Prigoschin im Exil: Warum die Angst der Belarussen wächst

    Wagner-Chef Prigoschin im Exil:Warum die Angst der Belarussen wächst

    Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent in Moskau
    von Sebastian Ehm
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    Prigoschin soll sich in Belarus aufhalten. Lukaschenko heißt ihn und seine Kämpfer öffentlich willkommen und düpiert damit Putin. Gleichzeitig wächst die Angst in der Bevölkerung.

    Das Bild zeigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko.
    In Belarus bahnt sich eine Zusammenarbeit von Machthaber Lukaschenko mit Söldner-Chef Prigoschin an.
    Quelle: epa

    Darya Schulzowa bekommt die Angst der Belarussen vor den Entwicklungen im Land direkt zu spüren. Sie selbst lebt in Warschau, dort treffen wir sie. Doch ihre Eltern wohnen noch in Minsk. Regelmäßig komme der Geheimdienst bei ihnen vorbei. "Meine Eltern bekommen oft Besuch von denen", erzählt sie zögerlich. Jedes Mal würden sie gefragt, wo Darya sei. Jedes Mal, sagt Darya, habe sie dann Angst, dass es nicht nur bei der Befragung bleibe.
    Darya ist Journalistin für den belarussischen Exil-Sender Belsat, der von Warschau aus versucht, Belarussen in Minsk mit unabhängigen Informationen zu versorgen. Im Reich des Diktators Alexander Lukaschenko ist eine freie Presse nicht vorgesehen. Weil sie als Journalistin für diesen Sender arbeitet, sind auch ihre Eltern in Gefahr. Sie hat Angst, dass sie irgendwann festgenommen werden und sie sie nicht wieder sieht.
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    Haft unter unwürdigen Bedingungen

    2020 berichtete Darya aus Minsk über die Proteste gegen Lukaschenko. Monatelang gingen Zehntausende auf die Straße. Sie warfen dem Machthaber Wahlmanipulation vor. Doch der ließ die Demonstrationen brutal niederschlagen und ließ Hunderte festnehmen.
    Unter ihnen war auch Darya. Der Vorwurf: Anstiftung zum Aufstand. Mit stockender Stimme erzählt sie von den Haftbedingungen. Sie waren menschenunwürdig. Teilweise pferchte man sie mit elf Personen in eine vier Quadratmeter große Zelle.

    Alle Fenster dort waren geschlossen. Es stank die ganze Zeit direkt aus der Kanalisation. Wir saßen dort und wartete nur darauf zu ersticken.

    Darya Schulzowa, belarussische Journalistin im Exil

    Zwei Jahre saß Darya im Gefängnis, bis sie freikam und ihr Heimatland verlassen konnte.
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    Lukaschenko will den Wagner-Aufstand nutzen

    In Belarus schien es jahrelang so als wäre Lukaschenko nur noch ein Machthaber von Putins Gnaden. Der russische Präsident hatte ihn während der Proteste gestützt. Doch nach dem Wagner-Aufstand präsentiert sich Lukaschenko selbstbewusst. Am Dienstag hatte er gleich mehrere Auftritte vor Kameras. Die Botschaft, die er verbreiten will: Nur er habe erfolgreich zwischen Putin und Prigoschin vermitteln können. Er teilt sogar mit, dass seine Streitkräfte Moskau notfalls zur Hilfe geeilt wären.

    Alle Streitkräfte, einschließlich der Polizei und der Spezialkräfte, wurden in volle Kampfbereitschaft versetzt. Die gesamte Brigade war bereit, nach Russland verlegt zu werden.

    Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus

    Das kleine Belarus präsentiert sich als Retter des mächtigen Kreml. Ein Affront für Putin, der Lukaschenko eigentlich nicht ernst nimmt. Der ihn maximal als Junior-Partner betrachtet, aber eigentlich noch nicht mal das.
    Putin betrachtet Belarus genau wie die Ukraine als urrussisches Gebiet. Doch nun verkündet Lukaschenko bei einem seiner Auftritte auch noch stolz die Zusammenarbeit mit Prigoschin, den Putin mehrfach öffentlich zum Verräter erklärt hatte.

    Wenn die Wagner-Kommandeure zu uns kommen und uns helfen, ist das eine gute Erfahrung. Sie kämpfen an vorderster Front - das sind Sturmtruppen. Sie werden uns sagen, was im Moment wichtig ist.

    Alexander Luaschenko

    Die Stimmung in Minsk ist noch ruhig. Noch ist nicht bekannt, ob außer Jewgeni Prigoschin weitere Wagner-Truppen im Land sind. Doch eines ist klar: Alexander Lukaschenko fühlt sich als Gewinner des gescheiterten Wagner-Aufstandes. Er scheint fester im Sattel zu sitzen als je zuvor.

    Exil-Opposition ist entsetzt

    Ein Alptraum für die Opposition. Das erzählt uns Swetlana Tichanowskaja, die wir in Brüssel zum Interview treffen. Sie war 2020 die Gegenkandidatin Lukaschenkos. Auch sie musste fliehen und beobachtet jetzt aus dem Exil mit Schrecken, dass Wagner-Kämpfer nach Belarus kommen könnten.

    Es ist wirklich grauenhaft, denn eine russische Söldnertruppe könnte Belarus kontrollieren. Das kann unsere Bürger in Schwierigkeiten bringen. Ich bekomme die Reaktion der Menschen mit. Einerseits haben sie natürlich Angst, andererseits sind sie aber auch sehr wütend über die Situation.

    Swetlana Tichanowskaja, belarussische Oppositionspolitikerin

    Auch Darya Schulzowa in Warschau findet die Situation in Belarus schlimm, Sie macht sich große Sorgen um ihre Familie und ihre Freunde, die noch im Land sind. Sie weiß, dass sie im Moment nicht nach Hause zurück kann. Zu gefährlich: "Mit diesem Gefühl muss ich jeden Tag leben", sagt sie traurig. Dass bald Prigoschin und die Wagner-Kämpfer den Ton in Belarus angeben könnten, mache ihr große Sorge, sagt sie. Sie habe Angst, vor allem um ihre Familie, aber auch um die Zukunft ihres Landes.
    Sebastian Ehm berichtet als ZDF-Korrespondent über Russland, Belarus, Kaukasus und Zentralasien.

    Nato-Chef Stoltenberg
    :Gegen "jede Bedrohung aus Moskau oder Minsk"

    Söldner-Chef Prigoschin kommt in Belarus unter. Der Nato-Chef warnt: Man sei bereit gegen "jede Bedrohung aus Moskau oder Minsk". Jeder Zentimeter Nato-Gebiet werde geschützt.
    Jens Stoltenberg am 17.08.2022 in Brüssel
    Thema