Wut, Sorge und eine Justizreform:Wie es mit den Protesten in Israel weitergeht
von Stephanie Gargosch
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Einen Tag nachdem die Knesset einen Teil der umstrittenen Justizreform beschlossen hat, kommt Israel nicht zur Ruhe - die Proteste haben sich ausgeweitet. Wohin steuert das Land?
In Israel halten die Proteste gegen die umstrittene Justizreform an.
Quelle: Reuters
Sie hatten sich so viel erhofft, die Demonstranten, die am Montag bis vor die Knesset in Jerusalem gezogen waren. Die Entscheidung der rechts-religiösen Koalition, die Angemessenheitsklausel für die Gerichte zu streichen, zerstörte all ihre Hoffnung in nur wenigen Stunden.
Das, was am Montag bis in die tiefe Nacht folgte, waren Proteste in einem Gewaltausmaß, die das Land bisher im Inneren noch nicht gesehen hat. Dutzende Protestierende wurden verletzt, auch Polizisten, Barrikaden brannten, Wasserwerfer waren im Einsatz, ein Auto raste in die Menge. Es schien, als entlade sich da viel aufgestaute Wut und Angst. Wut über die Entscheidung der Regierung und Angst um die Demokratie in Israel.
Weitere Eindrücke zur Lage in Israel von ZDF-Reporterin Stephanie Gargosch sehen Sie hier im Video:
Proteste gegen Justizreform halten an
Asi Drori ist ein Baum von einem Mann, er wolle, sagte er an diesem Abend, auf der Straße von Tel Aviv, dass die Proteste friedlich weitergingen und ergänzt:
Mit den Kriminellen meint er die Koalition von Ministerpräsident Netanjahu.
Israel: Reservisten kündigten Dienstverweigerung an
Lior Jäger ist Reservistin und seit Anfang der Proteste dabei. "Ich bin sehr, sehr enttäuscht", erzählt sie. "Als Konsequenz aus dieser Entscheidung haben meine Freunde, mein Partner und ich selbst gestern Nachrichten an unsere Kommandeure beim Militär geschrieben, dass wir nicht mehr als Reservisten dienen wollen. Nicht für diese Regierung".
Dabei sind die Reservisten eine wichtige Kraft in der israelischen Armee, die wiederum so wichtig ist für den Schutz des Landes.
Expertin erwartet weitere Proteste
All die Anspannung wird sich wahrscheinlich noch weiter zuspitzen, sagt Professorin Hanna Lerner von der Universität in Tel Aviv: "Was wir gerade erleben, ist eine Eskalation von Spannungen, die schon lange angewachsen sind.
"Dazu kommt, dass die beschlossene Entmachtung der Gerichte durch die Regierung wohl nur ein erster Schritt ist in der sogenannten Justizreform und das wird wiederum mehr Protest erzeugen", so Lerner weiter.
Israelisches Gericht ordnet Ende eines Medizinerstreiks an
Am Dienstag ist das Land noch im Schock, die Eskalation dreht sich aber bereits weiter. Ärzte und Krankenhauspersonal in Tel Aviv streiken aus Protest gegen den Beschluss der rechts-religiösen Koalition.
Unter Hochdruck versucht die Regierung den Streik zu stoppen und hat bei den Gerichten Erfolg. Nach wenigen Stunden muss der Streik abgebrochen werden. Dieser sei nicht regelkonform, urteilen die Gerichte.
Was steckt hinter der umstrittenen Justizreform und den Protesten? Ein Überblick:
Wut und Sorge in Israel nach Knesset-Entscheidung
Gleichzeitig kündigt das Oberste Gericht an, sich so schnell wie möglich mit den eingereichten Einsprüchen gegen die geplante Beschneidung der Gerichte zu beschäftigen und Ratingagenturen stufen Israel derweil hinab. Dies heizt die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg weiter an und dies wiederum die Wut und Sorge der Israelis. Das Land kommt nicht zur Ruhe.
Die Tageszeitung Ma´ariv bringt es in einem Kommentar des israelischen Journalisten Ben Caspit am Tag nach der historischen Entscheidung in der Knesset auf den Punkt: Als Netanjahu vor dem Dilemma stand, ob er seine Koalition retten soll oder sein Land, hat Netanjahu die Koalition gewählt. Was dies Israel auf allen Ebenen kosten wird, ist nicht absehbar.