„Die Begleitung und erklärende Einordnung der komplexen weltweiten Zusammenhänge ist ein kontinuierlicher, selbstverständlicher Bestandteil des ZDF-Informationsprogramms“, konstatiert Fernsehrat Ali Ertan Toprak. Er hat bei allem Lob auch noch Wünsche für die Zukunft.
#Fernsehrat: Auslandsberichterstattung gehört zu den Kernaufgaben des ZDF. Wie erfüllt das Haus diese Aufgabe aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich?
Ali Ertan Toprak: Was im Ausland passiert, hat in einer auf vielen Ebenen vernetzten Welt fast immer auch Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Deutschland. Die Begleitung und erklärende Einordnung der komplexen weltweiten Zusammenhänge ist ein kontinuierlicher, selbstverständlicher Bestandteil des ZDF-Informationsprogramms.
Zur Realisation seiner Berichterstattung aus dem Ausland unterhält das ZDF 19 Auslandsstudios, Außenstellen, Korrespondentenstellen und Büros. Mit nur 19 Außenstellen die ganze Welt zu erfassen, zugleich aktuell und qualitativ zu berichten ist eine große Herausforderung, die das ZDF sehr gut meistert, wie ich finde. Ich empfinde einen sehr großen Respekt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem für diejenigen, die aus den Krisen- und Kriegsgebieten berichten und damit immer wieder ihre Sicherheit aufs Spiel setzen.
Gerade an der qualitativ sehr guten und unabhängigen Auslandsberichterstattung des ZDF merkt man, wie unverzichtbar ein öffentlich-rechtlicher Sender für eine demokratisch verfasste Gesellschaft ist.
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#Fernsehrat: Besonders im Fokus steht seit Beginn des Jahres die Berichterstattung aus der Ukraine. Wie bewerten Sie die Arbeit des ZDF diesbezüglich, sowohl qualitativ als auch quantitativ?
Toprak: Der russische Angriff auf die Ukraine am 24.02.2022 markiert eine Zeitenwende, die von den ZDF-Korrespondentinnen und ZDF-Korrespondenten in der ganzen Welt beschrieben und analysiert wurde. Eine anhaltende Herausforderung in der aktuellen Berichterstattung war und ist die Rekrutierung von Reporterinnen und Reporter, Kameraleuten und Producern für den Einsatz in der Ukraine. Die Möglichkeiten zur Berichterstattung aus Russland bleiben erheblich eingeschränkt.
Das ZDF berichtete neben den regulären Nachrichtensendungen den ganzen Tag über in ZDFspezial-Ausgaben über den Einmarsch in die Ukraine.
Zahlreiche ZDF-Reporter und -Reporterinnen aus dem Reporterpool und aus den ZDF-Inlands- und Auslandsstudios berichteten mit ihren Teams über die militärische und politische Lage in der Ukraine selbst und über die Flüchtlingsströme an den Westgrenzen des Landes. Die ZDF-Studios in Kairo und Nairobi bildeten die Nahrungsmittelkrise als unmittelbare Folge des Krieges ab, die ZDF-Studios in Washington, New York und Istanbul berichteten über die politischen und diplomatischen Konsequenzen des Konflikts, das ZDF-Studio Brüssel über die Neuaufstellung der NATO und zahlreiche EU-Außen-, Innen- und Energieministertreffen. Das ZDF-Studio Singapur schilderte eine historische Wende infolge des Ukraine-Kriegs: das erste Manöver der deutschen Luftwaffe im Indo-Pazifik (heute journal, 19.08.2022).
Allein dieser Überblick über die Ukraine-Berichterstattung zeigt, wie professionell das ZDF im Rahmen seiner Möglichkeiten das Ganze bisher qualitativ und auch quantitativ sehr gut meistert.
#Fernsehrat: Welche inhaltlichen Aspekte würden Sie gern bei der Auslandsberichterstattung des ZDF stärker berücksichtigt sehen?
