Russische Junarmija: Wo Kinder lernen, für Moskau zu sterben

    Russische Junarmija:Wo Kinder lernen, für Moskau zu sterben

    von Joachim Bartz, Katja Belousova
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    In Russlands Junarmija werden Kinder dazu erzogen, in den Krieg zu ziehen. Es ist ein erschreckendes Beispiel für die Militarisierung der Gesellschaft - bis hin zu den Jüngsten.

    Montage: Kinder werden an Waffen ausgebildet
    Schon Kinder in Russland werden für den Krieg gedrillt.25.07.2023 | 19:05 min
    Die Russin Olga Sachran ist keine gewöhnliche Ausbilderin. Denn ihr Job ist es, Kinder und Jugendliche in der Jugendarmee Junarmija das Töten zu lehren. So drückt es die Leiterin des militär-patriotischen Sportzentrums "Junger Armist" in Sotschi selbst zwar nicht aus, erklärt stattdessen: "Wir bereiten unsere Kinder auf schwere Zeiten vor". Doch die Eindrücke ihres Arbeitsplatzes sprechen für sich.
    Da sind kleine Mädchen in Tarnfarben und rotem Barett, mit Gewehren bewaffnet, kleine Jungen mit gleicher Uniform, die lernen, Messer präzise zu werfen. Und Kinder und Jugendliche, die im Eiltempo Schusswaffen zusammensetzen. Die Gesichtszüge der Kinder sind hart.



    Angeblich 1,3 Millionen Junarmija-Mitglieder

    Eigenen Angaben zufolge sollen 1,3 Millionen Acht- bis 18-Jährige Teil der 2016 gegründeten Junarmija sein. Sie untersteht dem russischen Verteidigungsministerium und hat vor allem ein Ziel: die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen zu Paramilitärs. Vielen von ihnen könnten in Zukunft in Russlands Kriegen zum Einsatz kommen - als Kanonenfutter, wie Kritikerinnen und Kritiker befürchten.
    Zwar ist nur ein Bruchteil der über 30 Millionen russischen Kinder und Jugendlichen Teil der Junarmija - doch die Indoktrinierung der Jugend hin zu Militarismus und Patriotismus reicht weit über die Jugendarmee hinaus.
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    Das Volk geschlossen hinter Putin - so zeigt sich der Kreml gerne. Doch seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine haben bereits mehrere hunderttausend Menschen Russland verlassen.21.02.2023 | 12:14 min

    Propaganda und Militarisierung in Schulen

    Beispielhaft dafür ist das Gymnasium Nr. 36 in Rostow am Don. Jede Woche findet dort eine Parade im Miniaturformat stand, Mitglieder der Junarmija marschieren dabei vor versammelter Schülerschaft mit der russischen Fahne. Auf Initiative des Kreml muss seit September 2022 jeder in der Schule an so einer Zeremonie teilnehmen. Die Schüler sollen die Symbole des Staates verinnerlichen - und auf Linie gebracht werden.
    "Jeden Montag treffen wir uns mit den Kindern und singen feierlich die Hymne und sind dabei aufgereiht in einer Linie. Dann geht jeder in seine Klasse und wir besprechen 'das Wichtige'", erklärt Tatjana Klimowa, Russisch-Lehrerin am Gymnasium Nr. 36.
    Ebenfalls seit September 2022 gibt es ein neues Unterrichtsfach. Es heißt "Gespräche über Wichtiges". Der Staat will damit - offiziellen Angaben zufolge - den Patriotismus bei den Schülern stärken. In Wahrheit handelt es sich um eine Propaganda-Schulstunde. Dabei kommen auch Videos des Bildungsministeriums zum Einsatz, die Russland zum Opfer des Westens erklären und Lügen über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verbreiten.

    Wer sich gegen Putin wendet, wird mundtot gemacht

    "Ich habe gesehen, worum es bei diesen Gesprächen über 'Wichtiges' geht. Zum Beispiel um die 'Spezialoperation'. Neunjährige Kinder wurden darauf einstimmt, dass es gar nicht schlimm sei, für die Heimat zu sterben", kritisiert Tatjana Tscherwenko. Die Mathematik-Lehrerin aus Moskau leistete Widerstand gegen die Indoktrinierung ihrer Schüler.
    Kinder erzählten ihren Eltern von Tscherwenkos "Sabotage" des Unterrichts - die Eltern verfassten daraufhin einen Brandbrief gegen die Pädagogin. Im Januar 2023 wurde sie aus dem Schuldienst entfernt.
    Der Umgang mit Tscherwenko folgt einem bekannten Muster: Wer sich in Wladimir Putins Diktatur gegen die Staatsgewalt und ihre Ideologie stellt, wird mundtot gemacht. Und diese Praxis macht vor Schulen nicht halt.

    Staatliche Gehirnwäsche

    Das zeigte zuletzt auch der Fall der 13-jährigen Maria Moskaljowa. Im April 2022 sollte sie im Kunstunterricht etwas zur Unterstützung der russischen Streitkräfte malen. Das Mädchen zeichnete daraufhin ein Anti-Kriegs-Bild mit den Sätzen "Ruhm für die Ukraine" und "Nein zu Putin, Nein zum Krieg". Als Strafe wurde Moskaljowa ihrem alleinerziehenden Vater weggenommen - und kam ins Waisenheim.
    So sieht es aus im heutigen Russland: Kinder werden staatlicher Gehirnwäsche unterzogen - und samt ihren Familien bestraft, wenn sie sich dem Narrativ widersetzen. Seit dem Krieg gegen die Ukraine beschleunigt sich die Entwicklung. Sie führt zu einer schweigenden, eingeschüchterten Bevölkerung, die dem Staatsapparat wenig entgegenzusetzen hat.

    Kinder für ein autoritäres Regime

    Zu dieser Entwicklung tragen Menschen wie Olga Sachran maßgeblich bei. "Wenn ich an die Zukunft meiner Heimat denke? Dann sehe ich ein mächtiges Russland", sagt die Ausbilderin der Junarmija in Sotschi. Die Kinder, die sie an der Waffe ausbildet, werden in Sachrans Augen ein wesentlicher Bestandteil dieser Zukunft sein.
    "Ihr müsst wissen, wie man mit einer Waffe umgeht. Ihr müsst körperlich und moralisch vorbereitet sein", lautet eine ihrer Anweisungen. Worauf Sachran die Kinder vorbereitet? Darauf, einem autoritären Regime zu folgen - notfalls bis in den Tod.
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