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Fehldiagnosen und Übergriffe:Wie Frauen beim Arzt benachteiligt werden
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Falsche Diagnosen und sexuelle Übergriffe: Unter #FrauenbeimArzt berichten Patientinnen von ihren persönlichen Erfahrungen. Auch in der Forschung wurden Frauen lange benachteiligt.
Frauen erleben bei Arztbesuchen immer noch eine schlechtere Behandlung als Männer
Quelle: imago/Westend61
Falsche Diagnosen, sexistische Kommentare, sexuelle Übergriffe: Unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt klagen Patientinnen über erschreckende Erfahrungen in Arztpraxen. Jacqueline R. berichtet dort auf der Internetplattform X, dass sie wegen Herzrasens immer wieder einen Kardiologen aufgesucht habe. Dieser habe die Symptome den Wechseljahren zugeordnet. Später hätten sich Schilddrüsenprobleme als wahre Ursache herausgestellt.
Die Aussagen der Frauen, die sich nicht mit ihrem Klarnamen unter #FrauenbeimArzt outen, können nicht ohne Weiteres auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
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Übergriffe, sexistische Kommentare, Fehldiagnosen
Die Nutzerin "Joanalistin" hat im Januar 2022 die Debatte auf #FrauenbeimArzt mit einem Aufruf angestoßen: "Ich würde gerne sichtbar machen, welche sexualisierten oder erniedrigenden Erfahrungen Frauen bei ihren Arztbesuchen erlebt haben", schrieb sie auf ihrem Account und forderte andere Frauen auf, ihre Erfahrungen unter dem Hashtag #FrauenbeimArzt zu teilen.
Viele Frauen seien dem Aufruf nachgekommen und hätten sowohl von sexuellen Übergriffen und sexistischen Kommentaren berichtet als auch von Fehldiagnosen und dem Gefühl, mit ihren Symptomen nicht ernst genommen zu werden. Als Feedback habe sie Tausende Kommentare und viele Privatnachrichten erhalten. Die Tweets werden laut "Joanalistin" auch an Unikliniken diskutiert.
Medikamente werden in der Regel bei Männern und Frauen gleich hoch dosiert. Doch die Biologie der Geschlechter unterscheidet sich grundsätzlich.29.08.2022 | 1:05 min
"Gender Health Gap" : Schlechtere Gesundheitsversorgung für Frauen
Einer britischen Studie aus dem Jahr 2015 zufolge warten Frauen bei sechs von elf Krebsarten länger auf eine Diagnose als Männer. Dies könne daran liegen, dass Frauen unterschiedliche Symptome bei derselben Krebsart aufweisen, aber lediglich die Symptomatik bei männlichen Patienten bekannt sei, heißt es in der Untersuchung.
Experten sprechen vom sogenannten "Gender Health Gap". Der Begriff beschreibt systematische geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gesundheitsversorgung - zum Nachteil der Frauen: Sie erhalten oft schlechtere gesundheitliche Ergebnisse und weniger angemessene medizinische Versorgung als Männer.
Auch bei einem Herzinfarkt können die Symptome zwischen den Geschlechtern variieren:
- 57,8 Prozent aller Herzkranken sind Männer, aber nur 45,9 Prozent aller Toten
- das Risiko, an einem Infarkt zu sterben, ist für Frauen deutlich höher
- Herzkrankheiten sind die häufigste Todesursache bei Frauen
- Jede zweite Frau mit Herzinfarkt erhält zunächst die Diagnose Sodbrennen, Depression oder Panikattacke
- Druck- oder Engegefühl in der Brust
- Kurzatmigkeit / Atemnot
- Schweißausbrüche
- Rückenschmerzen
- Übelkeit
- Erbrechen
- Schmerzen im Oberbauch
- Ziehen in den Armen
- Unerklärliche Müdigkeit
- Depressionen
- plötzlicher, sehr starker Schmerz, der überwiegend im Brustkorb auftritt – häufig auch hinter dem Brustbein
- Schmerz hält üblicherweise länger als fünf Minuten an und kann auch in andere Körperregionen ausstrahlen
- Massives Engegefühl
- Heftiger Druck oder sehr starkes Einschnürungsgefühl im Herzbereich
- Heftiges Brennen in der Brust
- Angstschweiß mit kalter, fahler Haut
- Übelkeit, Erbrechen, Atemnot und Schmerzen im Oberbauch - diese Symptome kommen häufiger bei Frauen vor, können aber auch Männer treffen. Wer sich unsicher ist, kann sich diese Faustregel merken: Immer dann den Notarzt rufen, wenn die Beschwerden so heftig auftreten, wie man es noch nicht erlebt hat.
(Quelle: Deutsche Herzstiftung, ZDF)
Wissenschaft durch Männer geprägt
Christiane Groß ist Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, der sich für die Belange von Ärztinnen und für eine geschlechtersensible Medizin einsetzt. Dass Frauen häufiger als Männer unter einer Ungleichbehandlung in der Medizin leiden, hat für sie einen klaren Grund: "Hauptsächlich hat das damit zu tun, dass Wissenschaft lange Zeit vorwiegend durch Männer vorangetrieben wurde. Auch heute noch sind in vielen Bereichen der Wissenschaft mehr Männer als Frauen zu finden, wodurch oft auch der Blick der weiblichen Seite fehlt", erklärt Groß.
Erst seit den 1990er Jahren finde ein Umdenken statt, sagt die Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie und ärztliches Qualitätsmanagement.
Die Geschichte der Wissenschaft ist männlich dominiert. Doch auch Frauen haben viel für die Forschung riskiert, für ihre Visionen gekämpft und nachfolgenden Generationen den Weg geebnet. 07.12.2023 | 43:06 min
Gendermedizin stärker in den Fokus nehmen
Groß bedauert, dass "sich zu wenige Menschen trauen, ihren Arzt oder ihre Ärztin zu fragen, ob die Dosierung der Medikamente auch für die jeweilige Person stimmt".
Ute Seeland, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin, sagt: "Wir müssen das Fach Gendermedizin in der Forschung, in der Lehre und in der Klinik verankern." Erste Schritte seien hierfür bereits getan. Die Fachärztin für Innere Medizin und Lehrbeauftragte für geschlechtersensible Medizin an der Berliner Charité trat diesen März die bundesweit erste Professur für Geschlechtersensible Medizin an der Uniklinik Magdeburg an.
Quelle: epd
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