Antibiotika ohne Wirkung: Mit Viren gegen resistente Erreger
Wenn Antibiotika nicht wirken:Mit Viren gegen multiresistente Erreger
von Falko Schuster
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Die Therapie mit bakterienfressenden Viren könnte eine Lösung gegen Antibiotika-Resistenzen sein. Wie die Behandlung mit Phagen bei multiresistenten Keimen funktioniert.
Maschinen piepen auf der Intensivstation im Universitätsklinikum Jena. Ein Hochrisikopatient mit implantiertem Kunstherz hat sich mit einem multiresistenten Enterokokken-Bakterium infiziert. Selbst Reserve-Antibiotika wirken nicht mehr. Seine Überlebenschance liegt bei 50 Prozent.
Kein Einzelfall, so Michael Bauer, Intensivmediziner am Universitätsklinikum Jena:
Insbesondere bei den sogenannten gramnegativen Bakterien haben wir zunehmend mit Bakterien zu tun, die gegen viele Antibiotika, sogar gegen ganze Klassen von Antibiotika resistent sind. Wir stoßen dadurch an unsere Grenzen.
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Michael Bauer, Intensivmediziner am Universitätsklinikum Jena
Millionen Tote durch Superkeime
Das Entstehen multiresistenter Erreger bereitet Medizinern große Sorgen. Wie eine internationale Expertengruppe im medizinischen Fachmagazin "The Lancet"berichtet, ist eine Post-Antibiotika-Ära durchaus eine reale Gefahr. Allein 2019 sind weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen unmittelbar an einer Infektion mit einem antibiotika-resistenten Erreger verstorben. Bei 3,68 Millionen weiteren Todesfällen sei eine solche Infektion mitverantwortlich gewesen, so die Experten. Antibiotika-Resistenzen gehörten damit zu den häufigsten Todesursachen weltweit.
Es gibt Hochrechnungen, dass wir bis 2050 damit rechnen können, dass 50 Millionen Menschen weltweit an multiresistenten Mikroorganismen versterben, wenn wir nicht etwas tun
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Mikrobiologe Axel Brakhage vom Leibniz Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie Hans-Knöll-Institut Jena
Im Hans-Knöll-Institut in Jena suchen Wissenschaftler nach Naturstoffen, die das Potential für ein neues Antibiotikum haben. Zwischen 50 und 100 Substanzen werden jährlich entdeckt und untersucht. Doch die meisten kommen nicht bis zum Patienten. Die Entwicklung neuer Antibiotika ist langwierig und teuer und damit zu unrentabel für Pharmafirmen.
Dass Bakterien Resistenzen entwickeln, ist ein natürlicher Prozess. Gemeint ist die Widerstandsfähigkeit von Bakterien gegen die Wirkung von Antibiotika. Resistenzen entstehen dabei durch Veränderung des Erbgutes oder durch Weitergabe von Erbgut, wobei die Veränderungen übertragen werden.
Um Resistenzen zu vermeiden, sollten Antibiotika nur wenn nötig sowie verantwortungsbewusst und sparsam eingesetzt werden. Leider ist oft genau das Gegenteil der Fall. Ein Grund dafür ist zum Beispiel der präventive, großflächige Einsatz in der Massentierhaltung. Auch der unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika verschärft das Resistenzproblem. Denn in vielen Ländern ist ein Antibiotikum nicht wie in Deutschland verschreibungspflichtig. Dadurch wird es in vielen Fällen falsch oder sinnlos angewendet. Auch bei Operationen in Krankenhäusern werden Antibiotika immer noch zu häufig prophylaktisch eingesetzt, um Infektionen vorzubeugen.
Ein weiteres großes Problem ist die Produktionsweise von Antibiotika in Ländern wie Indien und China. Axel Brakhage vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena, erklärt es so: "Ein Antibiotikum wird über Fermentation hergestellt. Vereinfacht gesagt: Pilze werden in großen Kesseln angesetzt, in denen sie wachsen. Doch zur Antibiotika-Gewinnung wird nur ein kleiner Teiler dieser Pilze genutzt. Der Rest wird entsorgt, kommt irgendwo aufs Feld oder in Gräben. Aber da ist noch ganz viel Antibiotikum drin."
