Die Fernsehräte werden diese Sitzung in guter Erinnerung behalten. In Rekordzeit von nur etwa zwei Stunden debattierte das Gremium effizient und konstruktiv über aktuelle und langfristige Themen rund um das Haus. Dank erkennbar umfangreicher Vorberatung in den einzelnen Ausschüssen wurden die insgesamt zwölf Tagesordnungspunkte fokussiert besprochen.
Gleich im Anschluss an den Tätigkeitsbericht des Intendanten war das derzeit vielleicht öffentlichkeitswirksamste Thema Gegenstand der Diskussion – Jan Böhmermann und die Causa Arne Schönbohm. Nach einer Sendung des „ZDF Magazin Royale“ am 07. Oktober 2022 war Schönbohm als Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik abgesetzt worden. Jüngst hatte der Spitzenbeamte, der inzwischen Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung ist, vom ZDF eine Entschädigungszahlung verlangt. Der Sender hat dies zurückgewiesen.
Auf die Wirkung von Sendungen achten
Hans Langendörfer berichtete als Vorsitzender des inhaltlich zuständigen Programmausschusses Programmdirektion von einer differenzierten Aussprache in seinem Ausschuss zu dem Thema. Dabei hätten die Ausschuss-Mitglieder Böhmermanns journalistische und kreative Leistung anerkannt, sich aber in ihrer breiten Mehrheit auch ambivalent geäußert. Die spezifische Verbindung von Investigation und Satire begründe für einige Mitglieder eine „Prangerwirkung“. Haus und Intendant seien ihrer Verantwortung nachgekommen. Dennoch: „Die Suggestivkraft satirischer Überhöhung muss vom Moderator der Sendung reflektiert werden“, brachte es Langendörfer auf den Punkt. Auch wenn die Sendung juristisch nicht zu beanstanden sei, fordere der Ausschuss eine präventive Abschätzung der Wirkung von Sendungen. Mit Blick auf kommende Beratungen erklärte Langendörfer: "Der Fernsehrat sollte das Verhältnis von Investigation und erzielter Gesamtwirkung in Bezug auf seine neuen Qualitäts- und Programmrichtlinien klären."
Aus dem Programmausschuss Chefredaktion berichtete der Vorsitzende Frank Werneke ebenfalls von einer intensiven Diskussion zur Causa Schönbohm, die auch Gegenstand in den Sendungen „heute journal“ und „Berlin direkt“ war. Dabei hob er hervor, dass starke Satire-Angebote das ZDF nach mehrheitlicher Einschätzung der Ausschuss-Mitglieder attraktiver für junges Publikum machten. Hier spiele Jan Böhmermann eine herausragende Rolle.Er betonte: „Satire muss zuspitzen und frei von politischer Einmischung sein. Sie muss sich aber auch Kritik stellen.“ Zudem gelte es, Äußerungen in Sozialen Netzwerken von prominenten Persönlichkeiten, die für das ZDF arbeiten, stärker in den Blick zu nehmen, wie dies durch eine entsprechende Neuformulierung in den Qualitäts- und Programmrichtlinien nun auch geschehe.
In den anschließenden Wortmeldungen verwies Fernsehrat Hans-Günter Henneke darauf, dass die Verantwortung für das Handeln von Mitarbeitern letztlich beim Intendanten liege. Achim Dercks lenkte den Blick u. a. auf jene Formulierung der Programmrichtlinien, die Wirkungen nicht per se in Abrede stelle, aber die Bestimmung persönlicher Entscheidungen des Zuschauers durch Suggestivmethoden ablehnen würden. Der Fernsehrat solle grundsätzlich diskutieren, wie sich bei Angeboten, die Information und Unterhaltung vermischen, Sachdarstellung und Meinungsäußerung trennen lassen. Hans-Ulrich Anke ergänzte, dass es für Zuschauer und Programm gut sei, ernste Dinge auch „mal mit spielerischer Perspektive anzugehen“ – dies sorge für Entlastung. Teil der durchaus erwünschten Wirkung sei, dass sich ein jüngeres Publikum mit politischen Inhalten auseinandersetze. Die Fernsehratsvorsitzende Marlehn Thieme prognostizierte abschließend, dass die Debatte wohl in der kommenden Sitzung weitergehe, wenn die zu erwartenden Programmbeschwerden zu beraten sein werden.
phoenix und die kommenden Wahlen
In einem weiteren ausführlich behandelten Tagesordnungspunkt ging es um Stand und Entwicklung von phoenix. Claudia Conen, Vorsitzende des Programmausschuss Partnerprogramme, lobte die parlamentarische Berichterstattung des Ereigniskanals und insbesondere die Bemühungen um jüngere Zielgruppen. Sorge bereite dem Ausschuss indes die fehlende Abgrenzung des Nachrichtensenders tagesschau24. Sie forderte eine funktionierende Kooperation und entsprechende Profilschärfung.
In der Aussprache lenkte Fernsehrat Rainer Robra den Blick auf die Europawahlen im kommenden Jahr. Diese bezeichnete er als Schicksalswahl. phoenix stelle sich bereits jetzt darauf ein, auch das ZDF im Ganzen sei gefordert. Luca Renner mahnte mehr Hintergrundberichterstattung über die Strukturen in der EU an. „Wenn die Zusammenhänge zwischen Europapolitik und Kommunalpolitik deutlicher herausgearbeitet würden, könnte auch die Wahlbeteiligung steigen.“ Angela Spizig sprach in diesem Zusammenhang von einem Europagefühl, welches es zu stärken gelte.
Christiane Schenderlein bemerkte, gerade die ungefilterte Berichterstattung aus dem Bundestag und von Parteitagen komme gut an. Achim Dercks regte mit Blick auf jüngere Zielgruppen eine noch stärkere crossmediale Verknüpfung von Inhalten über die Formate und Ausspielwege hinweg an. Für das Haus erklärte die ZDF-Programmgeschäftsführerin von phoenix, Michaela Kolster, dass durch Umschichtung inzwischen mehr Personal für digitale Angebote eingesetzt werde, etwa bei dem Instagram-Kanal „Home of Parliament“. ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten betonte für das gesamte Haus, die zahlreichen anstehenden Wahlen auf Kommunal-, Landes- und Europaebene „werden zusammengedacht“. Sie kündigte ein Konzept für die Vorwahlberichterstattung zu den Europawahlen an. Der Fernsehrat bestätigte die entsprechende Vorlage zu phoenix ohne Gegenstimmen und Enthaltungen.
Programmbeschwerden und Jahresabschluss
Marlehn Thieme informierte die Fernsehräte über die Programmbeschwerden und über sonstige Eingaben mit Programmbezug, die laut Beschwerdeordnung des ZDF von Zuschauerinnen und Zuschauern eingereicht werden können. Sie kündigte an, dass der Bericht über die Programmbeschwerden im Nachgang der Sitzung auch auf der ZDF-Website veröffentlicht werde. Das Gremium widmete sich sodann fünf verschiedenen Programmbeschwerden inhaltlich sehr ausführlich und besprach Pro und Contra.
Außerdem genehmigte der Fernsehrat unter anderem den vom Verwaltungsrat des ZDF festgestellten Jahresabschluss 2022 und besprach den Stand im Strategieprozess „Ein ZDF für alle“ - ein Thema, das den Fernsehrat auch in seinen kommenden Sitzungen beschäftigen wird.