Analyse von Experten:Saudi-Arabiens Sport wie "Brot und Spiele"
von Ralf Lorenzen
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Hinter der Sportoffensive Saudi-Arabiens steckt eine komplexe Strategie. Sie soll Menschenrechtsverletzungen legitimieren, die Jugend begeistern und neue Geldquellen erschließen.
Al-Nassr - das Team mit Cristiano Ronaldo (vierter von links) - feiert seinen Sieg in der Saudi Pro League gegen Al-Hazem.
Quelle: AFP
Seit der saudische Staatsfonds PIF die Kontrolle über vier Klubs der Saudi Pro League übernommen hat, wurden jede Menge europäische Spitzenfußballer dorthin gelockt. Es wird geschätzt, dass die Liga für Ablösesummen sowie die Gehälter von Cristiano Ronaldo, Neymar, Karim Benzema, Sadio Mane und einem guten Dutzend anderer Topstars über eine Milliarde US-Dollar ausgibt.
Jede Menge Sport von Tyson Fury bis ATP-Tennis
Im Schatten der Lichtgestalten hält das Sportleben Saudi-Arabiens allein in diesem Jahr noch diese von der PIF finanzierte Highlights bereit:
September: Gewichtheben-WM
Oktober: World Combat Games, eine Etappe der Global Champions Tour im Pferdesport, ein Showkampf von Box-Weltmeister Tyson Fury
November: Handball-Super-Globe (Pendant der Klub-WM)
Für die neue Rolle Saudi-Arabiens im Weltfußball gibt es zwei Vorbilder. Auch in den USA und China wurde versucht, mit teuren Spielerverpflichtungen einen Boom zu erzeugen.
von Ralf Lorenzen
Bei der Suche nach Gründen für diese Sportoffensive landet man zunächst beim Thema Sportswashing. "Die FIFA hat ein weiteres Mal die desaströse Menschenrechtsbilanz Saudi-Arabiens außer Acht gelassen", sagte Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei Amnesty International, nach der Vergabe der Klub-WM nach Saudi-Arabien.
Junge Menschen lassen ihr Geld im Land
Weniger beachtet wird häufig die Wirkung, die Saudi-Arabiens Sportoffensive im eigenen Land erzeugt. Rund zwei Drittel der saudischen Bevölkerung sind unter 35 Jahre alt - und Fußball ist der Lieblingssport.
Dass die weltbesten Fußballer in der heimischen Liga spielen, beeindrucke die Bürger und zeige, dass das Land auf der Weltbühne auf Augenhöhe auftreten könne, sagte Adam Scharpf, Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen, der Deutschen Welle. Es handele sich um eine Art "Brot-und-Spiele-Situation":
"Saudische Jugendliche müssen nicht mehr ins Ausland gehen, um Spaß und Unterhaltung zu haben - sie können ihr Geld zu Hause ausgeben", sagte Dag Henrik Tuastad, Dozent für Nahoststudien an der Universität Oslo in Norwegen, dem US-Magazin "The Athletic".
Gerade die Verpflichtung muslimischer Spieler wie Karim Benzema schaffe eine große Identifikation junger Menschen mit dem Fußball.
Fernziel: WM 2030 oder 2034
Das 2016 veröffentlichte Leitbild Vision 2030 soll Wege aufzeigen, wie das Königreich sich aus der Abhängigkeit von den Öleinnahmen befreien kann.
Von den zehn Zielen des Programms zum Thema "Lebensqualität" lauten die ersten beiden laut "The Guardian": "Förderung sportlicher Aktivitäten in der Gemeinschaft" und "Erzielung von Spitzenleistungen in mehreren Sportarten auf regionaler und internationaler Ebene".
Der Name Vision 2030 weist auch auf das ehrgeizigste Ziel dieser Strategie hin: die Ausrichtung der Fußball-WM 2030 oder 2034.
Weg vom Öl, hin zum Sport
"Der Sport mit seiner enormen emotionalen Komponente und der umfangreichen Berichterstattung in den Medien kann Investitionen in anderen Wirtschaftszweigen zugute kommen", sagt Andrea Sartori, CEO von Ace Advisory und Sportberater, der unter anderem für Qatar tätig war, im "Guardian":
"Meiner Meinung nach ist es eine Gelegenheit für Saudi-Arabien, das Land zu relativ geringen Kosten schnell neu auf dem internationalen Markt zu positionieren. Sie versuchen, die Entwicklung der Tourismusbranche voranzutreiben, einer Branche, von der aus sie relativ leicht diversifizieren oder sich an neue Branchen abseits von Öl und Gas anpassen können."