgedrungen und werden weitergegeben.
Männer werden manchmal auch Opfer dieser in der Wissenschaft verankerten Vorurteile, auch das zeigt die Ausstellung: Männer mit Osteoporose, eine Krankheit, die häufiger bei Frauen auftritt, haben ein zehn Prozent höheres Risiko, an einem Knochenbruch zu sterben. Die mögliche Erklärung ist, dass man bei Männern diese Krankheit weniger schnell vermutet und diagnostiziert.
Auch Kurioses aus dem letzen Jahrhundert ist in Leiden zu sehen: Ein Sattel, der Reitbewegungen simuliert, sollte Hysterie bei Frauen behandeln. "Die Behandlung hat sich nicht als erfolgreich erwiesen. Und Hysterie ist als Krankheitsbild verschwunden", so Kuratorin te Hennepe.
Der Markt entdeckt langsam die Frauenmedizin. Lange habe man Frauen bei Schmerzen während der Menstruation oder mit Menopausenbeschwerden gesagt: "Reiß dich zusammen, das gehört nun mal dazu", weiß Wenny Raaymakers von Organon, einem Medikamentenhersteller, der sich auf Frauenkrankheiten spezialisiert hat.
Weg noch immer lang
"Dabei können das sehr schwere medizinische Beschwerden sein. Endometriose wird häufig erst sehr spät diagnostiziert, nach sieben bis 13 Jahren. Ich glaube, dass die Frau endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient", so Raaymakers.
Es muss noch viel passieren, sagt auch die Kardiologin Wittekoek:
Schauen wir uns die Zahlen bei Nebenwirkungen an. Die sind bei Frauen sehr hoch. So zwischen 50 und 60 Prozent leiden unter Nebenwirkungen von Medikamenten und trotzdem bekommen sie die gleichen Dosierungen wie Männer.
Dr. Janneke Wittekoek, Kardiologin
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