Anne Frank wäre 95 Jahre alt geworden: Aktionstag an Schulen
Verfolgt, versteckt - verraten?:Anne Frank wäre heute 95 Jahre alt geworden
von Henriette de Maizière
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Die Jüdin Anne Frank ist durch ihr Tagebuch so authentisch und nahbar, dass ihre Aufzeichnungen noch heute junge Menschen berühren. Ein Schulprojekt zum Tagebuch.
Mit einem Aktionstag erinnern bundesweit 90 000 Schüler an eines der bekanntesten Opfer des Holocaust. Viele Schulen nehmen das zum Anlass vor Antisemitismus zu warnen.12.06.2024 | 1:33 min
Von ihrem Fenster im Versteck aus könne sie einen Baum sehen, schreibt Anne Frank in ihrem Tagebuch. Einen Kastanienbaum. Sie selbst kann nicht hinausgehen, unter dem Baum stehen, den Himmel sehen. Anne Frank und ihre Familie verstecken sich von 1942-1944 in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nazis.
Während dieser Zeit schreibt Anne Frank Tagebuch - durch die Aufzeichnungen begleitet man ein junges Mädchen, welches anfängt, das Leben zu spüren. Und doch sterben wird.
Quelle: dpa
Die Umstände der Verhaftung der Familie Frank in ihrem Versteck am 4. August 1944 bleiben auch knapp 80 Jahre später nicht vollständig aufgeklärt. Wie wurden die Untergetauchten entdeckt? War es ein Verrat? Vor gut zwei Jahren hatte es zu dieser Frage einen heftigen Eklat gegeben.
Ein sogenanntes internationales Coldcase-Team unter Leitung eines ehemaligen FBI-Agenten hatte angeblich die Lösung gefunden und publikumswirksam veröffentlicht - und vermarktet. Ein jüdischer Notar sollte der Verräter sein. Doch namhafte Historiker hatten das in einer Gegenstudie zerrissen. Das Buch sei stümperhaft, beruhe auf falschen Annahmen, Quellen seien falsch genutzt worden.
Neuere Forschungen des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam beleuchten die Möglichkeit eines ganz anderen Grundes für die Polizeiaktion, die zur Entdeckung der Familie in ihrem Versteck im Hinterhaus der Opekta-Werke führte: eine Durchsuchung im Zusammenhang mit der Verhaftung von zwei Helfern wegen der Verdachts des Schwarzhandels. Doch auch hierfür fehlt der letzte Beweis. (Quelle: dpa, ZDF)
"Der Geschichte auf der Spur" ist das Motto des Anne-Frank-Tags 2024. Jedes Jahr findet der Aktionstag am 12. Juni statt - an Anne Franks Geburtstag. Es wäre in diesem Jahr ihr 95. Geburtstag gewesen.
Quelle: AP
13 Jahre alt ist Anne Frank, als sie zu ihrem Geburtstag am 12. Juni das Tagebuch geschenkt bekommt. In ihm erzählt sie ihrer imaginären Freundin Kitty von ihrem täglichen Erleben.
Die jüdische Familie Frank ist nach Holland geflohen. Als sie auch dort von den Nazis verfolgt werden, verstecken sie sich. Acht Menschen überleben fast zwei Jahre auf einem Dachboden.
Anne führt die ganze Zeit Tagebuch: Spiegel ihrer Seelennot.
Der letzte Eintrag ist vom 1. August 1944 - das Versteck wurde mutmaßlich verraten. Alle werden abgeholt und verschleppt.
Anne Frank stirbt im Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie ist 15 Jahre alt.
Ihr Tagebuch wurde in über 70 Sprachen übersetzt.
Millionen Menschen weltweit kennen das Tagebuch. Anne Frank ist durch die Veröffentlichung ihres Tagebuchs zum Symbol für Millionen von Jüdinnen und Juden geworden, die der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer fielen.
In Amsterdam eröffnet das erste Nationale Holocaust Museum in den Niederlanden. Damit soll auch die eigene Rolle während der Judenverfolgung aufgearbeitet werden.08.03.2024 | 1:45 min
Heute findet im Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Berlin Prenzlauer Berg die zentrale Gedenkveranstaltung zum Anne-Frank-Tag statt. Schülerinnen und Schüler sind versammelt - gestalten die heutige Veranstaltung, halten die Begrüßungsrede:
Schüler stellen ihr eigenes Anne-Frank-Projekt vor
Die Schüler und Schülerinnen des Käthe Kollwitz Gymnasiums Berg haben auf dem Boden die Umrisse des Raumes aufgezeichnet, in dem Anne und ihre Schwester 761 Tage versteckt waren. Zwei Betten, ein Schreibtisch, ein Stuhl. "Was ist das für ein Gefühl?", fragen sich die jungen Menschen.
Schülerin Carla Karabasz-Ruiz: "Ich fand am beeindruckendsten, dass sie ein 'normales' Mädchen gewesen ist. Sie wurde ausgegrenzt, misshandelt. Und dabei hatte sie Gedanken, wo ich dachte: 'Ja, die habe ich auch...' Warum musste sie leiden?"
Sie wurde zwei Jahre lang komplett umgestaltet und auf die Bedürfnisse junger Besucher angepasst - jetzt hat die Ausstellung im Anne-Frank-Haus in Amsterdam wieder eröffnet.22.11.2018 | 0:21 min
Lokaler Bezug des Projekts
Fast 600 Schulen deutschlandweit können sich per Live-Stream einwählen. Der Tag soll - getreu seinem Motto - "Der Geschichte auf der Spur" Schülerinnen, Schüler und ihre Lehrkräfte deutschlandweit dazu motivieren, nationalsozialistische Geschichte in ihren Wohnorten zu recherchieren.
Der lokale Bezug soll es ermöglichen, sich konkret und anschaulich am Beispiel des Ortes und der damals dort lebenden Menschen mit der NS-Zeit zu beschäftigen. Denkanstöße zu Verantwortung und Handeln auch in der Gegenwart - gerade auch die Europawahl und das starke Abschneiden rechter Parteien am vergangenen Wochenende beschäftigt die Jugendlichen.
Justizminister Buschmann mahnt zur Toleranz
Darauf geht auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in seinem Grußwort ein:
"Es braucht das Hinschauen, es braucht das Widersprechen, das Zurseitestehen. Das ist nicht immer einfach - gerade wenn die Stimmung so aufgeheizt ist, wie jetzt. Und es kostet manchmal sicherlich auch Überwindung. Aber wir sind es allen jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, aber vor allen Dingen auch dem Wunsch einer Gesellschaft, die in Toleranz sich organisiert, schuldig."
Walter Frankenstein ist 99 Jahre alt und hat den Holocaust überlebt. Er appelliert an Erstwähler, wählen zu gehen und sagt, er kämpfe für die Demokratie.04.06.2024 | 0:34 min
Holocaust-Überlebende sieht durch ihr Schicksal eine Verpflichtung
Höhepunkt der Veranstaltung ist die Befragung der Holocaust-Überlebenden Ruth Winkelmann. Sie erzählt über ihre Biografie und die Bedeutung der Weitergabe von Erinnerung. Sie ist nur ein Jahr älter, als es Anne Frank heute wäre. Auch sie war versteckt - diese Parallelität empfindet sie als Verpflichtung:
Wer tolerant sei, der könne nicht hassen und zerstören, sagt Ruth Winkelmann noch. Daran glaube sie fest.