1. (-) „Bevor es Google gab, gab es Jacob Taubes“, sagte ein Weggefährte einmal. Taubes war einer der schillerndsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts: Kosmopolit, Charismatiker, Hochstapler. Mit den Geistesgrößen seiner Zeit bekannt, überschritt der Rabbiner die Grenzen zwischen Kritischer Theorie, christlicher und jüdischer Lehre. Eine fast 1000-seitige Biografie, die zugleich Epochenporträt ist. 55 Punkte
2. (7) Als Europa Ende der 1790er Jahre im Griff absolutistischer Herrscher war, bildete sich in der Universitätsstadt Jena eine Gruppe mit revolutionärer Idee: Die frühen Romantiker um Goethe, Schiller, Novalis, Fichte, Schelling oder Hegel glaubten an ein selbstbestimmtes Ich. Über die Erfindung des Individualismus, dessen Ambivalenz heute wieder brandaktuell erscheint. 42 Punkte
3. (8) Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet – mehr als 70 Jahre später ist die Welt eine andere, der Klimawandel gefährdet die allgemeine Lebensgrundlage. Der Münchner Rechtsprofessor Jens Kersten fordert eine Neuausrichtung des Verfassungstextes: Neben „Gott und den Menschen“ müssten wir uns auch gegenüber der Natur verantworten. Fahrplan für ein neues Grundgesetz, das die Ökologie mitdenkt. 35 Punkte
4. (1) Nach Jahren als Korrespondent kehrt Pulitzer-Preisträger Evan Osnos in die USA zurück – er findet ein gespaltenes Land vor. Entlang der Stationen seines Lebens sucht der Journalist des New Yorker nach den Ursachen: vom reichen Ostküsten-Örtchen seiner Kindheit, einer von der Opioidkrise geplagten Kleinstadt in West Virginia bis Chicago, das heute von Waffengewalt und Rassismus zerrüttet wird. 34 Punkte
5. (-) Während des Schlusslektorats bekam die Journalistin Eva Wolfangel einen Anruf. Ein Betrüger behauptete, ihre Reisepassnummer würde für Drogengeschäfte benutzt, sie solle ihr Geld in Sicherheit bringen. Ob Staaten oder Privatpersonen, von Cyberkriminalität sind alle betroffen. Wolfangel schildert diverse Fälle aus Sicht von Tätern, Ermittlern und Opfern – spannend wie ein Krimi. 27 Punkte
6. (-) Noch im 19. Jahrhundert waren Tiere auf den Straßen Berlins, Londons und Manhattans allgegenwärtig, Fleisch aber Mangelware. Heute ist es umgekehrt: Tiere sind unsichtbar, Fleisch überall. Ohne anzuklagen, erzählt die Historikerin Veronika Settele die Geschichte der Massentierhaltung: Von den ersten künstlichen Befruchtungen von Rindern der 1950er bis zu den Tierrechtsdebatten der Gegenwart. 25 Punkte
6. (-) Beginnend bei den Jägern und Sammlern, über das Zarenreich und die Russische Revolution, bis hin zu Putins Krieg zeichnet der Historiker Orlando Figes die Geschichte Russlands nach. Wie beeinflussen Mythen, Ideologie und Kunst diesen spezifisch russischen Blick auf die Welt? Und wie lassen sich die aktuellen Entwicklungen dadurch erklären? Ein umfassendes Panorama. 25 Punkte
6. (-) Der Staatsrechtler Carl Schmitt galt als eine der umstrittensten Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens, vor allem wegen seiner unrühmlichen Rolle in der NS-Zeit. Weniger bekannt ist seine Liebe für die Literatur: Ob bei Shakespeare, Flaubert oder Dada-Gründer Hugo Ball – detailliert zeigt der Philologe Andreas Höfele, wie die Literatur zeitlebens Schmitts Denken geprägt hat. 25 Punkte
9. (-) „Große Männer“ bestimmen den Lauf der Geschichte – diese These galt als widerlegt, nach Putins Angriffskrieg bekommt sie neue Relevanz. Wenn jemand ein Urteil fällen kann, dann Ian Kershaw, der als Hitler-Biograf berühmt wurde. In zwölf Porträts über Lenin, Mussolini, Tito, Kohl und Co. analysiert der britische Historiker den Einfluss Einzelner auf das Heil und Unheil des Kontinents. 24 Punkte
10. (-) Weiße Männer über 40 dürfen nichts mehr sagen, ohne ihren Job zu riskieren – so in etwa lautet die Erzählung der Cancel Culture. Was aber ist dran? Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat Diskussionen in Internetforen ausgewertet und zeigt: Aufgebauschte Einzelfälle führten zu einer verzerrten Wahrnehmung. Seine Strategie-Empfehlung in der emotionalisierten Debatte: „Kritisches Ignorieren". 21 Punkte
Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste: René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur), Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (F.A.S.), Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Marlen Hobrack (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (ZEIT-Stiftung), Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur), Inge Kutter (DIE ZEIT), Hannah Lühmann (DIE WELT), Tania Martini (taz), Susanne Mayer (DIE ZEIT), Peter Neumann (DIE ZEIT), Catherine Newmark (Deutschlandfund Kultur), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte), Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)