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Wirkung wichtiger als Reichweite

Wie Ulrich Anke den Programmschwerpunkt „80 Jahre Wannseekonferenz" bewertet

Für Fernsehrat Dr. Ulrich Anke ist das ZDF mit dem Programmschwerpunkt „80 Jahre Wannseekonferenz" in eindrucksvoller Weise seinem programmlichen Auftrag nachgekommen. Beim Thema Antisemitismus in Deutschland mahnt er in jeder Redaktion eine kritische Selbstreflexion an.

Porträt Fernsehratsmitglied Dr. Hans Ulrich Anke
Fernsehratsmitglied Dr. Hans Ulrich Anke
Quelle: ZDF/Andrea Enderlein

#Fernsehrat: Der Fernsehfilm „Die Wannseekonferenz" aus dem Programmschwerpunkt „80 Jahre Wannseekonferenz" hatte bei der Erstausstrahlung fast 6 Mio. Zuschauer und weitere zwei Mio. Sichtungen in der Mediathek. Auch andere Angebote wurden hunderttausendfach abgerufen. Wie zufrieden sind Sie mit dieser Nutzerresonanz?

Ulrich Anke: Das ist ein großer Erfolg, den sich alle an dem Programmschwerpunkt Beteiligten redlich verdient haben. Das ZDF ist hier in eindrucksvoller Weise seinem programmlichen Auftrag nachgekommen, neue Zugänge zu wesentlichen Bildungsinhalten zu schaffen. Dies ist bei dem unfassbar schrecklichen Holocaust besonders wichtig, um die Erinnerung daran wach und die daraus erwachsene Verantwortung bewusst zu halten. Zugleich sind die Herausforderungen an die mediale Umsetzung besonders hoch. Wie kann nachfolgenden Generationen begreiflich gemacht werden, was im Grunde nicht begreifbar ist: die systematische Vernichtung des jüdischen Volkes als Ziel staatlichen Handelns, verwaltungsmäßig geplant und mit millionenfacher Ermordung umgesetzt? Die große Reichweite bei der Erstausstrahlung und bei den weiteren Sichtungen ist da nur die eine Seite des Erfolges. Noch wichtiger ist die Wirkung, die beim Zuschauen entsteht. Und die dürfte bei vielen sehr langanhaltend sein. Denn gerade in der Konzentration auf das technokratische Gebaren und die bürokratische Sprache, um die Vernichtung der Juden in Europa zu beraten und zu beschließen, wirkt die filmische Nacherzählung der Konferenz verstörend. Die Gedanken bleiben bei diesen Bildern und dem Gehörten hängen. Das muss auch so sein. Denn es ist nicht begreifbar, es kann nicht begreifbar sein, wie eine solche Konferenz, wie „ganz normale Männer“ hier verhängnisvoll Weichen für den Holocaust stellen. Und doch war es so. Das weiter zu vermitteln, mit Fernsehfilmen, mit begleitenden Dokumentationen und weiteren Angeboten, gehört zum anerkannten Kern programmlicher Arbeit des ZDF. Auch das wird durch die große Resonanz zu Recht bestärkt.

#Fernsehrat: Eine flankierende Online-Begleitung der TV-Formate will vor allem jüngere Menschen für das Thema "Holocaust" sensibilisieren und sie mit dieser Thematik in Berührung bringen. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit dieser Ansatz gelingen kann?

Anke: Zunächst braucht es dafür eben genau diese klare Zielstellung und die Bereitschaft in den Redaktionen des ZDF, besonders junge Menschen dazu zu bringen, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Wichtig für das Gelingen ist dann, sich auf die Gewohnheiten, Interessen und Bedürfnisse der jungen Leute einzulassen. Dazu wird man im ZDF sicher auch eigene Kompetenzen und Erfahrungen haben. Aber gut ist es, dazu auch mit anderen Partnern zusammen zu arbeiten, im Schul- und Jugendbildungsbereich, mit der Gedenkstättenarbeit und eben auch und vor allem mit Resonanzgruppen direkt aus der jungen Zielgruppe. Es braucht die Neugier auf die Sicht und die Positionen der jungen Menschen selbst, am besten sogar unmittelbare Mitwirkungsmöglichkeiten für sie. In diesen Kooperationen gilt es dann, Themen und Geschichten nachzuspüren, die für die jungen Leute besonders zugänglich sind und bei denen möglichst eine Relevanz für ihr Leben im Hier und Jetzt erkennbar wird. Dabei kommt es weiter auch auf Personen an, die Identifikationspotential für junge Menschen haben können, die sie beim Zuschauen mit in das Thema hineinnehmen. Und schließlich gilt es, den richtigen Ton zu treffen, eine in Bildern und Texten stimmige Ansprache zu finden, interaktive Mitwirkungselemente einzubauen und die für die jungen Menschen relevanten Ausspielwege zu nutzen.

