CO2-Projekte: Betrugsverdacht bei Klimaschutzprojekten

    Exklusiv

    CO2-Projekte in China:Betrugsverdacht bei Klimaschutzprojekten

    von Hans Koberstein, Marta Orosz und Nathan Niedermeier
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    Millionenschwere Klimaschutzprojekte von Mineralölkonzernen in China existieren offenbar nur auf dem Papier, zeigen ZDF frontal Recherchen. Die Verbraucher zahlen trotzdem dafür.

    Wer hierzulande tankt, der zahlt mit jedem Liter auch für Klimaschutzprojekte, auch in China. Doch wie ZDF-Recherchen zeigen, wird bei diesen Projekten mutmaßlich getrickst.
    Wer hierzulande tankt, der zahlt mit jedem Liter auch für Klimaschutzprojekte, auch in China. Doch wie ZDF-Recherchen zeigen, wird bei diesen Projekten mutmaßlich getrickst.01.05.2024 | 2:42 min
    Es ist möglicherweise einer der bislang größten Betrugsfälle in der deutschen Mineralölwirtschaft. Es geht um sogenannte UER-Zertifikate, die mehr als eine Milliarde Euro wert sind. Diese Zertifikate nutzen Ölkonzerne in Deutschland, um gesetzliche Klimaschutz-Vorgaben zu erfüllen. Dafür zahlen die Verbraucher, wenn sie tanken oder Heizöl einkaufen, denn die Kosten dieser UER-Zertifikate werden auf den Spritpreis aufgeschlagen.

    Forscher: "Betrugsfälle sind äußerst schwerwiegend"

    Recherchen von ZDF frontal zeigen nun, dass viele dieser UER-Zertifikate gar nicht hätten genehmigt werden dürfen. Das betrifft mindestens zehn Projekte im Wert von mehr als 350 Millionen Euro. Allein mit diesen Projekten sollten rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden.
    Der Schweizer Wissenschaftler Axel Michaelowa ist seit 30 Jahren mit internationalen Kohlenstoffmärkten befasst, für ihn sind die Fälle eine nie dagewesene Dimension des Betrugs:

    Die Betrugsfälle sind äußerst schwerwiegend. Fiktive Projekte hat es in den internationalen Marktmechanismen noch nie gegeben."

    Axel Michaelowa, Universität Zürich

    Verstrickt in den Skandal sind Konzerne wie Shell, Rosneft und OMV - die Ölmultis ließen angeblich nagelneue Anlagen in China bauen, die bei der dortigen Ölförderung CO2-Emissionen einsparen sollen. Die meisten dieser Projekte entstanden auf den Öl- und Gasfeldern in der Provinz Xinjiang.
    Bildmontage: Schornsteine stoßen Emissionen aus, darüber Wischer mit Regenwald
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    Ein lohnendes Geschäft: Für jede in China angeblich eingesparte Tonne CO2 konnten Mineralölunternehmen anfangs mehr als 400 Euro in Deutschland kassieren - damit ist ein einziges solches UER-Projekt 20 Millionen Euro oder mehr wert. Das Problem: Viele dieser UER-Projekte wurden nach Recherchen von ZDF frontal nur vorgetäuscht, existieren nur auf dem Papier. Das bestätigt auch ein Schreiben eines chinesischen Unternehmens, das ZDF frontal vorliegt.

    Chinesisches Unternehmen bestätigt den Betrugsverdacht

    Der chinesische Öl- und Gastechnologiekonzern wurde in Deutschland als Betreiber von fünf UER-Projekten gemeldet, ohne selbst davon Kenntnis zu haben. In dem Schreiben heißt es: "Wir waren nie unmittelbar beteiligt in der Entwicklung deutscher UER-Projekte." Und weiter:

    Wir vermuten, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Dokumente gefälscht wurden und wir bitten dringend, dass Ihre Behörde dazu ermittelt.

    Chinesisches Unternehmen in einem Schreiben an das Umweltbundesamt

    Deutsche Prüfstellen sollen demnach die Daten einiger Anlagen des chinesischen Unternehmens geändert und ohne Zustimmung verwendet haben, um möglichst hohe CO2-Einsparungen in Deutschland geltend zu machen. Insgesamt ging es allein bei diesen offenbar erfundenen Projekten um knapp eine Million Tonnen CO2, die angeblich eingespart wurden - mit einem Marktwert von mindestens 180 Millionen Euro.
    Eines dieser Projekte wurde in Partnerschaft mit Shell entwickelt. Das Unternehmen sagt dazu auf Anfrage von ZDF frontal:

    Shell handelt grundsätzlich in Übereinstimmung mit den einschlägigen Gesetzen und Vorschriften und fordert dies ebenso vollumfänglich von seinen Geschäftspartnern.

    Stellungnahme Shell Deutschland auf Anfrage von ZDF frontal

    Immerhin: Der Ölkonzern will nach der ZDF-Anfrage den Vorwürfen nun nachgehen. OMV erklärt, man habe die UER-Aktivitäten in Deutschland 2022 eingestellt. Rosneft reagierte nicht auf Nachfragen.

