Suizidprävention: Umgang mit Menschen mit Suizidgedanken
Interview
Suizid und Suizidprävention:Das menschliche Begleiten "kann jeder"
|
Suizid ist allgegenwärtig und dennoch tabuisiert. Was Alarmzeichen für einen Suizid sind und wie jeder helfen kann, weiß Ute Lewitzka, Professorin für Suizidprävention.
Ute Lewitzka hat die erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention in Deutschland inne. Wir sprechen mit ihr über Alarmzeichen und mögliche Hilfe. 10.09.2024 | 6:08 min
Das Thema Suizid berührt das Leben vieler Menschen. 2023 haben sich in Deutschland 10.304 Menschen das Leben genommen. Schätzungen gehen von jährlich weit über 100.000 Suizidversuchen aus. Gerade Jugendliche plagen immer häufiger Suizidgedanken.
Dennoch findet keine breite gesellschaftliche Debatte über Suizid statt. So wird auch zu wenig über Suizidprävention geredet. Was sich ändern muss, erklärt Prof. Ute Lewitzka, die die deutschlandweit erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention innehat.
ZDFheute: Nicht jeder junger Mensch, der sich isoliert, ist gleich auch suizidgefährdet. Was sind Alarmzeichen?
Ute Lewitzka: Wichtig ist zu sagen, dass es immer eine Vielzahl von Faktoren sind. Es kann der Rückzug sein, es kann die Vernachlässigung von Interessen sein. Es kann sein, dass ich mich nicht mehr so pflege, wie ich es üblicherweise tue, dass ich gereizter, missmutiger bin. Das haben ganz viele Jugendliche zumindest abschnittsweise in ihrem Leben, vor allem in der Pubertät und der Adoleszenz. Wichtig ist hier zu schauen, wie lange das dauert und wie sehr es den Alltag in einer Familie beeinträchtigt. Wenn es länger dauert, dann wäre es Zeit, sich Hilfe zu holen.
Social Media gilt als einer der Treiber, weshalb zunehmend Jugendliche psychische Probleme haben - bis hin zu Selbstmord-Gedanken und vollzogenem Selbstmord. 01.08.2024 | 3:40 min
ZDFheute: Besteht denn, wenn junge Menschen Suizidgedanken haben, immer die Gefahr eines Suizids oder können diese auch Zeichen für etwas anderes sein?
Lewitzka: Das kann wie immer auch ein Zeichen für etwas anderes sein. Wir würden das als dysfunktionale Problemlösungsstrategie bezeichnen. Die Person hat nie gut lernen können, ein Problem, eine Not anders zu kommunizieren oder damit anders umzugehen. Aber wir wünschen uns, dass jeder Suizidgedanke ernst genommen wird, weil er immer Ausdruck eines inneren Konflikts, einer Not, eines Schmerzes ist.
Hilfe bei Suizidgedanken
Es gibt Hilfe, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. "Ich weiß nicht mehr weiter", "Ich kann nicht mehr": Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie unbedingt, mit jemandem darüber zu sprechen - egal, ob Familie, Freunde oder Menschen, die sich auf diese Themen spezialisiert haben.
ZDFheute: Lassen Sie uns mal auf die Rolle von Social Media gucken. Ist das wirklich ein so wichtiger Einfluss oder gibt es noch andere Faktoren, die zugrunde liegen müssen, wie eine Depression zum Beispiel?
Lewitzka: Auch hier ist wichtig zu sagen, dass es immer ein Komplex verschiedener Faktoren ist, die eine Rolle spielen. Nicht jeder Jugendlicher oder Erwachsene, der Social Media konsumiert oder dort unterwegs ist, wird suizidal. Das heißt, ich habe bei vielen Betroffenen eine psychische Komponente dabei.
Quelle: Ute Lewitzka
... ist Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie. Sie besetzt seit 1. November die erste Professur für Suizidologie und Suizidprävention an der Goethe-Universität in Frankfurt. In ihrer Forschung will sie Suizidversuche und Suizide systematisch analysieren, um präventive Maßnahmen zu entwickeln.
Wir wissen, dass die Mehrzahl der psychischen Erkrankungen im Jugendalter beginnen. Das nennen wir Erstmanifestation, also, dass da der Beginn beispielsweise von Depressionen liegt. Es ist wichtig, das abzuklären.
Start-up bietet Hilfe für suizidgefährdete Jugendliche an10.09.2024 | 9:32 min
ZDFheute: Welche Rolle spielen denn konkrete Orte, an denen Menschen Suizidversuche unternehmen, bei der Suizidprävention?
Lewitzka: Sie sprechen die sogenannte Methodenrestriktion und Hotspotsicherung an oder die "high risk places", wie man es im englischen Sprachgebrauch nennt. Das sind Orte, die mehrfach für Suizide genutzt werden, häufig Orte des öffentlichen Raums, beispielsweise Bauwerke oder Naturdenkmäler.
Hier ist wichtig, dass diese Menschen, die wir durch diese Zugangsbeschränkungen erreichen, sich in der Mehrzahl nicht das Leben mit einer anderen Methode nehmen. Nicht an dem Tag und nicht in der Folge. Das heißt, wir retten wirklich das Leben. Deswegen ist diese Hotspotsicherung so wertvoll.
Die Zahl der Suizide hat im Jahr 2023 deutlich zugenommen. Welche Gruppen betroffen sind, wie jeder helfen kann und was sich Angehörige wünschen.
FAQ
ZDFheute: Suizid ist ein Tabuthema in der Gesellschaft und mit Berührungsängsten verbunden. Was würden Sie empfehlen, wenn das Thema im Bekanntenkreis akut ist. Sollte man es ansprechen und wenn ja, wie thematisiert man das am besten?
Lewitzka: Erstens keine Angst haben, es anzusprechen. Im Gegenteil, ich darf es ansprechen, wenn mir auffällt, dass es meinem Gegenüber nicht gut geht. Ich lasse mir dann erklären, warum die Situation gerade so schwierig ist. Ich darf fragen, und das wäre der erste Schritt: "Gibt es denn auch Gedanken, dass das Leben keinen Sinn mehr macht?" Dann öffnet man eine Tür. Ich bringe denjenigen nicht darauf, Suizidgedanken zu entwickeln, die sind in der Regel schon da, sondern führe meistens zu einer Entlastung. Dann geht es in allererster Linie um das Begleiten, um das Dasein.
Kein Mensch muss Angst haben, sofort ein Therapeut oder ein Arzt sein zu müssen, sondern es geht um: "Ich höre dir zu, ich nehme dich so an, wie du bist, und ich beurteile vor allen Dingen nicht, warum du jetzt Suizidgedanken hast". Es können ganz unterschiedliche Gründe sein. Damit ist schon sehr viel gewonnen.
Eine Frau will sich von einer Brücke stürzen, als der Sänger dort ein Musikvideo dreht. Er kann sie aber von ihrem Vorhaben abbringen. 12.09.2024 | 0:49 min
Quelle: ZDF
Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.