#Fernsehrat: Verschiedene Inhalte wurden der Allgemeinheit unter der freien CC-Lizenz beispielweise für Schulen und den Geschichtsunterricht zur Verfügung stellt. Welche Vorteile sehen Sie darin – oder sind Sie hier skeptisch?

Anke: Da überwiegen aus meiner Sicht vor allem die Vorteile. Das ZDF leistet damit wichtige Beiträge im Bildungswesen und kommt seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nach. In der aktuellen Selbstverpflichtungserklärung hat das ZDF sich auf die Fahne geschrieben, systematisch nach Zielgruppen differenziert Wissens- und Bildungsprogramme auszubauen. Das haben wir in den Gremien des Fernsehrates sehr begrüßt und erwarten vom ZDF besonderes programmliches Engagement gerade für die junge Generation. So zahlen die „Creative Commons“ auf alle drei übergeordneten so genannten „Meta“-Ziele der ZDF-Selbstverpflichtungserklärung ein, nämlich: 1. mehr digitale Kontaktpunkte zu schaffen, 2. mehr Inhalte für Jüngere zu produzieren und 3. auf mehr Vielfalt im Programm zu setzen. Diese Beiträge fördern die freie individuelle und auch die öffentliche Meinungsbildung. Sie dienen, gerade bei diesem Programmschwerpunkt, der Integration in Frieden und Freiheit und der Verständigung unter den Völkern (§5 ZDF-Staatsvertrag). Sie fördern als offene Ressourcen individuelles Lernen und tragen zu einer offenen Lehr- und Lernkultur bei. Natürlich müssen alle Rechteinhaber entsprechend vergütet werden.

#Fernsehrat: Der Programmschwerpunkt „80 Jahre Wannseekonferenz“ ist vom ZDF gesetzt als „ein Akzent gegen das Vergessen in einer Zeit, in der Antisemitismus in Deutschland wieder spürbar zunimmt“. Ist das auch sonst ein Thema für das ZDF?

Anke: Das ist auf jeden Fall ein Thema, das gesamtgesellschaftlich obenauf liegt und das auch für das ZDF in der alltäglichen Arbeit „dran“ ist. So braucht es eine hohe Sensibilität dafür, was in überkommenen Bildern und Zuschreibungen weiter tradiert wird, was auch aus christlichen Kontexten kommend in alltägliche Bildsprache übernommen wird, wie die „alttestamentarische Rache“ oder das „Pharisäerhafte“. Es steht auch dem ZDF gut an, in jeder Redaktion dazu in kritische Selbstreflexion einzutreten. Und wenn jüdisches Leben in unserer aktuellen Zeit ganz selbstverständlich im Fernsehalltag von Berichterstattung, Dokumentation, Fiktion und sonstiger Unterhaltung zum Ausdruck kommt, leistet das ZDF über die gebotene Erinnerungskultur hinaus einen sichtbaren, wertvollen Beitrag gegen Antisemitismus.

Zur Person:
Hans Ulrich Anke, 53 Jahre, Jurist und Romanist, leitet seit 2010 das Kirchenamt der Ev. Kirche in Deutschland. Er engagiert sich darüber hinaus insbesondere in der Diakonie und der Entwicklungsarbeit, in der ev. Medienarbeit sowie bei strategischen Finanzbeteiligungen der ev. Kirche. Seit über 15 Jahren unterstützt er die Arbeit von Amcha Deutschland (SPENDEN - AMCHA), um psychosoziale Hilfen für Holocaust-Überlebende und deren Angehörige in Israel und die Erinnerungsarbeit in Deutschland zu fördern.

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