    Umweltbundesamt genehmigte die CO2-Projekte in China

    Genehmigt wurden all diese Projekte vom Umweltbundesamt (UBA). Die Bundesbehörde erhielt nach ZDF-Informationen erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bereits Ende August 2023. Sieben UER-Projekte überprüft das UBA derzeit, eines sei annulliert worden, erklärt das Amt auf Nachfrage. Von vorgetäuschten Projekten will die Behörde aber nicht sprechen, das könne bisher nicht belegt werden.

    Angesichts der anhaltenden Vorwürfe plant das UBA eine Kontrolle laufender Projekte unter Einbeziehung der zuständigen chinesischen Behörden.

    Stellungnahme Umweltbundesamt auf Anfrage von ZDF frontal

    In der Branche hagelt es Kritik am Umweltbundesamt. Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie, befürchtet, dass unter der "naiven und mangelhaften" Prüfung die Glaubwürdigkeit der Zertifizierung grüner Produkte leidet. Man habe "offenbar nicht mal ein Mindestmaß an Initiative gezeigt", um Projekte, "von denen von vornherein klar war, dass die betrugsanfällig sein werden", ordentlich zu prüfen. "Das ist erschreckend", sagt Baumann.
    14.12.2023, Hamburg: Benzin- und Dieselpreise sind an einer Tankstelle zu sehen.
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    Anlagen standen nach ZDF-Recherchen schon vor angeblichem Baubeginn

    ZDF frontal konnte Satellitenaufnahmen auswerten. Die zeigen, dass an einigen der angeblichen Standorte in China auch in der weiteren Umgebung gar keine neuen Anlagen gebaut wurden. In anderen Fällen wiederum gab es die angeblich neu gebauten Klimaschutz-Projekte schon längst. Sie wären damit nach deutschem Recht als UER-Projekt von vorneherein nicht zulässig.
    So etwa das Projekt mit der Kennung BZIA. Laut den Projektunterlagen neu erbaut im September 2020. Ein Satellitenbild, das dem ZDF vorliegt, zeigt die Anlage aber bereits fertig gebaut im März 2019.
    Das Satellitenbild zeigt die fertig gebaute Anlage des Projektes BZIA im März 2019.
    Das UER-Projekt BZIA.
    Quelle: ZDF, Pleiades/Vertical52

    "Das bedeutet, dass das Projekt nie hätte validiert werden dürfen. Es ist nicht zusätzlich, es hätte keine einzige Emissionsgutschrift ausgeben dürfen", sagt Axel Michaelowa von der Universität Zürich.

    Zentrale Rolle spielen deutsche Prüfinstitute

    Ein weiteres Projekt trägt das Kürzel NNZF, angeblich 2021 neu errichtet - das Datum hat ein deutsches Prüfinstitut bestätigt. Merkwürdig nur: Auf der Infotafel am Eingang der Anlage vor Ort steht in chinesischer Schrift: "Die Anlage nahm offiziell im Dezember 2015 den Betrieb und die Produktion auf."
    Infotafel vor der Anlage ZG441 des UER-Projekts NNZF
    Infotafel vor der Anlage ZG441 des UER-Projekts NNZF.
    Quelle: ZDF

    Die Anlage stand also bereits viele Jahre vor dem in den Projektunterlagen angegebenen Baubeginn, den ein Prüfinstitut vor Ort überprüft und bestätigt hat.
    Die Bundesregierung will jetzt neuen UER-Projekten ein Riegel vorschieben - 2025 soll Schluss sein, ein Jahr früher als vorgesehen. Das Bundeskabinett will Ende Mai darüber entscheiden.
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    2023 war ein Jahr der Extreme: Hitze, Brände, hohe Pegelstände – immer wieder neue Wetter-"Rekorde". 22.04.2024 | 2:16 min
    Die Opposition fordert Konsequenzen: "Wir reden über mehrere Milliarden Euro", sagt Christian Hirte (CDU), Mitglied im Umweltausschuss des Bundestages.

    Da muss man am Ende schon darüber nachdenken, ob das nicht ein so eklatantes Versagen der Behörde ist und ob das nicht ein parlamentarisches Nachspiel hat.

    Christian Hirte, CDU

    Das UBA untersteht dem Bundesumweltministerium. Der Fall wird die grüne Ministerin Steffi Lemke beschäftigen. Am Dienstag sprach sie in Berlin, wie wichtig Klimaschutz für das Überleben von Pflanzen und Tieren ist - es ging ihr um deutsche Moore und ihre Wiedervernässung. Um China ging es nicht.
    Für ein Interview mit ZDF frontal zum millionenschweren Betrugsverdacht hatte die Ministerin keine Zeit. Wenn der sich erhärtet, bleiben die Verbraucher auf dem Schaden sitzen: Sie hätten dann bezahlt - nicht für mehr Klimaschutz, sondern für profitable Projekte auf dem Papier.

    ZDFheute-KlimaRadar
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