Anne-Frank-Zentrum bangt:Sparen an der Demokratie?
von Julia Theres Held
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Die Ampel will ausgerechnet bei der Aufklärung zu Antisemitismus sparen, obwohl antisemitische Straftaten deutlich zunehmen. Das Anne-Frank-Zentrum bangt um wichtige Projekte.
Das Tagebuch der Anne Frank ist wichtiger Bestandteil der politischen Bildung.
Quelle: AP
In einem Hinterhof in Berlin-Mitte, am Hackeschen Markt, steht das denkmalgeschützte Haus Schwarzenberg. Ein Hauch 90er-Jahre-Berlin: Unrenovierte Fassaden und Graffiti-Kunst an den Wänden. Touristen und Kunstinteressierte schieben sich durch den schmalen Toreingang.
Vor allem vor einem Bild aber bleiben viele länger stehen. Das Porträt eines jungen Mädchens, überlebensgroß, dunkle Haare, unbekümmertes Lächeln. Ein Gesicht, das wohl jedes Schulkind in Deutschland kennt: Anne Frank – gemalt vom australischen Streetart-Künstler Jimmy C. Eine Gruppe Jugendlicher macht Fotos mit ihren Handys.
Es ist der Eingang zum Anne-Frank-Zentrum. Vorne in den Ausstellungsräumen bekommen die Mitarbeiter*innen seit Tagen gesagt, wie wichtig ihre Arbeit ist - der Kampf gegen Antisemitismus, die Aufklärung über Judenhass, auch in der Gegenwart. Hinter den Türen allerdings, in den kleinen, hellen Büroräumen, wo Projekte geplant und vorbereitet werden, liegen die Nerven blank. Keiner weiß, wie es im nächsten Jahr weiter gehen wird.
Die Gelder für 2024 seien beantragt, "aber man hat uns gesagt, dass es nicht gut aussieht", so Nahm weiter.
Bald kein Geld mehr für Aktionstag an Schulen?
Betroffen seien neben einem Projekt zur Demokratieförderung in Justizvollzugsanstalten vor allem der Anne-Frank-Tag, ein bundesweiter Aktionstag an Schulen, der als großer Erfolg gilt. Mehr als 100.000 Schüler*innen haben allein in diesem Jahr teilgenommen, haben Briefe an die im KZ ermordete Jüdin geschrieben, mit Zeitzeug*innen gesprochen und gelernt, wie verbreitet Antisemitismus auch heute noch ist. Sogar die Kultusministerkonferenz empfiehlt Schulen explizit die Teilnahme.
Antisemitische Straftaten nehmen deutlich zu
"Es ist völlig unverständlich, dass wir gerade jetzt nicht wissen, ob wir weiter machen können", so Veronika Nahm. Nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas sei allen klar, wie wichtig diese Arbeit ist. "Antidemokratische Grundeinstellungen und Antisemitismus sind nach wie vor eine Grundhaltung in der Gesellschaft und nehmen nachweislich zu."
Eine Einschätzung, die auch durch aktuelle Zahlen des Bundeskriminalamts bestätigt wird. So wurden im laufenden Jahr deutlich mehr antisemitische Straftaten festgestellt als im Vorjahr. Und während Straftaten seit Beginn des Nahost-Krieges in dieser Statistik noch nicht einmal erfasst wurden, stellt der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus fest: "Seit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sind judenfeindliche Vorfälle in Deutschland sprunghaft angestiegen."
Kürzungen im Bundeshaushalt 2024
"Das sind Zeiten, in denen wir eigentlich alle Kraft in die Aufklärungsarbeit stecken müssten," so David Gilles, der seit mehreren Jahren für das Anne-Frank-Zentrum arbeitet und jetzt um seinen Job fürchten muss. Aktuell seien er und seine Kolleg*innen aber stark damit beschäftigt, um die Weiterfinanzierung der Arbeit zu kämpfen und Projekt-Anträge zu schreiben.
Im dritten Quartal diesen Jahres wurden deutschlandweit 540 antisemitisch motivierte Straftaten registriert. Die Straftaten häuften sich bereits vor dem Hamas-Angriff auf Israel. Ein grundlegendes Problem in Deutschland?06.11.2023 | 1:49 min
Der Hintergrund für das Bangen im Anne-Frank-Zentrum: Die knappe Haushaltslage, die Kürzungspläne im Bundeshaushalt 2024. Alle Ministerien mussten Vorschläge machen, wo sie sparen können. Und so muss nicht nur die Bundeszentrale für politische Bildung, die dem Innenministerium unterstellt ist, nach wie vor um 20 Prozent ihrer Mittel fürchten. Auch das Justizministerium, das im Fall des Anne-Frank-Tages der Geldgeber ist, hat seinen Rotstift ausgerechnet bei der politischen Bildung angesetzt.
Dabei hatte Marko Buschmann (FDP), Justizminister und Schirmherr des Aktionstages, noch vor einem halben Jahr erklärt: "Was Anne Frank wiederfahren ist, das ist nicht verschwunden - weder in der Welt, noch in unserm Land."
Letzte Hoffnung Bundestag
Auf Nachfrage von frontal, warum ausgerechnet hier gekürzt werden soll, erklärt sein Ministerium ausweichend: "Zur Frage der Fortführung einer weiteren Förderung finden gegenwärtig Gespräche statt. Die Entscheidung über den Bundeshaushalt 2024 trifft letztlich der Deutsche Bundestag."
Und genau auf diesem liegen nun alle Hoffnungen, genauer auf der sogenannten Bereinigungssitzung im Haushalt am kommenden Donnerstag, in der besonders strittige Fragen noch einmal diskutiert werden.
"Diese Sitzung ist unglaublich wichtig. Für uns als Organisation, für die Kinder und Jugendlichen aber auch für die Zukunft unserer Demokratie", wissen sie auch im Anne-Frank-Zentrum. Und hoffen, dass auch die Politik noch merkt, was auf dem Spiel steht, wenn ausgerechnet an der politischen Bildung gespart wird.
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