Toprak: Wir leben in einer Zeit, in der man wieder vom Kampf, ja sogar Krieg, der politischen Systeme in der Welt sprechen muss. Die Angriffe auf Freiheit, Wohlstand und Sicherheit nehmen weltweit zu. Der Widerstand in der freien Welt hält sich aber in Grenzen. Wir sind zu bequem geworden und wollen kein Ärger. Aber immer mehr autokratische und autoritäre Systeme bedrängen die freie Welt und unterdrücken gleichzeitig ihre eigene Bevölkerung. Sie erklären uns auf vielfältige Weise den Krieg. Ja, ich würde sogar vom Krieg der Wertesysteme sprechen, den wir vielleicht nicht wahrhaben wollen.
Und in vielen Ländern der Welt ist eine freie Berichterstattung nicht mehr möglich. Aber in all diesen unfreien und undemokratischen Systemen gibt es viele Menschen, die unsere freiheitlichen und demokratischen Werte teilen und dafür ihr Leben aufs Spiel setzen.
Sehen wir aktuell, was im Iran passiert. Heute, nach 43 Jahren brutaler Diktatur, schreien die Menschen auf Kurdisch Jin, Jiyan, Azadi - das bedeutet Frau, Leben, Freiheit. Deutlicher kann der Wertewandel einer Gesellschaft gegen patriarchale Herrschaft und zugunsten freiheitlicher Politik nicht sein! Wir sind aktuell Zeugen einer kulturellen und sozialen Revolution, die über die Grenzen Irans hinaus nicht weniger als das Ende der Schreckensherrschaft islamischer Herrschaftssysteme bedeutet. Wir stehen an der Seite der Menschen im Iran, weil sie es verdient haben, in Freiheit leben zu dürfen.
Seit Monaten gehen vor allem junge Menschen und Frauen auf die Straße und bieten diesem islamistischen Unrechtsregime die Stirn.
Ich würde mir z. B. hier noch mehr aktuelle Berichterstattung und mehr Hintergrundinformation aus dem Iran wünschen. Die freie Welt - also wir - dürfen die Menschen, die nach Freiheit streben, nicht allein lassen. Genauso, wie die freie Welt 1989 die Menschen in der DDR nicht allein gelassen hat. Allen Menschen, die sagen, was geht uns Iran an, möchte ich sagen, dass es heute kein vereintes Deutschland gäbe, wenn der Rest der Welt damals genauso empathielos gesagt hätte, was geht uns die Mauer, was gehen uns die Deutschen an.
Auch glaube ich, dass wir eine ganz besondere Verantwortung bei der Berichterstattung aus Israel haben. Über 60 % der Deutschen haben eine negative Meinung von Israel – für viele Juden eine unausweichliche Folge der negativen Berichterstattung. Zunehmend fühlen sich viele Juden nicht mehr wohl in Deutschland. Da gibt es erheblichen Verbesserungsbedarf, wie ich finde. Bei diesen Themen bin ich als Fernsehrat besonders sensibel.
#Fernsehrat: Sehen Sie das ZDF mit seinen Auslandsstudios in den Regionen der Welt angemessen vertreten?
Toprak: Natürlich ist trotz der sehr guten und professionellen Auslandsberichterstattung des ZDF gerade in Zeiten der zunehmenden Globalisierung noch viel mehr nötig und möglich. Ich würde mir z. B. noch mehr Berichterstattung und Hintergrundinformationen aus dem afrikanischen Kontinent wünschen. Aber das ist auch vor allem eine Frage der finanziellen Ressourcen. Noch mehr Auslandsberichterstattung scheitert nicht am Willen, sondern an den personellen und finanziellen Ressourcen.
Zur Person: Ali Ertan Toprak ist seit 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats für den Bereich „Migranten“ aus dem Land Hessen. Er ist der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, Sprecher der Initiative Säkularer Islam. Außerdem ist er Beauftragter des Landesvorstandes der CDU-Hamburg für Vielfalt, Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Toprak publiziert Texte in Leitmedien, z. B. für die WELT, ZEIT, TAZ, CICERO, EMMA.