Bericht: Lebensstandard-Sorge bringt Distanz zur Demokratie

    Verteilungsbericht des WSI:Lebensstandard-Sorgen schlecht für Demokratie

    von Mischa Ehrhardt
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    Armut und Zukunftsängste schaffen Distanz zur Demokratie. Das ist - einfach zusammengefasst - eines der Ergebnisse einer Studie von Wirtschafts- und Sozialforschern.

    rentnerin haelt geldboerse
    Mehr Ungleichheit bei den Einkommen und wachsende Armut führen in Deutschland einer Analyse zufolge zu einer Zunahme von Abstiegsängsten.
    Quelle: dapd

    Was Armut in einem der reichsten Länder der Welt bedeutet, lässt sich konkret fassen. Dem Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge konnten es sich zehn Prozent armer Menschen in Deutschland nicht leisten, abgetragene Kleidung durch neue zu ersetzen.
    Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2021 - also vor der großen Inflationswelle, die einkommensschwache Haushalte am meisten getroffen hat. Denn die verwenden einen Großteil ihres Einkommens auf Dinge des täglichen Bedarfs.
    Eine Frau sucht in einem Mülleimer nach Leergut.
    Laut dem Statistischen Bundesamt galten 2023 21,2 Prozent der Deutschen als armutsgefährdet. Etwa 5,7 Millionen Menschen seien sogar von erheblicher Armut betroffen gewesen.10.04.2024 | 0:20 min

    Ungleichheit und Armut wachsen an

    "Wir sehen einen ganz klaren Anstieg der Einkommensungleichheit", fasst Studien-Co-Autor Jan Brülle das Ergebnis der Studie zusammen. Brülle ist Experte für Verteilungsfragen am WSI.

    Wir sehen, dass strenge Armut auf der einen und relative Einkommensarmut auf der anderen Seite um jeweils drei Prozent zugelegt haben.

    Jan Brülle, Studien-Co-Autor

    Alarmierend sind die Folgen, die das mit sich bringe. So zeigt die Analyse der Forscher*innen, dass weit mehr als 50 Prozent der unteren Einkommenshälfte fürchten, ihren Lebensstandard in Zukunft nicht mehr halten zu können. Selbst in der oberen Mittelschicht äußern diese Befürchtung mit 47 Prozent noch knapp die Hälfte aller Befragten.
    SGS Barnick Butterwegge
    Weder Transferleistungen noch der Mindestlohn seien so erhöht worden, dass man über die Runden komme, so der emeritierte Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. Er fürchtet, dass die Armut künftig zunimmt.27.03.2024 | 4:28 min

    "Sehr ungleiche Gesellschaften drohen ins Autoritäre zu kippen"

    Zur unteren Einkommenshälfte zählt die Studie Haushalte mit weniger als 2.240 Euro Nettoeinkommen pro Monat. Von Armut sprechen die Forscher bei Single-Haushaltseinkommen unterhalb 60 Prozent dieses Medians, also unterhalb von 1.350 Euro im Monat.
    Mit der Angst um die wirtschaftliche Zukunft einher geht dem Verteilungsbericht zufolge eine wachsende Distanz zur Demokratie und ihren Institutionen. "Sehr ungleiche Gesellschaften drohen ins Autoritäre zu kippen", bringt das Bettina Kohlrausch auf den Punkt, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. "Diese Zunahme sozialer Ungleichheit als Problem anzuerkennen und darüber nachzudenken, was man dagegen tun kann, ist im Interesse aller demokratischen Kräfte".

    Abwertende Einstellung gegenüber Leistungsempfängern

    Wobei der Verteilungsbericht herausstreicht, dass die Teilhabekrise zwei Seiten habe: Zum einen die materielle Seite in Form von Armut und damit verbunden mangelnden Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe; zum anderen gebe es aber auch eine emotional-subjektive Dimension wie die beschriebenen Zukunftsängste bis in die obere Mittelschicht hinein.
    Zur Lösung dieser Krise müssten politisch verantwortliche Parteien vor allem darauf verzichten, verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen - also etwa Migranten und Empfänger von Bürgergeld. "Indem immer wieder angebliche Anreizprobleme der Grundsicherung in den Mittelpunkt gestellt werden, werden Bürgergeldbeziehende implizit als faul und arbeitsunwillig dahingestellt. Dies greift auch verbreitete Stigmata und abwertende Einstellungen gegenüber Leistungsbeziehenden auf", kritisiert Co-Autorin Dorothee Spannagel.
    Münzen liegen auf einem Dokument der Deutschen Rentenversicherung
    In Deutschland sind mehr Rentner als je zuvor zusätzlich zu ihrer Rente auf Sozialhilfe angewiesen. 37.000 Rentner mehr als im Vorjahr bezogen die Grundsicherung im Alter.08.10.2024 | 0:27 min

    Investitionen in die (soziale) Infrastruktur nötig

    Statt deren Leistungen zu kürzen sei es angezeigt, Niedriglöhne zu bekämpfen und die Tarifbindung zu stärken. Zudem sei zentral, die soziale Infrastruktur und die öffentliche Daseinsvorsorge zu stärken - etwa das Bildungssystem, die Gesundheitsversorgung oder auch den öffentlichen Nahverkehr. Deshalb sei es zumindest fraglich, unverändert an der Schuldenbremse festzuhalten, wo gleichzeitig die materielle und soziale Infrastruktur erodiere.
    "Damit erodiert nicht nur die ökonomische Basis eines gesunden, nachhaltigen wirtschaftlichen Wachstums, es erodiert auch die Basis einer funktionierenden Demokratie", so Bettina Kohlrausch. "Das sieht man jetzt beispielsweise in den USA: Wenn ein bestimmter Punkt der Polarisierung in einer Gesellschaft erreicht ist, kann man das nicht ohne Weiteres wieder zurückholen".
    Der Verteilungsbericht des WSI basiert im Wesentlichen auf dem sozio-oekonomischen-Panel, für das rund 13.000 Haushalte befragt werden und das aktuell bis 2022 reicht. Zudem stützt sich das WSI auf eigene Befragungen von 4.000 Menschen zu ihrer Lebenslage. Diese Umfragen reichen bis ins Jahr 2023 hinein.

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    Quelle: ZDF

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