„Ein öffentlich-rechtlicher Sender wie ARTE braucht Staatsferne, Unabhängigkeit im Programm, und vor allem Planungssicherheit“, sagt Fernsehrätin Angela Spizig. Sie verweist auf das wertvolle Programm und plädiert für Verhandlungen über die langfristige Finanzierung.
#Fernsehrat: ARTE bietet seit April 2022 fast 150 Programme mit ukrainischen, aber auch russischen Untertiteln an und kümmert sich intensiv darum, auch die Perspektive von Ukrainern und Exil-Russinnen sicht- und hörbar zu machen. Finden Sie dieses Engagement richtig, oder geht das zu weit über den deutsch-französischen Kern des Senders hinaus?
Angela Spizig: Ich halte dieses Engagement für absolut richtig und notwendig. Es entspricht den Zielen, die sich ARTE von Anfang an auf die Fahnen geschrieben hat: Demokratie, Freiheit und Völkerverständigung durch kulturellen Austausch. Der Krieg Russlands in der Ukraine bedroht nicht nur die angrenzenden Länder, sondern ganz Europa. Es ist wichtig für uns, so umfassend und differenziert wie möglich darüber informiert zu werden, was dort geschieht. ARTE leistet dies auf allen Ausspielwegen - linear, online, auf Social-Media-Kanälen, und in der ARTE-Mediathek. Einerseits ganz aktuell mit Reportagen vor Ort wie „Re:“, die schonungslos die Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Bevölkerung erfahrbar machen. Dann wieder durch Hintergrundberichte, die den Zuschauern geschichtliche und geopolitische Zusammenhänge aufzeigen, um ihnen eine Einordnung zu ermöglichen. Gerade die Beiträge der Journalistinnen und Kreativen aus der Ukraine, Osteuropa, und Russland, die ihre Innensicht auf den Krieg schildern, sind hier unverzichtbar – nicht nur für uns, sondern auch für ihre vielen Landsleute, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. So hat die von ARTE mit dem ZDF entwickelte Reihe „Tracks East“ europaweit besonders hohe Abrufzahlen, gerade auch bei jungen Menschen. Und wurde zu Recht für den Deutschen Fernsehpreis nominiert!
#Fernsehrat: In Frankreich wird ARTE nicht wie in Deutschland staatsfern finanziert. Nach Abschaffung des Rundfunkbeitrags dort und massiver Intervention von deutscher Seite ist die Finanzierung zunächst bis 2024 gesichert. Allerdings wird der französische Beitrag bis dahin aus Einnahmen aus der Mehrwertsteuer erbracht, wie es danach weitergeht, ist offen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Spizig: Im Sommer erschien die Entwicklung noch recht bedrohlich. Den meisten Franzosen war gar nicht klar, dass Macrons schönes neues Gesetz zur „Stärkung der Kaufkraft“ zulasten von ARTE und anderen öffentlichen Sendern zu gehen drohte. In den ARTE-Gremien wurde dies hingegen schon früh diskutiert. Die Vorsitzenden und die Mitglieder bewirkten, dass die Politik in Deutschland informiert wurde und sich engagierte. Die Vorsitzende des ZDF-Fernsehrats Marlehn Thieme schrieb an den französischen Präsidenten – und bekam eine Antwort aus dem Elysée-Palast. In Frankreich verhandelten der deutsche und der französische ARTE-Vorsitzende, Peter Weber und Bruno Patino, gemeinsam mit französischen Ministern. Inzwischen ist die Finanzierung für zwei Jahre gesichert. Aber im Grunde muss jetzt nahtlos weiterverhandelt werden. Ein öffentlich-rechtlicher Sender wie ARTE braucht Staatsferne, Unabhängigkeit im Programm, und vor allem Planungssicherheit – also eine Finanzierung, die nicht jährlich durch das Parlament abgesegnet werden muss. Dafür gibt es in Frankreich keinerlei Modell – das gilt es nun zu entwickeln und zu gestalten. Ich denke, da werden unsere Verhandlungsführer noch sehr gefordert sein. Positiv sehe ich, dass die französische Regierung ARTE und seinen Sonderstatus aufgrund der starken Reaktionen und intensiven Gespräche noch einmal mit einem neuen Blick betrachtet und dabei auch die große Bedeutung von ARTE für Europa wahrnimmt.
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#Fernsehrat: ARTE feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen. Sein deutsch-französisches Programm wird mittlerweile in vier weiteren Sprachen untertitelt. Was wünschen Sie dem Sender anlässlich seines Jubiläums für die Zukunft?
Vor 30 Jahren wurde ARTE als deutsch-französischer Sender gegründet – aber immer schon mit Blick auf Europa und die Welt! Zur DNA von ARTE gehören die Kultur, das Wissen um die gemeinsame Geschichte und Gegenwart der europäischen Länder, und vor allem das Ziel der Völkerverständigung und eines friedlichen, demokratischen, geeinten Europas. Deshalb gibt es bereits seit 2015 untertitelte Angebote in Englisch, Spanisch, Italienisch und Polnisch. Im non-linearen Bereich, auf arte.tv, kümmert sich eine begeisterte, junge Online-Redaktion von sechs „native editors“ um die publizistische Relevanz und die individuelle Kuratierung in den einzelnen Sprachen. Manche Sendungen sind vertont, andere untertitelt. Die rasant gestiegenen Reichweiten der europäischen Angebote zeigen, dass ARTE mit seinen Inhalten von immer mehr Menschen außerhalb Deutschlands und Frankreichs verfolgt wird. Aktuell wird in der Redaktion schon über weitere Sprachen wie Griechisch, Russisch und Ungarisch nachgedacht.
Mit dem Ziel, sich als deutsch-französische Plattform weiter in Richtung Europa zu entwickeln, hat die ARTE-Koordination im ZDF mit Wolfgang Bergmann dieses Jahr die Kollektion „ArteKino Classics“ ins Leben gerufen, mit Filmklassikern aus 20 (!) Ländern. Diese sind in sechs Untertitel-Fassungen europaweit auf arte.tv verfügbar - und die Kollektion wird weiter wachsen. Eine spannende Perspektive!
Was ich ARTE wünsche? Weiterhin diesen klaren Blick auf unsere Welt, die Offenheit für junge Menschen und ihre Zukunft, die Freude an der Qualität, die Lust an Innovationen, und die Fähigkeit, die unterschiedlichsten Menschen durch Kultur zu beglücken.
Zur Person: Angela Spizig ist Literaturwissenschaftlerin und internationale Kultur-Moderatorin. Von 2000-2014 war sie Bürgermeisterin der Stadt Köln mit den Schwerpunkten Kultur, Medien, Internationale Beziehung. Im Jahr 2016 wurde sie für den Bereich „Medienwirtschaft und Film“ aus dem Land Nordrhein-Westfalen in den ZDF-Fernsehrat entsandt. Dort arbeitet sie in den Programmausschüssen Programmdirektion und Partnerprogramme mit. Der ZDF-Fernsehrat entsandte sie in den Programmbeirat von Arte G.E.I.E. in Straßburg. Dort ist sie gleichzeitig Berichterstatterin für den Programmbeirat von Arte Deutschland. Aufgrund ihres deutsch-französischen Engagements ernannte sie der französische Kulturminister im Jahr 2011 zum „Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres“.