Kirgisistan: Russland setzt Ex-Sowjetstaaten unter Druck
Kirgisistan und Kasachstan:Russland setzt Ex-Sowjetstaaten unter Druck
von Sebastian Ehm, Jenifer Girke & Nina Niebergall
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Russlands Einfluss auf manche Ex-Sowjetstaaten ist nach wie vor immens. Zum Beispiel in Kirgisistan. Die Armut treibt das Land weiter in die Arme Putins. Mit gefährlichen Folgen.
Kasachstan distanziert sich von Russland, will den Krieg gegen die Ukraine nicht unterstützen. Kirgisistan ist noch auf die Gunst Moskaus angewiesen.20.06.2023 | 28:45 min
Kirgisistan liegt in Zentralasien an der Grenze zu China und gehörte zur Sowjetunion. Auch gut 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR ist Kirgisistan abhängig von Russland, politisch wie wirtschaftlich. Gas und Öl kommen fast ausschließlich aus Russland. Das nutzt Moskau, um Kirgisistan unter Druck zu setzen und an sich zu binden.
Welche Folgen das hat, wird in einem kleinen Familienbetrieb deutlich. Um sich und ihre sieben Kinder zu ernähren, müssen Ermek und Baktykan rund um die Uhr arbeiten. Sie stellen traditionelle Teigtaschen her, täglich eintausend Stück.
Ein Jahr lang sind die zwei ZDF-Reporter Nina Niebergall und Sebastian Ehm in der ehemaligen Sowjetunion unterwegs gewesen, in sechs Ländern, die einst gemeinsam mit der Ukraine zur UdSSR gehörten. Und die vor allem seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Umbruch sind. Manche streben die EU an, andere sind massiv abhängig von Russland, wieder andere sind gespalten und unterstützen in Teilen Russlands Politik. Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kirgisistan und Kasachstan - in allen Ländern ist der Einfluss des Kreml deutlich zu spüren, das Leben vieler Menschen ist bestimmt von Putins Macht. In einer dreiteiligen Serie wird in die diese Region geblickt und gezeigt, wie sich Kulturen, Wirtschaften und Politik verändern.
Viele in Moldau haben Angst, dass Russland auch sie angreift. Doch die Hälfte der Bevölkerung ist pro-russisch. In Georgien kommen immer mehr russische Geflüchtete an. 20.06.2023 | 19:27 min
Kann sich der Krieg gegen die Ukraine auch auf weitere Länder ausbreiten? In Moldau hat man genau davor Angst. Sehen Sie hier Teil 1 der Reihe "Leben im Schatten Russlands":
Sohn musste für Job nach Moskau
Sie machen sich große Sorgen um den zweitältesten Sohn Bekstan. Er hat in Kirgisistan keinen Job gefunden und ist nach Moskau ausgewandert. Dort arbeitet er nun für einen Lieferservice. "Es ist ein schweres Leben. Er muss für eine Wohnung beziehungsweise ein Zimmer bezahlen, wo sechs oder sieben Personen leben. Es ist schwer, dort zu schlafen. Er kann sich nie ausruhen. Deshalb sind auch seine Kinder, unsere Enkel, noch hier", erzählt Mutter Baktykan.
Trotz der Sorgen ist der Einfluss russischer Propaganda spürbar: Ermek wiederholt fast wörtlich die Botschaften aus dem russischen Staatsfernsehen: "In Bezug auf Russland, auf die Politik Putins - da gebe ich mein Go. Er ist ein echter Mann! Ich gucke jeden Tag diese politische Talkshow." Putin würde richtig vorgehen, erklärt uns Ermek. Anfangs hätte er nicht verstanden, was die sogenannte militärische Sonderoperation solle. Aber nun ist er fest davon überzeugt, dass Russland gegen ganz Europa kämpfen muss.
Rekrutiert Putin Zentralasiaten für die russische Armee?
Seine Frau ist zurückhaltender, hat Angst, dass ihr Sohn rekrutiert werden könnte, für die Front: "Ich sage ihm, dass er ständig mit seinem Pass unterwegs sein soll. Ich rufe ihn drei- bis vier Mal am Tag an." Der kirgisische Pass soll den Sohn vor der Armee schützen. Doch Moskau nimmt auch zentralasiatische Migranten immer stärker ins Visier. Sie werden mit Geld in die russische Armee gelockt.
Vor 30 Jahren zerbrach die Sowjetunion und entließ 15 Republiken in die Unabhängigkeit, darunter die Staaten Zentralasiens. Was ist aus ihnen geworden im Schatten Russlands?21.12.2021 | 44:34 min
Das bestätigt auch Emil Jurajew, Politikwissenschaftler in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek: "Wir hören immer wieder Nachrichten von Leuten - meistens Toten - die nach Kirgisistan gebracht werden. Von Soldaten, die meistens auf der russischen Seite gekämpft haben."
Es ist die Armut, die Kirgisistan in die Arme Russlands treibt. Und es ist die damit bleibende Abhängigkeit, die sie nicht aus dem russischen Griff loslässt:
"Und anders als zum Beispiel Länder in Osteuropa - wie Georgien oder Moldau - gibt es in Zentralasien keine Ausweichmöglichkeit wie die Europäische Partnerschaft oder die Atlantische Partnerschaft mit Frankreich. Diese Länder liegen genau in der Mitte, zwischen China und Russland", erklärt Jurajew.
Ex-Sowjetstaaten kehren zurück zur nationalen Identität
Sich von Russland zu lösen - das muss man sich leisten können. Dazu gehört auch: Die eigene Kultur wieder entdecken, eine nationale Identität erwecken. Genau das versucht Kasachstan: In der Sowjetunion war Russisch die dominierende Sprache, so auch in Kasachstan. Und so beherrschen viele Kasachen auch heute nur Russisch, etwa 40 Prozent sprechen kein Kasachisch. Dass einzelne Völker ihre eigene Kultur verfolgen - daran hatte Moskau kein Interesse.
Aber seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine wächst das Selbstbewusstsein der Kasachen. Es gibt Sprachkurse, seit einigen Monaten lernen immer mehr Menschen die eigene Sprache. So wie Nina Galperina. Sie ist in Kasachstan geboren: "Es ist sehr schade, dass ich die kasachische Sprache als Jugendliche nicht gelernt habe. Jetzt hole ich das nach, mache die verlorene Zeit wett."
Nachdem in den 1990er Jahren die Sowjetunion zerfiel, Kasachstan unabhängig wurde, lernten zwar mehr Menschen die eigene Landessprache. Aber: Das Schulsystem an russischen Schulen sei einfach besser gewesen, sagt Kasachisch-Lehrer Kanat Tasibekow. Jetzt erlebt er ein Umdenken: "Die jüngsten Entwicklungen, die Proteste im Januar in Kasachstan, die Ereignisse zwischen Russland und der Ukraine - die haben sich positiv auf das Interesse der Menschen ausgewirkt, die kasachische Sprache zu lernen."
Wladimir Putins Plan gescheitert?
Putins Plan war: Die ehemaligen Sowjetrepubliken hinter sich zu versammeln, im Krieg gegen die Ukraine, im Kampf gegen den Westen. Ein russisches Großreich wieder aufzubauen. Stattdessen emanzipieren sich einige Länder von Moskau.
Viele Menschen lehnen den Krieg gegen die Ukraine ab. Viele wollen in die EU. Viele wollen einfach nur Frieden. Und trotzdem. Es bleibt ein gefährlicher Spagat. Denn die Macht Moskaus beeinflusst immer noch Millionen und ihr Leben im Schatten Russlands.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.