Anne Frank: Erinnerungen zu ihrem 80. Todestag

80. Todestag von Anne Frank:Holocaust: Wie sich erinnern ohne Berichte?

von Lotar Schüler
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Anne Frank starb wahrscheinlich zwischen Februar und März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihr Tagebuch ist eindrücklichstes Zeugnis der Judenvernichtung unter den Nazis.

Anne Frank
Quelle: Imago

Die stärksten Bilder, die man von Anne Frank hat, sind die, die im Kopf entstehen, wenn man ihr Tagebuch liest. Darin schildert sie ihre Zeit im Hinterhaus in Amsterdam. Dort mussten sie sich vor den Nazis verstecken: Anne Frank, ihre Familie, ein paar Freunde. Sie waren zu acht, auf 50 Quadratmetern. 761 Tage, fast zwei Jahre in Angst vor dem Tod. 
Autor Thomas Sparr hat die Geschichte des Tagebuchs recherchiert und darüber ein Buch geschrieben, er sagt:

Stellt euch vor, ihr würdet ohne Handy, ohne Laptop, ohne Fernsehen untergetaucht irgendwo leben, kein Kontakt nach draußen, ihr könnt nicht auf die Straße gehen, allenfalls einmal in der Nacht die Dachluke aufmachen.

Thomas Sparr, Autor

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Das Tagebuch als Gesprächspartner

Für Anne Frank war ihr Tagebuch Gesprächspartner und Ventil ihrer Sorgen. Als Ansprechpartner erfand sie sich eine Freundin namens Kitty: „Im Schreiben kann ich alles erklären, meine Gedanken, meine Ideale, meine Phantasien. Ich weiß, was ich will, ich habe ein Ziel, eine Meinung, einen Glauben und eine Liebe. Lasst mich so sein wie ich bin, dann bin ich zufrieden.“
Im Tagebuch lernt man Anne gut kennen. Autor Sparr beschreibt dies so:

Man kann sich da hineinfühlen, man lernt etwas über die Zeitumstände und gleichzeitig handelt es von fantastischen Welten, von Vorstellungen, von dem was die junge Anne einmal werden möchte – sie möchte Autorin werden oder Journalistin.

Thomas Sparr, Autor

Sie habe Träume, "sie möchte Mutter werden, und sie möchte einen Ehemann finden, aber sie stellt sich gleichzeitig auch eine Liebesbeziehung zu einem Mädchen vor, sie ist da vollkommen unkonventionell“, sagt Sparr über die Tagebucheinträge.
Eine Frau sitzt auf einer Couch, im Vordergrund stehen Bilder.
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Anne Frank starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen

Kurz nach dem letzten Tagebucheintrag hoben die Nazis das Versteck im Hinterhaus aus. Annes Tagebuch blieb zurück und wurde von Freunden gesichert. Anne Frank kam erst in das Konzentrationslager Auschwitz und dann nach Bergen-Belsen. Dort starb sie, wahrscheinlich an Typhus. Sie war gerade 16 Jahre alt. Es gibt kein Wort von ihr über das, was ihr dort geschah.
Das Grauen in den Lagern ist oft eine Leerstelle in den Erinnerungen. Nur was, wenn es weder Worte noch Bilder für das gibt, was Menschen in den Konzentrationslagern widerfuhr?

Ein Comic erinnert an eine Holocaust-Überlebende

Die Comiczeichnerin Barbara Yelin aus München hat im Comic „Die Farbe der Erinnerung“ die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel erzählt. Emmie war etwas jünger als Anne. Beide lebten in den Niederlanden und kamen in Konzentrationslager. In Bergen-Belsen hätte Emmie Anne sogar begegnen können.
Ihre Erinnerungen gab Emmie der Comiczeichnerin Yelin weiter. Bilder waren wichtig. Emmie hatte lange keine Worte für das, was ihr geschehen war.
"Es gibt bei Emmie zwei Fotos, die wir von ihr haben, die wahnsinnig eindrücklich sind, nämlich ein Foto kurz vor der Deportation, 1942 noch in Den Haag im Fotostudio aufgenommen mit einer Schleife", erzählt Yelin. "Dann gibt es das nächste Foto von ihr, 1945 aufgenommen in einem Waisenhaus oder einem Krankenhaus in Schweden, also nach der Befreiung, nach dem Tod der Mutter, der Ermordung des Vaters."

Hier ist Emmie zu einer anderen Person geworden. Das ist so erschütternd.

Barbara Yelin, Comiczeichnerin

Sie habe zum ersten Bild gefragt: "Was ist das, was du da trägst, erinnerst du dich an die Kleidung?" Es habe ein bisschen gebraucht, dann habe Emmie gesagt: "Ja, ich glaube, das war blau mit weißen Punkten." Dass sie sich an die Farbe erinnert habe, "dass das nicht Graustufen waren, das ist mir ziemlich eindrücklich hängen geblieben. Das hat mich natürlich begleitet über den ganzen Prozess.“
Auf dem Umschlag des Comics ist das gemalte Bild einer Frau zu sehen, die mit einer Zigarette in der Hand auf einem Stuhl sitzt. Hinter ihr sind geisterhafte Gestalten zu sehen.
Barbara Yelin zeichnet in ihrer Graphic Novel die Erinnerungen der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel nach, mit der sie sich viele Jahre lang traf.17.11.2023 | 1:49 min

Millionen Menschen besuchen das Anne-Frank-Museum

Erinnerungen rücken alles nah an uns heran: Ein Comic, oder das Tagebuch. Und es gibt natürlich Anne Franks Hinterhaus in Amsterdam. Nach dem Krieg wurde es ein Museum. Millionen Menschen kommen - der Besuch ist mittlerweile nur mit gebuchtem Timeslot möglich. Für viele Menschen ist es sehr wichtig, den realen Ort des Geschehens zu sehen.
Ebenso wie das Tagebuch ist das Hinterhaus Beweis dafür, dass alles wirklich passierte. Dass die Nazis die Niederlande besetzten, allein dort mehr als 100.000 Juden in Vernichtungslager deportierten, von denen nur 5.000 überlebten.
Als einziger Bewohner des Hinterhauses überlebte Annes Vater den Holocaust. Er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter und erklärte immer wieder:

Ich betrachte Annes Tagebuch als eine Art Testament, ein Positivum gegen Rassismus, Antisemitismus und für Verständigung der Menschen.

Anne Franks Vater

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Quelle: dpa

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