Ukraine-Krieg: Kann man noch frei aus Russland berichten?
Interview
Berichterstattung Ukraine-Krieg:Kann man noch frei aus Russland berichten?
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Das ZDF-Studio Moskau arbeitet seit Kriegsbeginn unter schwierigen Bedingungen. Studioleiterin Phoebe Gaa berichtet über die Arbeit vor Ort und die Lage Russlands.
ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa im Studio Moskau.
Quelle: ZDF
Seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine berichtet das ZDF-Studio in Moskau weiter über die Situation im Land, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Dabei stoßen die ZDF-Korrespondent*innen in Russland an Grenzen und werden gezielt an ihrer Arbeit gehindert.
ZDFheute: Nach dem Aufstand der Wagner-Söldner ist die Lage in Russland angespannt. Wie schwer ist es für euch im Moment, mit den Menschen vor Ort offen zu sprechen?
Phoebe Gaa: Mit Zeit und Fingerspitzengefühl finden wir eigentlich immer noch Menschen, die erstaunlich offen und mutig mit uns reden. Aber in den letzten Tagen hat unser Team in Moskau noch mehr Nervosität zu spüren bekommen, als es sonst schon der Fall ist. Viele Leute haben direkt abgewunken oder sie haben sehr vorsichtige Antworten gegeben, die dadurch dann eher nichtssagend wirkten.
Quelle: ZDF
... ist Korrespondentin im ZDF-Auslandsstudio Moskau. Seit 2009 arbeitet Phoebe Gaa als Reporterin für das ZDF. 2017 wurde sie Korrespondentin in Moskau; seit 2019 leitet sie das Studio. Phoebe Gaa und ihr Team berichten aus Russland, Belarus, Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.
Auch unter den Sicherheitsbehörden war mehr Nervosität zu spüren. Unser Team wurde kontrolliert und auch befragt: "Mit wem habt ihr gedreht? Welche Fragen habt ihr gestellt? Und welche Antworten habt ihr bekommen?"
In dieser Atmosphäre schien es dann nicht sinnvoll, für die dieswöchige auslandsjournal-Sendung ein Stück in Moskau zu drehen.
Studioleiterin Phoebe Gaa über die aktuelle Situation in Moskau.29.06.2023 | 4:00 min
ZDFheute: Du bist seit sechs Jahren Korrespondentin in Moskau. Wie haben sich deine Arbeitsbedingungen seit dem Angriff auf die Ukraine verschlechtert?
Gaa: Der größte Einschnitt waren die Mediengesetze, die direkt nach Kriegsbeginn erlassen wurden.
Das schränkt natürlich das ein, was Menschen uns sagen und erzählen können. Es gibt viele Fälle von Russinnen und Russen, die in den letzten Monaten lange Haftstrafen bekommen haben - allein für Social-Media-Posts.
Die Themen des auslandsjournal vom 28. Juni: der Söldneraufstand in Russland, die Wagner-Truppen in Belarus, Europas Infrastruktur im Visier Russlands und kritische Stimmen aus Moskau.28.06.2023 | 29:58 min
Und es schränkt auch das ein, worüber wir berichten können. Denn ganz klar ist keine unabhängige Berichterstattung möglich, wenn wir nur das wiedergeben können, ungeprüft und unwidersprochen, was der Kreml veröffentlicht.
Auch das tun wir in einer Grauzone, denn wir wissen sehr wohl, dass wir hier in einem Willkürstaat unterwegs sind und dass das, was heute noch in Ordnung ist zu sagen oder zu berichten, morgen schon zur Anklage führen kann.
ZDFheute: Mit Blick auf den Wagner-Aufstand vergangenes Wochenende: Wie sieht die Zukunft der Söldnergruppen aus? Und wie redet man in Russland über diese Privatarmeen, die in der Ukraine für Russland kämpfen?
Gaa: Wir sehen da gerade zwei Entwicklungen, die beide darauf abzielen dürften, mehr staatliche Kontrolle über diese Privatarmeen zu erlangen. Das eine sind die Verträge zwischen den Privatarmeen mit dem russischen Verteidigungsministerium. Und das Zweite ist eine Initiative im russischen Parlament.
In Russland ist der seit Langem schwelende Machtkampf zwischen Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, und der russischen Militärführung eskaliert.27.06.2023 | 7:15 min
Die Duma bereitet eine Art rechtliche Grundlage für die Privatarmeen vor. Denn nach wie vor sind die eigentlich nach russischem Recht illegal. Die Existenz von Wagner war zum Beispiel lange Zeit ein offenes Geheimnis.
Man wusste, dass sie in Syrien und auch in Afrika unterwegs sind, aber mehrere russische Journalisten, die zu den Hintergründen recherchiert haben, haben diese Arbeit mit ihrem Leben bezahlt.
Die Masken sind jetzt also gefallen.
ZDFheute: Einer scheint aus dem Wochenende als Gewinner hervorzugehen: Aleksander Lukaschenko, der belarussische Präsident. Er steht auf einmal als großer Retter da, hat vermittelt und bietet Asyl für Prigoschin und seine Söldner. Was hat sich in Belarus verändert? Und was ist der Plan mit Prigoschin?
Gaa: Unsere Kontakte in Minsk erzählen uns, dass es jetzt mehr Spezialkräfte in Zivil gebe und dass man eigentlich jederzeit mit Spitzeln und Denunzianten rechnen muss.
Der belarussische Staatschef Lukaschenko ist einer der letzten Diktatoren Europas und unterstützt Russlands Krieg gegen die Ukraine.18.05.2022 | 43:53 min
Dazu tragen die langen Haftstrafen bei, die verhängt wurden und auch die Berichte darüber, was den Oppositionellen in den Straflagern angetan wird. Ein politischer Experte meinte kürzlich, Belarus entwickle sich zum "Sibirien Putins". Das heißt also, der russische Präsident verbanne unliebsame Akteure dorthin.
Auf jeden Fall ist er Prigoschin erst einmal losgeworden. Irgendeine Reaktion musste er nach diesem Wochenende zeigen. Andererseits bleibt Prigoschin aber im Machtbereich von Wladimir Putin, denn die Sicherheitsapparate von beiden Ländern arbeiten eng zusammen.
Das Interview führte Antje Pieper, Moderatorin des ZDFauslandsjournals.
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.