Aufregende Wildtier-Fahndung in Berlin: Von Löwen und Säuen

    Kommentar

    Wildtier-Fahndung in Berlin:Von Löwen und Säuen

    von Nicole Diekmann
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    Für kurze Zeit durfte in Berlin eine gewöhnliche Wildsau eine stolze Löwin sein - und die "Murkserei-Hauptstadt" schenkte dem Land eine kurze Auszeit der kollektiven Leichtigkeit.

    Jedes Ding hat zwei Seiten. Das konnte eine gebannte Republik in den vergangenen zwei Tagen bestens beobachten. Da nämlich schlug sie endlich: die große, überraschend gute Stunde der berühmten Berliner Professionalität in punkto Trotteligkeit. Denn sie hat etwas nicht zu Unterschätzendes und immer Rareres hinbekommen: ein kollektives Gefühl.
    Die offensichtliche Überforderung von Berliner Verantwortlichen, eine Löwin von einer Wildsau zu unterscheiden, hat ganz Deutschland zwei Tage lang in belustigt-gespannter Gemeinschaftlichkeit versammelt. Wo ist das Raubtier? Wem gehört es? Was wird ihm passieren, sollte es gefunden werden?

    Verschnaufpause von schweren Themen

    Diese Fragen drängten zermürbende und schwere Themen wie Kulturkampf, Krieg und Heizungen in den Hintergrund und schenkten uns eine Verschnaufpause. Leichtigkeit. Lange war es nicht mehr so lustig, sich durch die sozialen Netzwerke zu klicken. Dort war gut nachzulesen, wie ausgehungert wir alle sind nach Entspannung. Die Hassmaschinen wurden endlich mal wieder zu Witzmaschinen. Zu ziemlich guten sogar.
    War wohl ein Fehlalarm - die "Löwin" entpuppt sich mutmaßlich als Wildschwein:
    Wir können es also noch. Und wir wollen so gerne! Dass Berlin dazu den Anlass gibt - das ist überraschend. Während nämlich Hauptstädte in aller Regel durch Besonderheit glänzen und die geistige, politische, intellektuelle, kreative, oft auch wirtschaftliche Elite beherbergen, ist das bei uns in Deutschland anders.

    Berlins erhabene Seite

    Klar, Berlin ist etwas ganz, ganz Besonderes. Die Stadt ist geprägt von Bauten aus der entsetzlichen Ära des Nationalsozialismus, aber auch von Fragmenten der ehemaligen DDR, der Mauer - DEM Symbol für die deutsche Teilung. Und dem Symbol dafür, dass friedliche Revolutionen glücken können und zu Freiheit führen.
    Auch die Ernennung Berlins zur Hauptstadt des geeinten Deutschlands ist ein bis heute währendes, stolzes Symbol. Das ist die eine Seite Berlins. Die erhabene, anmutige. Stolz wie eine Löwin, quasi.

    Notorische Berliner Murkserei

    Die andere, die wir Hauptstädter Tag für Tag erleben und die mittlerweile auch bis weit über die Stadtgrenze hinaus berühmt ist, ist die notorische Berliner Murkserei. Der Flughafen. Der Hauptbahnhof. Die Unfähigkeit, gleichzeitig einen Marathon und eine Wahl abzuhalten. Oder seinen Bürgern wenigstens Bürgerämter zur Verfügung zu stellen, die in einer kürzeren Frist Termine für Reisepässe vergeben können, als man einst in der DDR auf einen Telefonanschluss warten musste.
    Polizisten koordinieren die Such in einem Wohngebiet in Teltow nach einem Wildtier.
    Die Suche nach einer angeblich freilaufenden Löwin sorgte rund um Berlin für Aufregung. Momentaufnahmen von der Suchaktion bei ZDFheute live.20.07.2023 | 54:20 min
    Da erinnert Berlin dann doch eher an eine Wildsau: behäbig, bisschen doof, sich durchwurschtelnd. Die Skala der Reaktionen auf all diese peinlichen Pannen und Missstände reicht - je nach Temperament und eigener Betroffenheit - von Belustigung über Häme bis hin zu Genervtheit. Letztere überwiegt. Denn ob man in Berlin oder in Gütersloh wohnt - es ist für niemanden lustig, wenn Millionen an Steuergeldern in einen Flughafen versenkt werden. Oder in einen Hauptbahnhof, der stellenweise kurz vorm Zusammenbruch steht.
    Folgt man zudem den Reden vor allem im Süden der Republik regierender Ministerpräsidenten, hat Berlin es auch gar nicht anders verdient: Hält die Stadt doch beim Länderfinanzausgleich immer nur die Hand auf und führt, statt demütig endlich mal Geld zu verdienen, auch noch den Frauentag als Feiertag ein.

    Berlins Beitrag zur deutschen Entspannung

    Nun aber hat Berlin zumindest in Sachen Entspannung seinen Beitrag geleistet. Und noch ist diese Phase nicht vorbei:
    • Erstens müssen wir keine Angst mehr haben, mitten in Zehlendorf zerfleischt zu werden
    • Zweitens können wir zur Abwechslung mal über einen Irrtum in der Hauptstadt einfach nur lachen, weil er uns vergleichsweise wenig Geld kosten wird
    Im Vergleich zum Flughafen-Desaster sind die Kosten für Polizei-Einsätze ja Peanuts. Und auch der Gattung der Wildschweine hat Berlin einen Gefallen getan: Wann jemals zuvor wurden die grunzenden Acker-Wühler denn schon mal mit dem König der Tiere in einem Atemzug genannt? Grob geschätzt ebenso selten wie Berlin mit dem Stichwort “Kompetenz”. Na ja. Zumindest Letzteres wird wohl absehbar so bleiben.
    Nicole Diekmann ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.

    37 Stunden Großfahndung
    :Chronologie: Ganz Berlin sucht eine Löwin

    Ein Video-Schnipsel, Hundertschaften der Polizei, weltweite Berichterstattung: 37 Stunden sucht Berlin nach einer Löwin - die wohl doch nur ein Wildschwein war. Das ist passiert.
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