Dadurch erzeuge man Resistenzen dann auch in diesen Ländern, weil nicht sachgerecht produziert werde. "Und wir fahren dann dort als Urlauber hin und bringen die Resistenzen mit zurück nach Deutschland", so der Wissenschaftler. Antibiotikaresistenzen sind also ein komplexes Zusammenspiel vieler Faktoren, die zu weltweiten Problemen führen und Mediziner vor immer größere Herausforderungen stellen.
Mit Viren resistente Bakterien bekämpfen
Eine mögliche Alternative ist die Phagen-Therapie, die Behandlung von schweren bakteriellen Infektionen mit Viren, sogenannten Bakteriophagen.
Sie sind die natürlichen Gegenspieler, die natürlichen Feinde der Bakterien.
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Christian Kühn vom Nationalen Zentrum für Phagen-Therapie an der Medizinischen Hochschule Hannover
Phagen kämen weltweit überall vor, sie seien die häufigste Spezies auf diesem Planet Erde, erklärt Christian Kühn vom Nationalen Zentrum für Phagen-Therapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. "Und das Prinzip, was wir uns zugute machen, ist sozusagen der Feind meines Feindes ist mein bester Freund."
Die Viren erkennen hochspezifische Stämme einer bestimmten Bakterienart, Resistenzen spielen für sie keine Rolle. Sie dringen in die Bakterien ein, vermehren sich darin und bringen sie zum Platzen. Erst wenn alle Bakterien abgetötet sind, sterben auch die Viren.
Bakteriophagen sind bakterienfressende Viren, wobei jede Phage auf ein bestimmtes Bakterium spezialisiert ist. Sie befallen keine Zellen von Mensch, Tier oder Pflanze. Phagen wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt. Damals nutzte man sie zur Behandlung von gastroenteralen Infektionen wie Cholera und Shigellen Ruhr. Durch die Entdeckung des Penicillins geriet die Therapie mit Phagen in Westeuropa in Vergessenheit, während sie in Osteuropa vor allem in Georgien angewandt und weiterentwickelt wurde.
In Deutschland ist die Phagentherapie nicht zugelassen, darf aber eingesetzt werden, wenn kein Antibiotikum mehr wirkt. Allerdings gibt es in der EU für die Verwendung von Phagen bislang noch keinen Rechtsrahmen. Die EU beteiligt sich zwar an Studien zur Forschung, es fehlt jedoch Rechtssicherheit für Forscher, Hersteller, Ärzte und Patienten. Das Nationale Zentrum für Phagen-Therapie an der Medizinischen Hochschule Hannover ist eines von wenigen Zentren, die Phagen anwenden. Seit 2016 wird die wiederentdeckte Phagen-Therapie weiterentwickelt. Dazu gehört, neue Kandidaten zu identifizieren und die Verabreichung am Patienten zu verbessern.
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Phagen noch keine Alternative zu Antibiotika
Weil Phagen immer nur auf ein bestimmtes Bakterium spezialisiert sind, dauert es, bis das geeignete Virus im Labor identifiziert und getestet ist. Auch die Aufbereitung der Viren für die Anwendung beim Patienten ist aufwändig und langwierig. Bis zu zehn Tagen kann sich das hinziehen.
Es ist im Moment noch nicht die Alternative zur Antibiotika-Therapie, sondern im Prinzip die Ergänzung dazu.
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Christian Kühn, Nationales Zentrum für Phagen-Therapie an der Medizinischen Hochschule Hannover
Noch ist die Behandlung mit Bakteriophagen in Deutschland kaum verbreitet, denn sie ist hier keine zugelassene Therapie. Wenige Zentren in Deutschland setzen sie im Rahmen einer experimentellen Behandlung als letzte Möglichkeit bei Infektionen mit resistenten Bakterien ein.
"Wir dürfen zum Beispiel keine Phagen außerhalb unserer Patienten weitergeben, sondern dürfen sie wirklich nur bei unseren eigenen Patienten anwenden, weil man dafür dann wieder eine Wirkstoffherstellungsgenehmigung braucht", erklärt Kühn. Und das seien wiederum komplexe regulatorische Vorgänge, so der Experte. Bislang wurden an der Medizinischen Hochschule Hannover 32 Patienten mit multiresistenten Bakterien mit der Phagen-Therapie erfolgreich behandelt.
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